Carl Maria von Weber an Detlef Graf von Einsiedel in Dresden (Entwurf)
Dresden, Mittwoch, 9. Februar 1820

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend


Korrespondenzstelle

Vorausgehend

Folgend

S. Exzellenz dem H: Staatsminister Grafen v: Einsiedel

Ew: Exzellenz haben in der mir d: 8t Febr: Früh Vormittags gemachten Eröffnung, so viel freundliche Güte und Schonung an den Tag gelegt, daß wo möglich mein Vertrauen zu Hochdenselben noch gesteigert wurde, und ich endlich durch daßelbe geleitet, es wage E: Exzellenz meine Ansichten und Bitten über den besprochenen Gegenstand nochmals vorzulegen, und Hochdero Rath und Schuz in Anspruch zu nehmen*.      E: E: Wunsch in allen Verhältnißen Ruhe und Einigkeit herrschen zu wißen konnte Sie ja allein bestimmen sich dieser an und für sich so ganz unbedeutenden Sache anzunehmen, und sie dadurch zur vollsten Bedeutung zu erheben.

So erhoben gefährdet sie aber jede künstlerische Existenz, und wo sind die Gränzen hinter denen man sich beleidigten jeder Einbildungen eingebildeten Beleidigung gegenüber sicherstellen kann?

Erlauben mir E: Exzellenz in scheinbarer Weitläufigkeit am kürzesten zu sein.

Carl Maria v: W. schreibt einen Aufsaz künstlerischer Tendenz, und findet darin den jezt in Italien allgemeinen Beifall herrschenden MusikGeschmak verdorben. und zwar mit folgenden Worten.

„Es muß recht tief hinein böse sein mit dem Verdauungsvermögen der ital: KunstMägen, daß der gewiß aus eigener, selbstständiger Kraft schaffen könnende Genius Meyerbeers es für nothwendig erkannte, nicht nur süße, üppig schwellende Früchte auf die Tafel sezzen, sondern sie auch gerade mit diesen Modeformen verzukern zu müßen.“

Das kann nun allerdings ein Italiener lebe er wo er wolle übel nehmen, vorausgesezt er sei blind eingenommen und anmaßend genug, ist hiebey[?] alles was in seinem Vaterlande vorgeht als tadellos anerkannt wißen zu wollen. Er kann mit allem Feuer, das Vaterlandsliebe geben muß, die Feder ergreiffen, und dem C: M: v: W zu beweisen suchen, daß er Unrecht habe. Wohl dem der dann vor dem Richterstuhl des Publikums, des einzigen den es dafür giebt, – Recht behält.      Aber wo ist je der Schritt erhört einen solchen Künstlerischen Ansichts und Streit Punkt, unmittelbar vor die nächst dem Regenten höchste Gewalt im Staate zu bringen, und dadurch, dem in seiner Kunst nach all seiner Kraft seinem Monarchen und der Kunst treu dienenden Manne Verweise zuzuziehen, die, wenn sie auch noch so schonend, wohl meynend, und Geistvoll herzlich überredend, wie vielleicht nur Exzellenz eigen, – gegeben werden, doch immer Verweise bleiben da E: Exzellenz den Begriff Ihrer hohen Würde und Ihres Standpunktes mir gegenüber nie vertilgen können. Als in der Leipziger Musikalischen Zeitung die hiesigen Berichterstatter, die auch in DienstVerhältnißen stehen, und von ganz Dresden und mir wohl gekannt sind, oft wahrhaft hämisch die Leistungen ihrer Collegen angriffen*, welcher Deutsche hätte es gewagt E: Exzellenz mit einer Klage zu belästigen? | und doch war da wahrer Grund zur Klage da es unmittelbar Individuen angriff.

Als W Da das Unwesen zu arg wurde sprach ich offen meine Ansicht dagegen in demselben Blatte aus. die Wahrheit that wie immer siegend ihre Wirkung. nach kurzer, schwachtönender Gegenrede verstummten die Krittler*. dieß scheint mir die des redlichen Künstlers würdige und ihm angehörige Handlungsweise.

In vorliegendem Falle nun, veranlaßt eine ganz ins allgemeine gehende Bemerkung, Klage.

Auf welche Strafe würde denn H: Morlachi antragen, wenn mir eines seiner Werke zur Rezension zugesendet würde, und ich uncollegialisch genug sein wollte es zu rezensiren? und es vielleicht nicht ganz so vortrefflich fände als er es wünscht?      Sodann was würde ihn wo hat sich denn H: Morlachi das Recht erworben selbst nur allein, den jezigen MusikGeschmak in Italien schlecht finden zu dürfen?      tadelt er nicht laut Roßini, und selbst diese Emma des Meyerbeers? also nur ein deutscher Künstler darf das nicht sagen.#

auf was gründet sich diese unerhörte Anmaßung? ich weiß es wohl, auf die gewiß gänzlich mißverstandene Gnade unsers vielgeliebten gerechten Königs. Wie sehr verkennen aber diese Leute den gerechtesten Fürsten, der wenn er auch einer Blume lieber sich neigte als der andern, der leztern doch gewiß keiner Luft, Licht und Nahrungsstoff zu entziehen erlaubt; wie gerne möchten diese Menschen blos um sich zu erheben den erhabnen Monarchen in den Augen der Welt zur Parthey machen? aber es gelingt ihnen schlecht nicht, denn er hat sich immer da wo es darauf ankam gerecht gezeigt. und manche ihm seiner unendlichen Huld und Gnade abgerungenen Vortheile und Gunstbezeugungen beweisen hier nichts, als das die Deutschen nicht eben so oft und dringend zu bitten wagten.

Welch ein Gefühl im Herzen kann ich gegen den Mann tragen, mit dem ich erst vor wenig Wochen mich frey und offen über unsere Verhältniße und manche früheren Mißverständniße ausgesprochen habe*. der es mir heilig betheuerte so wie er glaube ich träte ihm zu nahe, sogleich mich selbst darüber zur Rede zu stellen zu wollen das einzige Mittel [sei] durch gegenseitige Offenheit allen Zwiespalt zu verhüten. und dieser Mann ergreifft die erste Gelegenheit — die keine Gelegenheit ist — mich einer meiner höchsten Behörden gegenüber in den Stand des Angeklagten zu versezzen. #Welch eine schrekliche unerträgliche Existenz ohne die bitterste Ahndung nichts in Italien Erzeugtes schlecht tadelnswerth finden zu dürfen.      Wo kann ich je Lohn Anerkennung, Aufmunterung, Lohn erwarten | wenn die Behörden die mir ihn reichen können gegen mich verstimmt werden?

Wo kann ich den Muth hernehmen, Musikal. Litter: Arbeiten zu verfaßen in den vielleicht noch manches diesen Herrn anstößige vorkommen könnte.

In welchem Lichte muß ich diesen Leuten erscheinen, wenn sie mächtig genug sind auf ihre unglaubliche Anmaßung hin, mir, dem alle wahrhaft für die Sache Lebenden, Kränkungen zuziehen zu können.      in welchem Lichte müste ich mir selbst erscheinen betrachte ich mein und ihr Verhältniß der Welt gegenüber, könnte ich dieß alles still duldend hinnehmen?

Meine Bitte an E. Exzellenz geht also dahin, erstens um gütigsten Rath wie ich mir Schutz gegen die willkührlichen Klagen der Herrn Italiener wegen allgemein geäußerter allgemeiner KunstAnsichten, verschaffen kann. Vielleicht indem ich es wagte S: Majestät den Fall vorzulegen und um ernste Zurükweisung der H: Morlachi pp in ihre Schranken zu bitten?      und zweitens um die Bitte, daß E. E: S: Majestät zu veranlaßen mir, es sey durch was es wolle mir die Allerhöchste Zufriedenheit mit meinen Dienstleistungen wenn ich anders so glüklich war selbige bis jezt zu erreichen, zu bezeugen, damit ich mit beruhigtem Gemüthe, den Versuchen jedes Übelwollenden, die Gnade meines Monarchen als ewig schützende Aegide entgegenhalten darf kann.

Es ist mir seit dem 1t Augenblik meiner Anstellung in Allerhöchsten Dienst, nur zu klar, daß man mir das Glük mißgönnte des edelsten Fürsten Diener zu sein. diese ewigen Häkeleyen müßen endlich unbequem den hohen damit belästigten Personen werden, und man hofft daß ich endlich ermüdet, lieber das Feld räumen, als mich stets belästigend erzeigen werde.

aber ich vertraue ruhig der gerechten Gnade Meines Königs, und der Theilnahme an der Zufriedenheit jedes Einzelnen die Ew: Exzellenz mir so hoch stellen und mich mit der freudigen Hoffnung erfüllt, daß auch für meine Ruhe ich nicht vergebens flehen darf. [ohne Unterschrift]

Apparat

Zusammenfassung

dankt für Einsiedels Vertrauen; legt seine Ansicht zum besprochenen Gegenstand nochmals vor und bittet um Rat und Schutz; schildert den Ablauf der Auseinandersetzung um den Meyerbeer-Artikel (mit Zitaten); möchte den Fall gerne dem König vorlegen und um Zurechtweisung Morlacchis bitten

Incipit

Ew: Exzellenz haben in der mir d: 8t Febr

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (X), Bl. 66b/v; 67r u. v.

Textkonstitution

  • „Früh“durchgestrichen
  • „Vormittags“am Rand hinzugefügt
  • „wurde“über der Zeile hinzugefügt
  • „beleidigten“durchgestrichen
  • „jeder“am Rand hinzugefügt
  • „Einbildungen“überschrieben
  • „allgemeinen Beifall“durchgestrichen
  • „„Es muß recht … verzukern zu müßen.““
  • übel nehmen, vorausgesezt er sei„übel nehmen “ durchgestrichen und ersetzt mit „übel nehmen, vorausgesezt er sei
  • „ist hiebey[?]“durchgestrichen
  • „als“über der Zeile hinzugefügt
  • „zu“über der Zeile hinzugefügt
  • „suchen“über der Zeile hinzugefügt
  • „in seiner Kunst“durchgestrichen
  • „nach“über der Zeile hinzugefügt
  • Als in der Leipziger Musikalischen Zeitung die hiesigen Berichterstatter, die auch in DienstVerhältnißen stehen, und von ganz Dresden und mir wohl gekannt sind,„Als in der Leipz: MusikZeitung hiesigen Berichterstatter die von ganz Dresden und ich mir nahmentlich sehr wohl gekannten sind und auch in DienstVerhältnißen stehen“ durchgestrichen und ersetzt mit „Als in der Leipziger Musikalischen Zeitung die hiesigen Berichterstatter, die auch in DienstVerhältnißen stehen, und von ganz Dresden und mir wohl gekannt sind,
  • „Als W“durchgestrichen
  • „Da“über der Zeile hinzugefügt
  • „würdige und ihm“über der Zeile hinzugefügt
  • „Falle“über der Zeile hinzugefügt
  • Auf welche Strafe würde denn„auf welche“ durchgestrichen und ersetzt mit „Auf welche Strafe würde denn
  • „was würde ihn“durchgestrichen
  • „selbst“durchgestrichen
  • „… Künstler darf das nicht sagen.#“Das Rautenzeichen weist auf einen an dieser Stelle eingekastelten Einschub, der weiter unten zu finden ist
  • „gerechten“durchgestrichen
  • „der leztern“durchgestrichen
  • „schlecht“durchgestrichen
  • „da“durchgestrichen
  • „ihm“durchgestrichen
  • „zu“durchgestrichen
  • „zu wollen“über der Zeile hinzugefügt
  • „schlecht“durchgestrichen
  • „tadelnswerth“am Rand hinzugefügt
  • „… schlecht tadelnswerth finden zu dürfen“Ende des weiter oben markierten Einschubs.
  • „Lohn“durchgestrichen
  • „ich“über der Zeile hinzugefügt
  • „alle“durchgestrichen
  • müste„muß“ überschrieben mit „müste
  • „um gütigsten Rath wie ich“über der Zeile hinzugefügt
  • „allgemein“durchgestrichen
  • r„s“ überschrieben mit „r
  • „um die Bitte“überschrieben
  • „daß E. E:am Rand hinzugefügt
  • „zu“durchgestrichen
  • „veranlaßen“über der Zeile hinzugefügt
  • „mir“durchgestrichen
  • „ich“am Rand hinzugefügt
  • „darf“durchgestrichen
  • „1tüber der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… Schuz in Anspruch zu nehmen“Zum Grund der Vorladung Webers vgl. den Tagebucheintrag vom 8. Februar 1820 sowie seinen Brief an F. Rochlitz vom 12. Februar 1820.
  • „… die Leistungen ihrer Collegen angriffen“Vgl. dazu die (teils nachfolgend genannten) Auseinandersetzungen um die Berichte aus Dresden in der AmZ zwischen Dezember 1818 und März 1819.
  • „… schwachtönender Gegenrede verstummten die Krittler“Weber reagierte auf diese „Gegenrede“ mit einer weiteren Stellungnahme in der AmZ.
  • „… manche früheren Mißverständniße ausgesprochen habe“Nach einem „Mißverständniß mit Morlachi“ (vgl. Tagebucheintrag vom 18. Dezember 1819) gab es am 31. Dezember 1819 eine Aussprache (vgl. Tagebuch), worauf Weber am 1. Januar 1820 einen Versöhnungsbrief vom Kollegen erhielt (vgl. Tagebuch).

    XML

    Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
    so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.