Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Dresden, Donnerstag, 11. Dezember 1823

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Sr Wohlgebohren

dem Herrn Profeßor Dr: Hinr: Lichtenstein

Director des Zoologischen

Museums pp

Berlin

Unversitäts

Gebäude.

Mein innigst geliebter Freund und Bruder!

Ich laße alles liegen und stehn um dir endlich ordentlich antworten zu können, wenn ich nehmlich nicht wie gewöhnlich gestört werde. deine Briefe haben immer eine ungemein tröstliche Kraft für mich, da du durchaus so wahr bist, mir nichts verschweigst ohne mich gerade zu entsezzen, und nichts so überaus in den Himmel hebst, wie es so viele thun, und in deren ganzes Wesen ich denn ein billiges Mißtrauen sezze.      das untereinander Sprudeln und Gegenkochen der verschiedenen Meynungen ist wirklich wunderlich mit anzusehen*. die Meisten wollen nur, die Euryanthe solle ein eben so großes Publikum an sich ziehen als wie der Freyschüz.      das ist mir im Leben nicht eingefallen, da die ganze Gattung sich auf einen kleinen Kreis beschränken muß, nehmlich derer die die Kunst überhaupt ernster betrachten und höher stellen. die Neider und Unwißenden sind aber tüchtige Schreyer, und die Kritik liegt überhaupt im Argen da die Beßeren und Urtheilsfähigen auch nur auf Veranlaßung sich rühren und sprechen.      diese Veranlaßung nun zu geben, bin ich zu faul und zu stolz.      Ist es nicht toll daß noch keine Feder eines Rochliz, Wendt, Fröhlich pp ein tüchtiges tief eingreiffendes Wort über den Freyschützen gesagt hat? das ist die liebliche Gleichgültigkeit der Deutschen gegen das was sie selbst erzeugen. der Protektion des Einzelnen bin ich entwachsen, und reinen Enthusiasmus für die Sache giebt es kaum mehr.      Es giebt Zeiten wo ich mir das sehr zu Herzen nehme, und glaube daß doch eigentlich nichts an mir ist. aber dann komme ich auch wol wieder auf meinen Wahlspruch zurük, und denke daß ich wenigstens ehrlich das Meine gethan, und thue. Solls nicht länger leben, ja nun, so hats der da Oben der die Mozarte und uns andere Gesindel schafft und begabt nicht anders haben wollen, und wer kann dagegen an?

— — 

Da du deine Exempl: des Klavierausz: früher bekamst als ich die meinigen, habe ich dir keines geschikt, aber es für dich bei Seite gelegt. du mußt es durchaus von mir haben. Es ist recht schön daß ihr sie aufführt. Von Anfang kömt es immer sehr schwer vor, dann sizts aber gleich fest. in Wien habe ich die Oper in nicht vollen 3 Wochen einstudirt, hier konnten sie in der 11ten Probe Alle, alles auswendig. die Schwangerschaft der Devrient ist aber so weit vorgerükt, und von solchen Umständen begleitet, daß sie es nicht mehr wagen kann so zu | stürzen, und alles heftige Spiel loszulaßen das diese Rolle erfodert*. Wir werden also eines der lezten Theater sein das es giebt*, da bereits alle bedeutenden Theater /: 10-12 :/ an mich dringend um Mittheilung der Partitur geschrieben haben.

Die Chezy ist ein wahrhaft niederträchtiges Weib. Sie sprudelt Gift und Galle gegen mich ohne die geringste Ursache*.      ich laße natürlich alles unbeantwortet, troz der flehentlichen Bitten meiner Freunde in Wien. die Zeit muß Werk und mich bewähren, ich sehe still und ergeben zu.

Die Aufführungen in Wien sind durch Krankheiten öfter unterbrochen worden* bis jezt sind gegen 12 gewesen*, immer bei wohlbeseztem Hause, und demselben Beifall, wo kein Musikstük fast, ohne lebhaften Aplaus vorüber geht.

Den 4t erhielt ich Brief von Brühl, wegen einer Ouverture zu den Paria von Michael Beer. es that mir leid es abschlagen zu müßen, aber dergl: Arbeiten mache ich nicht mehr. auch ist es mir jezt rein unmöglich. ich bin so mit Arbeit überhäuft und so abgespannt, daß ich oft glaube ich werde liegen bleiben. Morlachi ist in Italien*, und Schubert krank. ich habe also allen Dienst allein.      Viele Krankheiten der Schauspieler haben auch zufällig lauter Opern aufs Repertoir gebracht, und so kömt es denn daß seit 3 Wochen ich täglich früh und Nachmittag Proben, und Abends Opern habe.

Von der Euryanthe schrieb Brühl kein Wort. ich wünsche sehr daß sie baldigst in Berlin gegeben würde. Wenn ich sie auch nicht selbst dirigire, so komme ich doch auf jeden Fall zu den GeneralProben um zum Rechten zu sehen  behalte dieß aber für dich.

Seidlers werde ich mit morgender fahrender Post die Partitur der Ouverture schikken. die Stimmen habe ich selbst nicht*.

Die Libussa ist ein hausbakkenes ordinaires Geschöpf, ganz rechtschaffen bürgerlich und damit aus*. aus dem Freyschütz ist nichts drin*, wohl aber aus Dr: und Apotheker, Vestalin, Fidelio.

Auf Logiers Bekanntschaft freue ich mich sehr. auf das hin, was du mir von seiner Methode gesagt, habe ich sie unserm Minister dringend empfohlen.

Schleßinger ist ein miserabler Patron, der seinen Vortheil nicht kennt.      auf Trautwein will ich gerne Rüksicht | nehmen*, wenn ich einmal etwas habe. Vor der Hand ist mir alle Musik zuwieder, geschweige denn, selbst welche zu machen.

Ich bin troz meiner Anstrengungen zum verwundern wohl. Lina so so, Max wird sehr mitgenommen vom Zahnen. Er hat jezt 14 Stük. ist aber doch ziemlich heiter dabey.

Nun muß ich doch schließen. Grüße mir alle Freunde herzlichst.      auch Kalkbrenner*, Logier pp mit wahrer Achtung.      Gott erhalte Euch alle froh und Gesund und mir Eure Liebe. Immer und immer von
ganzer Seele dein
Weber
Dresden d: 11t Xber 1823.

Apparat

Zusammenfassung

über das „Sprudeln und Gegenkochen“ der Meinungen zu Euryanthe, die sich an einen kleineren Kreis als der Freischütz wende; wundert sich über Ausbleiben einer großen Rezension des Freischütz; über den Klavierauszug zu Euryanthe und deren Schwierigkeiten; Verzögerung der Dresdner Aufführung, erwähnt Bestellungen der Oper, Ärger mit Chézy; über die weiteren Wiener Aufführungen; Bitte um eine Ouverture für Michael Beer, Dienstlasten; über Libussa; erwähnt Logier u. Schlesinger; Privates

Incipit

Ich laße alles liegen und stehen um dir

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 25

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • PSt: DRESDEN | 11. Dez. 23.
    • Siegelrest

Textkonstitution

  • „und“durchgestrichen
  • M„m“ überschrieben mit „M
  • ß„s“ überschrieben mit „ß
  • 1„0“ überschrieben mit „1

Einzelstellenerläuterung

  • „… ist wirklich wunderlich mit anzusehen“Zum widersprüchlichen Presseecho nach der Euryanthe-Premiere vgl. Weber-Studien, Bd. 10, S. 237ff.
  • „… loszulaßen das diese Rolle erfodert“Der erste Sohn der Sängerin wurde am 12. Februar 1824 geboren; vgl. Webers Brief an Brühl vom 13. Februar 1824.
  • „… Theater sein das es giebt“Vor der Dresdner Premiere (31. März 1824) erlebte die Euryanthe, abgesehen von der Wiener Uraufführung (25. Oktober 1823), ihre Erstaufführungen in Frankfurt/Main (8. März 1824), Prag (11. März 1824) und Karlsruhe (21. März 1824).
  • „… mich ohne die geringste Ursache“Vgl. ihre Publikationen in der Wiener Theaterzeitung (8. November 1823) sowie der dortigen Modenzeitung (15./18. November 1823).
  • „… durch Krankheiten öfter unterbrochen worden“Die Krankheit von Th. Grünbaum ist vom 5. bis 12. November auf den Theaterzetteln des Kärntnertortheaters vermerkt. Die für den 8. November 1823 geplante Vorstellung musste daher entfallen (gespielt wurde statt dessen Nachtigall und Rabe gekoppelt mit dem Ballett Arsena). Laut Theaterzettel vom 14. November 1823 sang die Grünbaum an diesem Abend die Eglantine „obwohl von ihrer Unpäßlichkeit noch nicht gänzlich hergestellt“ und verzichtete auf ihre „Arie im ersten Acte“ (wohl eher Nr. 8 als Nr. 6).
  • „… jezt sind gegen 12 gewesen“Bis zu diesem Zeitpunkt hatten neun Vorstellungen der Euryanthe in Wien stattgefunden (25., 27. und 29. Oktober 1., 14., 19., 23. und 30. November sowie 5. Dezember 1823), zu Webers Lebzeiten folgten nur noch drei (am 12. und 30. Dezember 1823 sowie 17. Januar 1824).
  • „… bleiben. Morlachi ist in Italien“Morlacchi hatte einen Opernauftrag für Venedig (Ilda d’Avenel); er war im November 1823 abgereist (vgl. Webers Brief an Michael Beer vom 27. September 1823) und kehrte erst im September 1824 nach Dresden zurück (vgl. Webers Tagebucheintrag vom 10. September 1824).
  • „… Stimmen habe ich selbst nicht“Die Euryanthe-Ouvertüre erklang bereits in Seidlers Berliner Konzert am 18. Dezember 1823 vgl. den Kommentar zu Webers Brief an Brühl vom 28. Januar 1824.
  • „… rechtschaffen bürgerlich und damit aus“Vgl. auch Webers Eindruck nach Besuch der Wiener Vorstellung am 29. September 1823 im Brief an seine Frau vom [1./]2. Oktober 1823.
  • „… dem Freyschütz ist nichts drin“Der Vorwurf des Epigonentums wurde Kreutzer mehrfach gemacht, besonders 1824 bezüglich seiner Oper Der Taucher; vgl. dazu T. G. Waidelich in Weberiana 21, S. 71–73.
  • „… will ich gerne Rüksicht nehmen“Auf Trautweins Offerte reagierte Weber letztlich nicht; bei dem im September 1826 in diesem Verlag unter Webers Namen publizierten Walse militaire (JV Anh. 90) handelt es sich um eine Komposition von Webers Neffen Moritz.
  • „… Freunde herzlichst . auch Kalkbrenner“Auf seiner Konzertreise gemeinsam mit dem Harfenisten Dizi konzertierte Kalkbrenner u. a. am 13. Dezember 1823 in Berlin; vgl. AmZ, Jg. 26, Nr. 2 (8. Januar 1824), Sp. 20. Am 21. Dezember trafen beide auf dem Weg nach Wien in Dresden ein (vgl. Tagebuch).

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