Carl Maria von Weber an Gaspare Spontini in Berlin
Dresden, Montag, 12. April 1824

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S. Hochwohlgebohren

dem Herrn Ritter Spontini

Erstem Kapellmeister und General-

MusikDirector S: Majestät des

Königs von Preußen.

Comandeur und Ritter mehrerer

hohen Orden p p p

Berlin

Hochwohlgebohrener Herr General Musik Director!
Hochgeehrtester Herr und Freund!

Herr Sassaroli hat die Güte gehabt mir Ihr geehrtes Schreiben vom 27t März a. c. zu überbringen*.

Wenn vom Aussprechen schmeichelhafter Dinge unter uns Beiden die Rede ist, so ist es stets an mir, Ihnen dafür dankbar sein: denn ich zolle dem Schöpfer der Vestalin nur den Tribut der Achtung die ihm jeder Künstler schuldig ist.

Was Ihre officielle Mittheilung wegen der Darstellung meiner Oper Euryanthe auf dem königl: Theater zu Berlin, in Bezug auf seine aus sechs ausgezeichneten Künstlern bestehende General Musikdirection, betrifft; so muß ich darüber meine Verwunderung ausdrücken.

Es ist meines Wißens nie und nirgend zur Kenntniß des Publikums und der Künstler gebracht worden, daß = il est meme expressement défendu à Mr L’Intendant général de faire l’acquisition ou l’achat d’un ouvrage quelconque, si ne lui est point préalablement proposé et demandé par ecrit par cette Direction.

Sie sind so freundlich mir zu sagen, = je vous demande seulement la permission, en obéissance de l’Instruction Royale de Service, de remplir les formalités qui me sont prescrites, et d’en soumettre en même tems le resultat à l’autorité Superieure. — Ich bin selbst ein zu gewißenhafter Diener, als daß ich nicht jede ähnliche Handlungsweise ehren sollte. Es kömt mir aber nach meiner Ansicht, hier nicht mehr zu, etwas zu erlauben oder zu suchen, da ich durch jeden Schritt der Art die Mißbilligung des Herrn Grafen Brühl mit Recht zu erwarten hätte.      Bis jezt glaubt die Welt in Ihm die Autorité superieure als General-Director der Königl: Schauspiele zu sehen.      Seit Jahr und Tag hat Er die Oper angenommen, so wie früher den Freyschützen. Sie haben die Güte mir die unendlich schmeichelhafte Versicherung zu geben = Il me suffit qu’un ouvrage porte votre nom, pour en avoir la haute opinion que vous meritez à juste titre. = — Was kann also der Aufführung des Werkes | entgegenstehen? denn welcher dieser 6 geehrten Herren wird sich nicht für verpflichtet halten sein Urtheil dem Ihrigen zu unterwerfen.

Ist der Herr Graf weiter gegangen als er sollte, so komt es auch blos ihm zu, dieses zu vertreten. von mir würde es eine unverzeihliche Anmaßung sein, mir auch nur eine Meynung über fremde Dienstverhältniße zu erlauben.      Ich sehe daher die ganze Sache gar nicht mehr als die meinige an; indem ich Ew: Hochwohlgeb: wiederholten Theilnahme-Versicherungen, und der erprobten Güte des Herrn Grafen Brühl vertraue.      Sie werden es daher auch ganz angemessen finden, und billigen, daß ich den officiellen Theil Ihres geehrten Schreibens dem Hrn: Grafen mittheile.

Ich komme nun zu denen = Reflexions particulieres et Confidentielles = die Sie mir machen; und glaube in denselben die freundschaftliche Auffodderung zu sehen, sie zu erwiedern. Sie machen mir bemerklich. = Les gazettes étrangéres, surtout celles de Vienne, et meme de Berlin, ainsi que toutes les lettres et rapports, particuliers sur le succès à Vienne D’Euryanthe, n’ont pas été assez favorables, à l’exception d’un article un peu exagéré, inseré par les bienveillans offices de celui auquel je dois une spirituelle Satyre en vers, contre Olimpie*, et la proscription de mon nom de la gazette de Vosse; à moins qu’il ne s’agisse de le maltraiter. = —

Es scheint keinem Zweifel unterworfen, daß es viele Leute giebt, die glauben Ihnen mein Hochverehrter Herr General-Musikdirector angenehm zu erscheinen, wenn sie Ihnen Unangenehmes von mir berichten.

Es ist allerdings Vieles gegen Euryanthe geschrieben worden, aber gewiß eben so viel dafür: Welches Sie nur zufälliger|weise nicht erfahren haben.      Eine Satyre in Versen gegen Olimpia kenne ich eben so wenig, als den Verfaßer jenes articles exagéré; indem ich überhaupt nicht recht einsehe, wie das was gegen Sie geschrieben wird, mit der Frage der Aufführung meiner Oper in Berlin in Zusammenhang komt.

Ich würde es von mir, z. B. für sehr thörigt halten, wenn ich alle die bittern Ausfälle die von Berlin aus gegen mich und die dort noch nicht gesehene Euryanthe geschrieben werden, Ihnen wieder erzählen, oder gar zuschreiben wollte.

Wenn man übrigens in vier Vorstellungen — wo ich die lezte nicht einmal selbst dirigirte — vierzehnmal hervorgerufen wird, das Hervorrufen mehrerer der Darstellenden an jedem Abend ungerechnet — so scheint dieß ein glüklicher Erfolg zu sein.      Doch entscheidet Gefallen oder Nichtgefallen an einem Orte, wohl noch nicht gänzlich über den Werth eines Werkes. Wie Sie selbst an Olimpia in Paris gesehen haben, von deren glänzenden Erfolg in Berlin, ich das Vergnügen hatte Augenzeuge zu sein.      Figaro mißfiel gänzlich bei seinem ersten Erscheinen in Wien.      Don Juan eben so in Frankfurt; und wie hoch stehen doch diese Werke jezt in der Meynung des Publikums. Dies ist ein Trost für uns Andre sich Versuchende, indem wir zu diesen Sternen emporblicken.

Aber wie unnöthig ist es, Ihnen dieß zu sagen. Sie selbst fahren ja sogleich auf folgende Weise fort. = Mais tous ces motifs (?) sont tout à fait nuls pour moi, attendu que je connois par expérience l’incertidude des vicissitudes du théatre, les cabales, les intrigues, l’envie et toutes les disgraces attachés à notre belle cariere pp. =

Die Wichtigkeit der übrigen Hinderniße, die Sie gefälligst mir vorzählen, habe ich kein Recht zu wägen; da es mir nicht zukömt die Plane der Lenker einer fremden Kunstanstalt zu beurtheilen. — Ich weiß nur, | daß = 1tens Alle Künstlerischen Mittel zu Aufführung der Euryanthe in Berlin vorhanden sind. 2tens daß sie weder auf großen Decorations noch Kleider Aufwand berechnet ist; 3tens daß der Herr Graf Brühl mein langjähriger Freund ist; 4tens daß Sie mich versichern = Je vous le répéte donc avec sincerité, il suffit qu’un ouvrage porte votre nom, pour que je sois convaincu d’avance de tout son mérite, et vous pouvez être bien sur que je mettrai tout l’empressement possible a vous servire en tout ce qui dependra de moi =

     Und endlich 5tens daß das Berliner Publikum, mich durch seine ununterbrochene Nachsicht, sogar verwöhnt haben könnte, und mir daher jezt nichts weiter zu sagen übrig bleibt, als die Versicherung der vollkommensten Hochachtung zu wiederholen, mit welcher ich die Ehre habe zu seyn Ew: Hochwohlgebohren
des Herrn General Musik-Directors
ganz ergebener
Freund und Diener
CMvonvWeber.

Apparat

Zusammenfassung

Ausdruck der Verwunderung über die Mitteilung Spontinis, es sei dem Generalintendanten ausdrücklich untersagt, eigenmächtig ein Werk anzufordern oder zu kaufen; weist darauf hin, dass der Generaldirektor der Königl. Schauspiele (Brühl) schon immer die Oper, etwa den Freischütz, angenommen habe; Weber lehne es ab, zu diesen internen Kompetenzproblemen Stellung zu nehmen, und habe daher Spontinis Schreiben auszugsweise an Brühl weitergeleitet; – Zum Hinweis auf schlechte Euryanthe-Kritiken Vergleich mit Mozart; – Insgesamt geschicktes Antwortschreiben unter Verwendung von Zitaten aus Spontinis Brief sowie Zurückweisung aller weiteren Argumente als interne Vorgänge, mit denen er (Weber) nichts zu tun habe; er wisse lediglich, dass Bedingungen für eine Euryanthe-Inszenierung in Berlin gegeben seien

Incipit

Herr Sassaroli hat die Güte gehabt, mir Ihr geehrtes Schreiben

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung in 4 Textzeugen

  • 1. Textzeuge: Brief in zwei Teilen
  • 1. Fragment: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: 55 Ep 1920

    Quellenbeschreibung

    • Briefumschlag
    • PSt: DRESDEN | 12 Apr 24

    Provenienz

    • Schenkung Ledderose (2019)
    • Stargardt Kat. 573 (1965), Nr. 304 (= nur Briefcouvert), o.D.
    • Liepmannssohn Kat. 112 (1895), Nr. 474 (= nur Briefcouvert)
  • 2. Fragment: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: 55 Ep 1169

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S.)
    • Brieftext (bis auf die Adresse = Fragment 1) durchgehend in lateinischer Schrift

    Provenienz

    • Charavay, Noel: Bulletin No. 506 (März 1919), Nr. 88010
    • Bertling, R.: Lagerkat. 29 (1895), Nr. 510
  • 2. Textzeuge: Autorisierte Kopie: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Signatur: PB 37 (Nr. 49)

    Quellenbeschreibung

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • MMW II, S. 558–561
    • Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 369–372
    • Rudorff 1900, S. 141–148
  • 3. Textzeuge: Eigenhändige Kopie: Dresden (D), Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek (D-Dl)
    Signatur: Mscr.Dresd. App. 514 A, 2344

    Quellenbeschreibung

  • 4. Textzeuge: Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (XIV), Bl. 81a/r bis 81b/r

Textkonstitution

  • „… Was kann also der Aufführung“Verbesserung am Wortbeginn
  • „… Welches Sie nur zufälliger weise“falsches doppel f korrigiert
  • ,„n“ durchgestrichen und ersetzt mit „,

Einzelstellenerläuterung

  • a. c.Abk. von „anni currentis“.
  • „… c. anni currentis zu überbringen“F. Sassaroli hatte am 17. März 1824 in der Berliner Garnisonkirche gemeinsam mit der preußischen Hofkapelle und dem Chor der Berliner Oper unter Leitung von G. A. Schneider ein Concert spirituel gegeben, in dem u. a. Webers Offertorium „Gloria et honore“ erklang; vgl. u. a. AmZ, Jg. 26, Nr. 16 (April 1924), Sp. 256 und BamZ, Jg. 1, Nr. 12 (24. März 1824), S. 111–114 sowie WeGA, Bd. I/2, S. 300. Laut Webers Tagebuch kam er am 31. März 1824 zurück nach Dresden und brachte Spontinis Brief mit.
  • „… en vers , contre Olimpie“Laut Spontinis Brief vom 28. April 1824 ist damit Friedrich Försters Gedicht zur Freischütz-Premiere gemeint.

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