Carl Maria von Weber an Caroline von Weber in Dresden
London, Mittwoch, 10. bis Freitag, 12. Mai 1826 (Nr. 27)

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A

Madame

Madame la Baronne de Weber.

a

Dresde.

en Saxe

Ey! das ist eine Ueberaschung, 2 Tage vor dem gewöhnlichen Posttage einen Brief von der Mukkin. 1000 Dank dafür. auch hat er ein gutes freundliches Gesichtel, daß er mich auch ganz fröhlich gemacht hat. Na! na! zanke du nur jezt nicht, ich bin jezt schon überzeugt daß du brav schriebst, aber in den allerersten Wochen, da war es so so — — Mit deinem zugleich erhielt ich einen englischen von Böttger. ich war anfangs ganz wild über diese Eitelkeit, denn jeder deutsche Buchstabe ist mir eine Freude, bis ich den Grund einsah! Ey ey, was schmiedet ihr für Kabalen*. helfen alle nichts. allerdings hätte man mir mehr geben sollen, aber sie thun auch jezt alles mögliche mir Geld zuzuschantzen. Mündlich werde ich das alles erklären, denn schriftlich ist die Geschichte zu weitläufig. ich kann und darf nicht klagen, und, leben und leben laßen war von jeher mein Wahlspruch.       Erzählen; nun ja, erzählen werde ich ordentlich müßen, wohl den ersten die mich sprechen, die andern möchten es immer kürzer zu hören bekommen, bis ich gar nichts mehr sage. man hat mir Skizzen von allem versprochen*. und ich will es deiner Phantasie so vormalen, daß du dir es gewiß noch schöner denkst als es ist. Wenn Fürstenaus auf Erfolg rechneten, hatten sie sehr Unrecht, wie oft habe ich das gesagt und Smart auch.      Du gutes Herz. die Idee mit der Rükreise habe ich auch schon gehabt. aber,  — weißt du was es sagen will? das ist eine Summe von beinahe 300 rh: habe ich, selbst im glüklichsten Fall, das Recht diese meinen Kindern zu entziehen? und sie einem mir doch ganz fremden Menschen zu schenken? überlege dirs einmal genauer, im ersten Augenblik ist der Gedanke so reizend Jemand eine solche Freude zu machen; aber recht genau erwogen! — — Nun vielleicht macht er ein gut Concert, und dann ist ja alles gut.

Ah! mein Freund Straßburger in München wird die Sache schon betreiben*. das ist gut. daß mir der nicht selbst einfiel.       Höre einmal! Du hasts doch eigentlich recht gut, ich habe die Arbeit und Plage, und du läßt dir gratuliren und caßirst das Angenehme von der Sache ein. Ach Gott, so ist es ja recht. alle Freude und Seegen über dich!!!

Mayer ist wieder einmal gereißt?* er lobt Darms: nicht? wahrscheinlich haben sie ihn auch nicht gelobt. Der Arme kann auch auf keinen grünen Zweig kommen.

Des guten Rothes Wuth kann ich mir denken, da kann ich auch böse werden wenn mir die Freude vereitelt wird Andern Freude zu machen. ach, ich kann überhaupt leicht böse werden, bin so reizbar, so krittlich! nehmt euch nur in Acht, sonst knurrte ich blos, oder schnappte höchstens. jezt glaube ich, beiße ich wirklich. — weil vom beißen die Rede ist so muß ich melden daß ich zu Tische muß. also ade für heute, muß dann in Kembles Benefice wovon ich schon Probe heute hatte*. ade, ade, ade, du gutes liebes Herz!!!

d: 11t      Das ist wieder ein solcher rother Nebel diesen Morgen, daß es buchstäblich vor 11 Uhr nicht Tag wurde. das lastet so schwer auf der Brust, abscheulich. So eben bringt mir H: Dr: Rosenberg deinen lieben Brief, und erzählt mir daß er dich und die Buben gesund gesehen hat. Der arme Mann wagt viel | ich wünsche ihm den besten Erfolg. glaube es aber nicht. London ist der gefährlichste Ort für den Fremmden, der nicht mit großem Namen und Geld genug herkomt, sich erst Verbindungen zu sichern, und es eine lange Zeit ruhig mit ansehen zu können. Gelingt es so geht es freylich alles ins Große, aber außerdem ist auch der Ruin sicher.

d: 12[t]. Weiter war ich Gestern nicht gekommen, und du wirst sagen daß wenn ich mein Leben hindurch alle Tage nicht mehr geschrieben hätte, es wohl schlimm mit mir stehen möchte. aber sei nicht böse, meine Zeit verkrümelt sich unglaublich und ich muß alles so langsam machen. Zum anziehen brauche ich nicht viel weniger als 1 ½ Stunde. ja ja, lache mich nur aus, so ein Trödelhans bin ich nun einmal.       dann ist Fürstenau mein regelmäßiger Morgenbesuch, und mein Dr. Kind. ein Mann mit dem ich sehr gerne plaudre, weil er in allem zu Hause ist, auch Dresden und alles was drum und dran hängt genau kennt, und eben so gut die Londner und ihre Natur studirt hat. Er ist sehr intim mit dem jungen Hedenus, und wenn du diesen gelegentlich siehst, so kannst du ihm sagen daß sein Freund an mir herumcurirt. es wäre freylich kein übler Ruhm für einen jungen Mann wenn er mich herstellen könnte, — aber, lieber Gott, ich glaube an nichts, als an Ruhe und die Natur selbst.

Gestern hat mir der Harfen Fabrikant Stumpff ein sehr hübsches Gedicht auf den Oberon und einen sehr netten OpernGukker geschikt. wieder was für die Mukkin, dachte ich, und freute mich sehr.      wenn ich nur recht viel einhamstern könnte, daß du recht zu gukken und dich zu freuen hättest, es fällt aber sehr schmal aus, denn ich kaufe nur das Nöthigsteund da ich kein Italiener bin, und bei den Ladys und Lords unterthänigst herumschwänzle so fällt an Präsenten nichts ab.      auch gut — brauchs auch nicht, und kann meinen Kopf aufrecht tragen.      Ach Gestern hatte ich auch eine Operation zu der ich mich doch endlich entschließen mußte; — das einzige aber was in London wohlfeiler ist als in Dresden, nehmlich – Haarschneiden. 1 Schilling, 8 gr: ich dachte ich wollte es zwingen die Bürstleins zur mütterlichen Scheere zurükzubringen, es ging aber wirklich nicht länger.

Denke dir nur, Musje Beral rührt sich wieder. schreibt mir vor ein paar Tagen daß er sehr lange in England krank gelegen, preißt seine Verdienste um mich, daß durch seine Empfehlung allein meine Werke hier gegeben worden wären, und schließt damit daß er 20 £ von mir borgen will. der unverschämte Bursche, der doch wißen muß daß ich hier seine ganze Nichtigkeit erfahren habe. — ja, über die Dreistigkeit eines Judenbuben, geht doch nichts.

Gestern fiel mir auch eine rechte Sorge vom Herzen, daß ich sah daß die Uebersezzung meiner JubelCantate gut von Statten geht. ich hatte da viele Scheererey gefürchtet, aber Gottlob die guten Leute arbeiten alle für mich, und helfen mir wo sie können. ich speiste beim Musikhändler Hawes wo ich die Kantate mit ihm durchging.      und dann fuhren wir in ein Theater was ich noch nicht gesehen hatte, und wo der Freyschütz zuerst gegeben wurde. zu Mr: Mathews*. der wirst du wohl kaum glauben unterhält ein ganz gefülltes Theater, dieser einzige Mann der hinter einem Tische sizt. erzählt, Charaktere nachahmt, Situationen beschreibt, und höchstens zuweilen ein Liedchen mit Pianoforte begleitung /: das auf dem Theater steht :/ singt, durch 3 Akte und eben so viele Stunden. und die Zuhörer kommen fast aus dem Lachen nicht heraus. ich glaube | doch nicht daß ein deutsches Publikum das aushalten würde. freilich gingen für mich viele Local Witze und Anspielungen verlohren, aber ich muß bekennen daß er ein außerordentlicher Mann ist. dann gings heim, in Betterl.      kannst nicht glauben meine Alte, wenn ich so in meine einsame Stube komme, was mich da die Sehnsucht nach Hause und nach Euch befällt, und wie ich Gott danke daß wieder ein Tag herum ist, ich der ich sonst die Zeit gern fest gehalten hätte, daß sie nicht so fliegt, finde sie jezt bleyern, und die Tage unendlich lang.      d: 7t Juny ist Fürstenaus Concert, und so Gott will, seglen wir ein paar Tage darauf ab. nimm das aber noch nicht für gewiß an, wer weiß ob der Freyschütz bis dahin herausgekommen ist. daß ich daran treibe mit aller Gewalt, ist aber sicher, und ich hoffe es. da ist denn doch ein Ende abzusehen, und ich muß mir nur nicht zu fest einbilden daß alles so geht, sonst ärgere ich mich gar zu sehr wenn ein Hinderniß komt.

Laß uns also fröhlichen Muthes sein. das ärgste ist überstanden. Gott segne Euch Ihr Heißgeliebten + + +, und erhalte Euch gesund. Mit treuster innigster Liebe ewig und ewig Euer Vater Carl.

Alles herzliche an die Freunde!

Apparat

Zusammenfassung

Privates und Geschäftsdinge; Londoner Klima; Webers Tagesablauf; Bericht über Londoner 1-Mann-Theater; Abreisepläne

Incipit

Ey! das ist ja eine Ueberaschung, 2 Tage vor

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 234

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegel und -loch
    • PSt: Rundst.: F 26 | 1 7 0
    • Rötel- und Blaustiftmarkierungen von Max Maria von Weber

    Provenienz

    • Weber-Familiennachlass

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • ED: MMW II, S. 664, 691 (Auszüge); Reise-Briefe, S. 193–198

Textkonstitution

  • m„g“ überschrieben mit „m
  • ist„die“ überschrieben mit „ist
  • es„ja“ überschrieben mit „es
  • „Fremmden“sic!
  • „… aber außerdem ist auch der“nach „der“ verschrieb sich Weber beim Wort „Ruin“, strich es aus und schrieb es erneut
  • „wenn“über der Zeile hinzugefügt
  • „es“am Rand hinzugefügt
  • und„da“ überschrieben mit „und
  • „… Mann der hinter einem Tische“„einem Tische“ von Weber versehentlich doppelt geschrieben
  • „… innigster Liebe ewig und ewig“das zweite „ewig“ ist sehr flüchtig geschrieben oder möglicherweise verschrieben

Einzelstellenerläuterung

  • „… was schmiedet ihr für Kabalen“Böttiger hoffte offenbar, Kemble zu einer höheren Honorarzahlung für den Oberon zu animieren; vgl. auch den Brief von Caroline von Weber vom 3./4. Mai 1826.
  • „… mir Skizzen von allem versprochen“Bezogen auf die Dekorationen des Oberon.
  • „… wird die Sache schon betreiben“Bezogen auf das Privileg bezüglich der Oberon-Verlagsrechte für Bayern.
  • „… Mayer ist wieder einmal gereißt?“August Mayer gastierte am Hessischen Hoftheater in Darmstadt am 2. April 1826 als Lysiart in Euryanthe sowie am 9. April 1826 als Kaspar im Freischütz.
  • „… ich schon Probe heute hatte“Weber dirigierte am Beginn des einleitenden Konzertteils von Kembles Benefiz im Coventgarden Theatre die Preciosa-Ouvertüre sowie die Arie des Max (Nr. 3) aus dem Freischütz. Nach den weiteren Musiknummern wurden noch gegeben die Komödie A Bold Stroke for a Wife sowie die „Operatic Extravaganza“ Giovanni in London von William Thomas Moncrieff; vgl. Theatrical Observer, Nr. 1381 (10. Mai 1826).
  • „… gegeben wurde. zu Mr: Mathews“Der Freischütz wurde am 22. Juli 1824 im English Opera House, auch Lyceum Theatre, erstaufgeführt; engl. von Logan Der Freischutz, or The seventh Bullet, bearb. von Hawes. In einer Pause der Erstaufführungsserie (3. bis 8. September) gab Mathews in diesem Haus Soloabende.

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