Dramatisch-musikalische Notizen (Dresden): Bemerkungen zum Bericht von Th. aus dem Winkel über die „Vestalin“-Aufführung vom 14. Januar 1818

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Dramatisch-musikalische Notizen.

Einige Bemerkungen,
das von dem Buchstaben C. über die Aufführung der Vestalin den 14ten Januar in No. 19. der AbendzeitungΔ Niedergeschriebene betreffend.
Von Carl Maria v. Weber.

Es ist eine schöne Sache um den Enthusiasmus. Dem Künstler muß er besonders theuer seyn; und ich ehre ihn, selbst wenn er sich in südlich helle Dunkelheit und alle erdenkliche Blumendufte gehüllt – hinreißen läßt, seine Puppe mit dem purpurfarbensten Glanze zu umgeben.

Wenn nun aber dieses zarte Pflänzchen – vom Auslande oft mit verwundernden Blicken betrachtet – bei uns, von allen Wohldenkenden und Unterrichteten bisherΔ recht freundlich geduldet, im fetten Boden nun gar zu ungestört so heranwächst, daß es glaubt, Alles was es ausduftet, sey auch wirklichΔ wahr und richtig, weil es noch keinen Widerspruch empfunden, so muß ich zur Steuer der Wahrheit, und mit offenem Helme – wie ich es gewohnt – ihm begegnen.

Möge es ruhig die Begegnung empfangen, und glauben, daß sie wahrhaft wohlwollend für den Buchstaben C. sey, von dessen Willen zum Guten ich gern überzeugt seyn will, der aber nur immerΔ die fast entgegengesetzt wirkenden Mittel wählt.

Ich kann michΔ bei dieser Gelegenheit mit um so größrer Beruhigung aussprechen, als das mir gespendete Lob bei weitem den Tadel überwiegt und es desto klarer am Tage liegt, daß ich nicht persönlich beleidigt, – sondern nur als Anwald der Wahrheit auftrete, die gegründete Urtheile fordert.

Es ist alten Herkommens, daß man die Sache, die man beurtheilen will, auch verstehen soll. Sollte dies hinlänglich bei dem Buchstaben C. der Fall seyn???Δ

Was das Klassische des gewiß hochzuehrenden, genialen und feuriglodernden Spontinis betrifft, höre manΔ das Wort Försters:

Das Klassische.

Hier erfreut der Geist und dort der Reiz der Gestaltung. Aber im Klassischen schmilzt Wesen zusammen und Form.

Der lobenden Anerkennung der SängerleistungenΔ, die Steuer der Wahrheit, und freundlichen Dank für das dem weiblichen Chor und mir GespendeteΔ.

Die Chöre dieser Oper überhaupt betreffend, so treten, der Sache gemäß, die Weiberchöre herrschend hervor und stellen die der Männer in Schatten *), wenn auch sonst die vereinte Stimmenzahl in gutem Verhältnis gegenseitig stünde. In DresdenΔ mangelte früher der weibliche Chor gänzlich, daher das heuteΔ in überwiegendem Lichte Hervortreten desselben, welches sonst umgekehrt der Fall war. Bei den vorigen Chören, wie bei dem jetzigen, fehlte den Männern, namentlich den BässenΔ, die kräftige Fülle, die nur das mit dem männlichen Alter sich erzeugende physische Vermögen geben kann. Dieser Mangel muß mit demΔ Verlauf jedes Tages weniger fühlbar werden, welches bei den sich halbjährig stets erneuenden Kreuzschüler-Chören nicht möglich war. Künftige größere Auswahl ungerechnet.

Rücksichtlich des Fehlens des Männer-Chors, Δ hat der Buchstabe C. wohl etwas bemerkt, aber nicht gewußt, wo es herkam noch wie esΔ entstand. Eben der weibliche Chor war es, der zu spät ein¦trat und den unmittelbar daran sich schließendenΔ Männer-Chor zu demselben veranlaßte **).

Wer aber das falsche Eintreten des Weiber-Chors veranlaßte, auszusprechen, verbietet mir die Achtung und Nachsicht, die jedem unwillkürlichen Versehen gebührt, und die jeder wahre Kritiker, freilich nicht der Krittler – hat, und haben muß.

Alles so in’s Blaue hinaus wallende Loben oder Tadeln, ist gleich wirkungslos zum Guten, und der grundlose TadelΔ kann höchstens bewirken, daß ein Theil gezwungen wird, zur SelbstvertheidigungΔ Dinge zu entwickeln, die nicht für das größere Publikum gehören, oder als Ankläger der andern aufzutreten. Z. B. sollten sonst wirklich die Chöre nicht gewankt haben???

Die Stellung der Instrumente eines Orchesters richtet sich nach dem Bedarf der jeweiligen Oper, und ihr Haupterforderniß ist, daß kein Instrument wirkungslos versteckt steheΔ, der Direktor Bühne und Orchester gleich gutΔ übersehen, und eben soΔ von allen einzelnen Gliedern wiederΔ gesehen werden könne. Die Wirkung ist auf das ganze Haus berechnet. Die Bänke dicht hinter dem Orchester sind in allen Theatern am übelsten berathen; aberΔ eine Kunstanstalt kann keine so höflichenΔ Rücksichten wie ein Gesellschaftszirkel beachten.

Hält der Buchstabe C. es vielleicht fürΔ besser, wenn die Trompeten und türkische Musik so unter den Logen verstecktΔ sind, daß sie weder sehen noch hören?Δ und immer außer dem Takte seyn müßen; wie ich öfter gehört habe.Δ Sollen die so sehr bedeutenden Violonzell-Fguren, auf deren Wirkung Spontini so viel hält, ferner auch noch blos von einem Violonzell gespielt werden, das mühsam unter und über dem Arm des Dirigirenden sich ängstlich durchwinden muß, um seine Noten zu erhaschen?Δ

Die Zeiten sind vorbei, wo der Baß einer italienischen Oper so friedlich 8 oder 10 Takte auf die nämlicheΔ Note gelagert – und durch unzählige Proben fast auswendig gelernt war, daß er gefahrlos aus der Partitur gespielt werden konnteΔ. Ueberhaupt der am Clavier Sitzende nur sein höflicher Blattumwender war, und das meiste dem Primo Violino überlassen blieb. Dieß alles geht bei den Musiken unserer Zeit nicht mehr oder höchst unsicher; in Deutschland und Frankreich nirgends mehr, nur noch in Italien kaumΔ.

Doch es würde sehr weit führen zu rechtfertigen, was eigentlich keiner Rechtfertigung bedarf, und was hier ausgesprochen wurde, geschah aus Achtung gegen Etwas, das der öffentlichen Meinung angehörig ist, und, meiner Ueberzeugung akustischen und andern langjährigen Beobachtungen und Erfahrungsgründen gemäß, angeordnet wurdeΔ.

EndlichΔ erlaube ich mir noch die Frage: warum der Buchstabe C. nur so ganz ausschließlich den italienischen Leistungen des Königl. TheatersΔ seine Dinte geweiht hat? Es ist ein übel Ding um einseitigen Enthusiasmus. Er gereicht fast immer dem Lieblingskinde zum Schaden, und die Kunst ist eine gute Mutter, die alles mit gleicher Liebe, gleicher Strenge umfaßtΔ.

Festes, gegründetes Urtheil gebt, und ladet durch Anderes nicht den Verdacht der Partheilichkeit auf VerwaltungΔ, Publikum und Redaktion. Will Letzterer doch individuelle Entzückungen drucken lassen, so möge der Entzückte nur auch sagen: derΔ bin ich.

[Originale Fußnoten]

  • *) Wie im Cortez das Gegentheil vorhanden.
  • **) Die zweite Vorstellung war in dieser Rücksicht tadellos, und in der dritten war hin und wieder die Intonation nicht ganz sicher*.

Apparat

Zusammenfassung

Reaktion Webers auf den Bericht von Therese Emilie Henriette aus dem Winkel über die „Vestalin“-Aufführung vom 14. Januar 1818

Generalvermerk

Da Weber seine Reaktion lt. TB und Entwurf bereits am 18. Januar niederschrieb, der Aufsatz von Th. aus dem Winkel aber erst am 23. Januar erschien, ist anzunehmen, dass Weber von Winkler das Manuskript des Artikels vor dessen Druck erhalten hatte mit der Bitte um Stellungnahme.

Entstehung

18. Januar 1818 (laut TB); in A ebenso; Fußnoten nicht im Entwurf enthalten, sondern vermutlich von Redaktion hinzugefügt

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Überlieferung in 2 Textzeugen

  • 1. Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 22 (27. Januar 1818), Bl. 2v

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • MMW III, S. 172–175
    • Kaiser (Schriften), S. 377–381 (Nr. 126)
  • 2. Textzeuge: Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (VIII), Bl. 57r–57v

    Quellenbeschreibung

    • über dem Ms. Titel: „Einige Bemerkungen das von dem Buchstaben C über die d. 14 Jan. Aufführung der Vestalin d: 14t. Jan. niedergeschriebene betreffend. von Carl Maria von Weber.“; Incipit: „Es ist eine schöne Sache um den Enthusiasmus.“
    • auf einzelnem Bl. 1r und v, Format 32,5x20,6 cm, graues Papier, WZ: Lilienblüte, Kettlinien ca. 2,7–2,9 cm links neben dem Textbeginn Vermerk von Weber: d: 18t. Januar in No: [sic!] der Abendzeitung; laut TB 18. Januar 1818: Aufsaz gegen den Buchstaben C geschrieben.; dort erst am 27. Januar (Nr.22) abgedruckt ; am 23. Januar (Nr. 19) in der AZ erschien die Kritik von „C“, auf die Weber hiermit reagierte; Webers Schrift bei MMW datiert mit 18. Januar, bei Kaiser mit 23. Januar 1818

Textkonstitution

  • „… “im Entwurf sind die beiden folgenden Abschnitte in ihrer Reihenfolge vertauscht
  • „… “Im Entwurf sind die folgenden vier Abschnitte durch die vielen am Rand ergänzten Korrekturen sehr unübersichtlich und im Satzbau abweichend.

Einzelstellenerläuterung

  • „… die Intonation nicht ganz sicher“Die 2. Vorstellung fand am 17. Januar, die 3. Vorstellung am 21. Januar statt, vgl. Webers TB-Einträge und die Rezension in der Abend-Zeitung.

Lesarten

  • Textzeuge 1: in No. 19. der Abendzeitung
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: bisher
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: auch wirklich
    Textzeuge 2: wirklich auch
  • Textzeuge 1: immer
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: mich
    Textzeuge 2: es
  • Textzeuge 1: Sollte dies hinlänglich bei dem Buchstaben C. der Fall seyn???
    Textzeuge 2: Dieß ist bei dem Buchstaben C nicht der Fall wozu hier nur das nahe liegendste als Beweise.
  • Textzeuge 1: höre man
    Textzeuge 2: hier
  • Textzeuge 1: Sängerleistungen
    Textzeuge 2: Leistungen der Sänger
  • Textzeuge 1: freundlichen Dank für das dem weiblichen Chor und mir Gespendete
    Textzeuge 2: höflichsten Dank für das mir und dem weiblichen Chor gespendete Lob
  • Textzeuge 1: In Dresden
    Textzeuge 2: Hier bei uns
  • Textzeuge 1: das heute
    Textzeuge 2: heute das
  • Textzeuge 1: Bässen
    Textzeuge 2: Bassisten
  • Textzeuge 1: mit dem
    Textzeuge 2: durch den
  • Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.
    Textzeuge 2: so
  • Textzeuge 1: noch wie es
    Textzeuge 2: und
  • Textzeuge 1: daran sich schließenden
    Textzeuge 2: darauf folgenden
  • Textzeuge 1: grundlose Tadel
    Textzeuge 2: leztere
  • Textzeuge 1: Selbstvertheidigung
    Textzeuge 2: Vertheidigung
  • Textzeuge 1: stehe
    Textzeuge 2: bleibe
  • Textzeuge 1: Bühne und Orchester gleich gut
    Textzeuge 2: alles
  • Textzeuge 1: eben so
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: wieder
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: aber
    Textzeuge 2: und
  • Textzeuge 1: keine so höflichen
    Textzeuge 2: nicht so höfliche
  • Textzeuge 1: für
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: so unter den Logen versteckt
    Textzeuge 2: so verstekt unter den Logen
  • Textzeuge 1: ?
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: .
    Textzeuge 2: ?
  • Textzeuge 1: gespielt werden, das mühsam unter und über dem Arm des Dirigirenden sich ängstlich durchwinden muß, um seine Noten zu erhaschen?
    Textzeuge 2: mühsam unter und über dem Arm des Dirigirenden sich ängstlich durchwindend müßend um seine Noten zu erhaschen, gespielt werden?
  • Textzeuge 1: die nämliche
    Textzeuge 2: der nehmlichen
  • Textzeuge 1: er gefahrlos aus der Partitur gespielt werden konnte
    Textzeuge 2: gefahrlos die Bäße aus der Partitur spielen konnten
  • Textzeuge 1: oder höchst unsicher; in Deutschland und Frankreich nirgends mehr, nur noch in Italien kaum
    Textzeuge 2: bei uns gar nicht, nur noch hin und wieder in Italien kaum
  • Textzeuge 1: ist, und, meiner Ueberzeugung akustischen und andern langjährigen Beobachtungen und Erfahrungsgründen gemäß, angeordnet wurde
    Textzeuge 2: ; aus meiner Ueberzeugung akustischer und langjährigen Beobachtungen und Erfahrungsgründen gemäß
  • Textzeuge 1: Endlich
    Textzeuge 2: Schließlich
  • Textzeuge 1: des Königl. Theaters
    Textzeuge 2: der Königl: Theater
  • Textzeuge 1: die alles mit gleicher Liebe, gleicher Strenge umfaßt
    Textzeuge 2: umfängt alles mit gleicher Liebe, und gleicher Strenge
  • Textzeuge 1: Verwaltung
    Textzeuge 2: Herren
  • Textzeuge 1: der
    Textzeuge 2: das

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