Dramatisch-Musikalische Notizen

Vorbemerkungen

Während seiner Anstellung als Kapellmeister am Ständetheater 1813–1816 setzte sich Weber neben der Gewährleistung des gängigen Repertoire-Spielplans (mit Schwerpunkt auf ital. und frz. Werken) besonders für die Etablierung der deutschen Oper ein. Diese Bemühungen finden ihren Niederschlag praktisch in der Einstudierung neuer (deutschsprachiger) Werke, zum anderen aber auch – als quasi theoretische Untermauerung der Praxis – in Webers Projekt der “Dramatisch-musikalischen Notizen”, die er in der K. K. Privilegirten Prager Zeitung als Einführungen zu diesen neu aufgeführten Opern veröffentlichte. Der Untertitel der Notizen “Als Versuche, durch kunstgeschichtliche Nachrichten und Andeutungen die Beurteilung neu auf dem Landständischen Theater zu Prag erscheinender Opern zu erleichtern”, verweist auf seine Ambitionen, das Urteil des Publikums durch vorab publizierte, erläuternde Ausführungen zu den Werken positiv beeinflussen zu können. Die Einführungen dienten der Charakterisierung der Werke und enthielten zum einen biographische Angaben zum Komponisten sowie Textdichter, zum anderen wesentliche Informationen zu Inhalt und Gattung des betreffenden Werkes, darüber hinaus wenn nötig Hinweise auf Änderungen der jeweiligen Aufführung. Am Ende seiner Amtszeit in Prag resümierte Weber in einem Brief an Gottfried Weber vom 2. Februar 1816 über die zwiespältige Resonanz bei den Zeitgenossen: “[...] ich schrieb die dramatisch musikalischen Notizen für die hiesige Zeitung [...] dieß Unternehmen hat viele Krittler und eselhafte Meynungen erzeugt, aber doch seine Nuzbarkeit bewährt, und ich sezze es seitdem bey jeder neuen Oper fort. freylich eine Arbeit mehr; aber für das Gute zu wirken ist ja mein Zwekk.”

Als Direktor der Deutschen Oper in Dresden setzte Weber die Reihe der “Dramatisch-musikalischen Notizen” fort. Hier erschienen sie in der von Karl Theodor Winkler und Friedrich Kind herausgegebenen Abend-Zeitung, unter dem alten, jedoch für Dresden entsprechend geänderten Titel: “Dramatisch-musikalische Notizen, als Versuche, durch kunstgeschichtliche Nachrichten und Andeutungen die Beurtheilung neu auf dem klg. Theater zu Dresden erscheinender Opern zu erleichtern”. Das ehemalige Prager Vorwort verwendete er (wortgetreu bis auf die Hinweglassung des auf Prag bezogenen Schlusses) erneut als Einführung für Dresden, ergänzte es jedoch durch eine Art Einleitung “An die kunstliebenden Bewohner Dresdens”, die die im Vorwort genannten Ambitionen “dem Publikum zu sagen, was es zu erwarten und zu hoffen habe”, bekräftigt und darauf hinweist, dass “Schmuck, Glanz und Enthusiasmus einer Kunstanstalt nur durch ausgezeichnete hohe Talente verliehen” werden könnten. Damit formulierte er nicht nur seine ästhetischen Ansichten und Forderungen an die Struktur der Institution, sondern hierin kündigen sich Webers Absichten, das Dresdner Personal seinen Vorstellungen gemäß bzw. den aufzuführenden Kunstwerken entsprechend aufzustellen, bereits deutlich an.

Die enge Verbindung zwischen Aufführungsvorbereitung der Opern und Entstehung der dazugehörigen Werk-Notizen zeigt sich anhand der zeitlichen Nähe der (meist im Tagebuch vermerkten) Niederschrift der Notizen, die ausnahmslos im Einstudierungsprozess der Werke entstand, zu deren Publikation, die in der Regel ein bis zwei Tage vor der Erstaufführung erfolgte (Ausnahmen: Emmi di Resburgo und Heinrich IV.). Im Laufe der Zeit veränderten sich die Artikel in ihrem Anliegen; waren sie anfangs noch vordergründig darauf ausgerichtet, das Publikum auf neue Werke vorzubereiten, nutze Weber sie später “als Plattform für Stellungnahmen zur deutschen Oper im Allgemeinen und deren Abgrenzung zur französischen und italienischen” (Jaiser, S. 51) Oper.

Dass die Anfertigung der Notizen Weber zusätzliche Belastungen einbrachte und auch auf Gegenwehr stieß, lässt sich aus den Briefen an seine Frau erfahren; z. B. am 30. Januar 1817 schrieb er: “Nachdem ich d: 28t viel von Besuchen geplagt worden und endlich mit Mühe und Noth meinen Aufsaz über Joseph fertig gebracht, entstand eine Confusion in der Drukkerey die mich viel Laufen und besorgen machte, denn da wäre der Aufsaz einen Tag später als die Oper erschienen. brachte es aber doch in Ordnung, aß geschwind ein paar Bißen, und hatte Orchester Probe [...]” und “Meine Aufsäzze haben schönen Lärm schon erregt, die Italiener wollen bersten vor Verdruß und Furcht, denn sie sind nicht gewohnt daß jemand so fest und öffentlich auftritt.”

Den Auftakt der Reihe im Oktober 1815 in Prag bildete die Einführung zu Meyerbeers Oper Alimelek, deren wenig erfolgreiche Wiener Aufführung Weber mit seinen Ausführungen über Art und Weise der Meyerbeerschen Komposition zu erklären versuchte. In Dresden nahm Weber etliche Werke auf, zu denen er dann auch Einführungen schrieb, die bereits in Prag unter seiner Leitung einstudiert worden waren, wie z.B. Das Hausgesinde, Fanchon und Raoul Blaubart. Vielleicht haben ihn evtl. einst gemachte negative Erfahrungen dazu motiviert?

Die einzelnen Werkeinführungen fallen strukturell und inhaltlich sehr unterschiedlich aus; knappe Artikel mit Anzeigencharakter, wie z.B. die Rezension zur Strickleiter oder die Einführung zum Fischermädchen bilden eher die Ausnahme; meist handelt es sich um ausführliche Berichte, die in ihrem Informationsgehalt unterschiedlich ergiebig und auch in den einzelnen Punkten verschieden gewichtet sind. Bei den meisten Werkeinführungen geht Weber zuerst auf die Person bzw. Bedeutung des jeweiligen Komponisten ein und führt dann über mehr oder weniger umfangreiche Erörterung von dessen anderen Werken zum titelgebenden Gegenstand des Aufsatzes, der jeweils aufzuführenden Oper. Geschickt baut Weber in seine, mitunter durch künstlerische Diskurse und philosophische Gedanken bereicherten, Abhandlungen sein Wissen über Operngeschichte und Werkgattungen mit ein (z. B. in der Einführung zu Johann von Paris oder der Besprechung zum Hausgesinde), wenn nötig finden sich auch wichtige Hinweise zu Textdichter sowie Textvorlage (z. B. Rezension über Alimelek) oder zum Sängerpersonal (z. B. Einführung zu Die vornehmen Wirte oder Besprechung zur Entführung aus dem Serail).

Dass Weber mit seinen teilweise rigide und undiplomatisch formulierten hohen Ansprüchen den Widerstand mancher Zeitgenossen herausforderte, bestätigt die Wirkung auf die Werkbesprechungen zu Emma di Resburgo und Alimelek vom Januar 1820. Diese lösten eine heftige Auseinandersetzung zwischen ihm und seinen Kritikern aus, die nicht nur in der ortsansässigen Abend-Zeitung und dem Literarischen Merkur ausgetragen wurde (s. Reaktion im Literarischen Merkur und Carl Maria von Webers Reaktion auf gegen ihn gerichtete Kritik im Literarischen Merkur), sondern sich sogar in der überregionalen Presse niederschlug; vgl. Entgegnung auf Webers “Berichtigung” im Lit. Merkur sowie Über die Auseinandersetzungen Webers innerhalb der Presse um Meyerbeers “Alimelek” und “Emma di Resburgo”.

Ihren abrupten Abschluss fand die über einige Jahre relativ regelmäßig erscheinende Serie der “Musikalisch-dramatischen Notizen” Mitte 1820, was wiederum verschiedene Ursachen gehabt haben kann: Zum einen dirigierte Weber aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung und seiner anderweitigen Verpflichtungen weniger Vorstellungen selbst, zu deren Erfolg er bis dahin mit seinen Einführungen beizutragen gedachte, und fühlte sich nunmehr nicht mehr zuständig, zum anderen hatte er mit seinem Freischütz seine Grundsätze und Einstellungen in eigene Kunst verwandelt, deren sensationeller Erfolg den Boden endgültig für die Deutsche Oper ebnete, so dass eine positive Einstimmung des Publikums diesem Genre gegenüber als nicht mehr notwendig erschien.

Kaiser resümiert zu Webers schriftstellerischer Tätigkeit in dieser Periode, S. XX: “In diesem zweiten Abschnitt seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist sein Stil äußerst prägnant, mit wenigen Worten trifft er fast stets das richtige, und man wird aus jener Zeit kaum einen Schriftsteller nachweisen können, der über einen ähnlichen Stoff sich mit so großer Leichtigkeit und Frische und dabei bedeutender Sachkenntnis zu verbreiten vermochte. Seine hier niedergelegten ästhetischen Ansichten sind noch für unsere Zeit verblüffend sicher und treffend, und weit stand Weber als Leiter eines Operntheaters über seinen zeitgenössischen Kollegen.”

Literatur

  • Georg Kaiser, Sämtliche Schriften von Carl Maria von Weber, Berlin und Leipzig 1908, S. LXXI sowie XCI
  • Oliver Huck, Von der Silvana zum Freischütz. Die Konzertarien, die Einlagen zu Opern und die Schauspielmusik Carl Maria von Webers, (Weber-Studien, Bd. 5), Mainz 1999; Spielpläne aus Prag und Dresden S. 350–359
  • Gerhard Jaiser, Carl Maria von Weber als Schriftsteller. Mit einer in Zusammenarbeit mit der Weber-Gesamtausgabe erarbeiteten quellenkritischen Neuausgabe der Romanfragmente Tonkünstlers Leben, (Weber-Studien, Bd. 6), Mainz 2001, S. 43–53

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