## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Sappho“ von Grillparzer am 18. Juli 1818 (Teil 3 von 4) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030279 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Sappho.#lb#(Fortsetzung.)Meisterhaft gab sie halbabgewandt die steigende Angst, die bis zu den Fingerspitzen zuckende Folter der Erwartung, das Vorwärtsstarren der Arme und unwillkürliche Zurückbeugen des Kopfes beim Aufhorchen auf die verwundende Rede bei der Erzählung des Traums. Wie dem furchtbaren, ergreifenden, aufkreischendem: Melitta! plötzliches Erschlaffen mit herabschlotterden Armen und wankenden Knieen. Dabei keine Spur von Studium. Es quoll aus der Tiefe und war doch berechnet. Ueberhaupt gehört der Namensausruf zu den Feinheiten dieses Stücks, wobei der Künstler seinen psychologischen Scharfblick zeigen kann. So etwas gelingt nicht immer auf den ersten Wurf. Auch gnügte und bei der ersten Aufführung die Art nicht, wie Sappho von Phaon gemißhandelt dreimal seinen Namen ruft. Bei der zweiten ging es viel besser. – Die ersten zweimal geisterhaft-klanglos. Das Drittemal ein Aushauchen der aufgelöstesten Wehmuth mit dem Sterbeton der Liebe. Unverbesserlich war die Gegeneinanderstellung des wohllautenden Melitta mit den im eigenen Ohr des Sappho jetzt mißtönenden Sappho auch im Vortrag der Künstlerin. Dieß würde noch stärker hervortreten, wenn sie ihren eignen Namen ganz nach der Aussprache der äolischen Griechen Psap-pfo aussprechen dürfte. Gut motivirt wurde durch Hebung und Senkung der Stimme im langsamen oder schnellen Vortrag und richtig berechnetem Pausiren der Seelenkampf vor dem Rufen der Melitta gemalt. Ihr besseres Selbst hat gesiegt. Da kommt die Eifersucht mit dem Worte: ich will sie sehn! Dieser Rückfall foderte und erhielt eine mimische Pause zum Uebergang. Das Maß derselben giebt keine Kunstregel, sondern die Eingebung des Augeblicks. Im Anfangs-Monolog des vierten Akts gefiel die bis zum Abscheu gesteigerte Schilderung des Undanks, hinter welcher sich nun die Verschmähete versteckte, durch die Kraft des Vortrags, so wie die in decrescendo verhauchende zweite Wiederholung des Worts Undank. So muß es seyn. Die Stimme versagt der Erschöpften. Wie ihr der Gedanke zur Rache als innere Götterstimme erscheint, muß die Bewegung beider Arme, halb anbetend, halb er staunend, nach oben gehn und auch bleiben. Das: Laß mich Dich fassen, schneller Götterbote! durch den gewöhnlichen Gest des Zudammengreifens zu bezeichnen, wäre eine lächerliche Wortmalerei. Es versteht sich, daß in dem folgenden Gespräch mit Rhamnas sich da, wo Hyäne, Tyger u.s.w. vorbeigehn, die Finger sich gleichsam krallend etwas zusammenziehn und bei der Schlange das bittre Hohlächeln, beim Herabblicken auf das kriechende Ungeheuer nicht fehle, wodurch auch schon der Ton bestimmt wird, in welchem das schließende oh! allein sein Recht erhält. Beim Schluß des Akts war wohl das völlige Niedersinken zu stark aufgetragen. Eine der schwierigsten Aufgaben ist die stumme Scene im 5ten Akt, wo der Wüthende sie mit Bitterkeiten tränkt und selbst Hand an sie legt. Es ist die letzte schmerzliche Reinigung der Psyche. Wir wünschen in Sappho's Mienen den Ausgang des Kampfes zwischen Sinnlichkeit und Vergeistigung zu lesen. Sie kann also auch nicht, wenn gleich die Umstehenden es mißverstehn, zürnend abgehn. Sie hat sich ja gefunden. Welch eine Kraft in der Darstellung fodert dies äußere Gebundenseyn mit innrer Empörung und Beruhigung. Noch eins! Es wäre unglaublich, daß die um diese Scene herumgruppirten Landleute und Sclaven der Sappho Phaons Beleidigungen so hinnähmen, wenn nicht ein höherer Einfluß ihre Ausbrüche hemmte. Bei der zweiten Vorstellung suchte Rhamnas durch das mannigfaltigste Geberdenspiel die geballten Fäuste und schier losbrechende Indignation zu beschwichtigen. Nun wird’s schon begreiflicher. Aber selbst dieser Impuls muß von der hohen Frau, die durch Miene und Stellung Ruhe gebietet, ausgehn. Hier findet die denkende Künstlerin noch ein weites Feld für den angemessneren Ausdruck. Die letzte Rede, worin sie sich selbst weiht und was darauf folgt, spielt sich von selbst. Uebrigens bemerken wir nur noch, daß, wenn überhaupt Mad. Werdy mehr durch Declamation und begleitende Mimik, als durch mehr oder minder leidenschaftliches Hin- und Herschreiten, durch Gang und Beweglichkeit, was hier die größten Effecte bewirkt, zu gnügen suchte, dieß künftig bei befestigter Muskelkraft der Theile, die jetzt oft ihren Dienst versagten, gewiß noch ganz anders ausfallen wird. Auch wünschten wir, daß sie am Schluß eines Satzes die letzten Sylben etwas mehr mit sinkender Stimme ausspreche. (Der Beschluß folgt.)