## Title: Aufführungsbesprechung Mannheim: „Der Cid“ von Pierre Corneille am 11. Juli 1811 in Mannheim ## Author: Alexander von Dusch ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030857 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Hof- und National-Theater in Mannheim. Nach einem passenden Prolog, schön gedichtet, schön und mit tiefer Wirkung gesprochen, wodurch auch die Kunst die Verklärung ihres hohen Beschüz- |zers feierte, wurde unsre Bühne mit Corneille’s Cid eröffnet. Die Darstellung entsprach der Erwartung nicht; man möchte sagen, sie mißlang gänzlich. Referent besonders konnte von keiner Seite Befriedigung gewinnen; es fehlte dem Ganzen an Haltung, die Charaktere so schön von dem Verfasser gezeichnet, entwickelten sich gar nicht im Spiele, kein Bild trat ins Leben, es war ein verworrenes Ineinander-Deklamiren. – Herr Eßlair gab den Grafen zwar mit der ihm eigenen Kraft, allein Vieles blieb zu wünschen übrig, besonders in der Szene mit Don Diego, wo sein tiefgekränktes Gefühl, von dem Könige hintangesetzt zu seyn, sich mehr hätte offenbaren sollen; es ist der Schlüssel zu seinem ganzen Betragen. In Ansehung der Deklamation möchte Ref. mit H. Eßlair nicht einverstanden seyn, die Verse Erfreue dich des Amtes, leit’ den Prinzen;Wie man ein Land beherrscht, das lehre ihn;Zeig’ ihm ec. ec.im monitorischen Tone vorzutragen; ihm scheint die ganze Stelle mehr ironisch dazustehen, und es daher unpassend, sie so zu deklamiren, wie Herr Eßlair that, als wollte er Don Diego herzählen, was er den Prinzen alles zu lehren habe. – Meisterhaft hingegen sprach Hr. Eßlair den Vers, nachdem er Don Diego den Schlag ins Gesicht gegeben: „Und was soll nun dein schwacher Arm beginnen?“ ganz im gemischten Tone von Verachtung, Mitleid und Erwartung. Seiner würdiger zeigte sich Hr. Eßlair in der dritten Szene mit Rodrigo; allein weniger befriedigte er in der zweiten mit Don Arias; hier war er durchgängig zu kalt und ruhig, und bedachte nicht, daß alle seine Antworten und Weigerungen gegen die Befehle des Königs aus seinem gereizten Ehrgefühl und Stolz ihren Ursprung nehmen, folglich in einem mehr aufgeregten Tone gegeben werden mußten. – Herr Mayer als Rodrigo war nicht im Stande, das doppelte Bild eines Helden und eines Liebenden zu geben; nicht im Stande, die freilich schwere Aufgabe zu lösen, beide herauszuheben, ohne Schlagschatten zu geben, und beide in einander zu schmelzen, daß sie sich innig durchdringen, ohne sie zu vermischen. Im Einzelnen läßt sich dies freilich nicht nachweisen; allein das ist es gerade; so etwas schwebt nur im Ganzen, und läßt sich bey der Zergliederung nicht festhalten. Der herrliche Monolog, welcher den ganzen fürchterlichen Kampf seiner Seele schildert, blieb ohne Wirkung; H. Mayer deklamirte darin zu viel, schilderte und fühlte den Zustand selbst nicht genug, auch wurde die Deklamation monoton durch zu vieles grelles Hervorheben einzelner Worte; ein Fehler, welchen sich überhaupt mehrere auf unserer Bühne angewöhnt zu haben scheinen, um den Zuhörer für den Augenblick zu täuschen, und durch eine so entschiedene Accentuation die unrichtige Deklamation zu decken. Die Szene mit dem Grafen vor dem Zweikampfe hätte Hr. Mayer weit rascher, feuriger und kühner geben sollen, nicht mit dem schwersinnigen Ernste wie er that; das Feuer, wovon Rodrigo selbst spricht, mußte ihm aus den Augen blitzen; er mußte in dem Augenblicke ganz den jugendlichen Helden zeigen, da er eben aus dem langen Kampfe mit sich selbst mit dem feurigen Entschlusse gerüstet erscheint, an dem größten Helden seiner Zeit die erduldete Schmach zu rächen. Nach genommener Rache ist es ganz an seinem Platze, sein Gefühl für Chimene wieder in voller Kraft hervortreten zu lassen, begleitet von einer Wehmuth, die ihn nie mehr verlassen darf, und welche auch in Hrn. Mayer’s Spiel oft trefflich durchschimmerte. – Doch all dies führt mich zu weit. – In Rodrigo’s Erzählung seines Sieges über die Mauren (ohnedies eine Stelle von mehr rhetorischem als dramatischem Werthe) war Hr. Mayer viel zu rasch und leidenschaftlich; seine Stimme war schon sehr erhoben bey den Versen: „Und ohne Laut uns an der Erde lagernd –“und später „Und furchtlos nahen, ankern, landen sie –“wo sein Ton durchaus gelassen hätte seyn sollen. Erst später, allenfalls – – und laut erschalltein tausendfacher Ruf zum hohen Himmel –und da wo er von seiner eigenen That spricht, „von Reih’ zu Reih’ flieg’ ich ermunternd ec.“hätte er mehr Bewegung in die Stimme bringen, so wie gegen Ende wieder ruhiger werden sollen. Mlle. Demmer als Chimene war, neben manchen Vorzügen ihres Spiels, zu weinerlich und ohne Kraft; auch ihre Deklamation zu monoton; – zwar liegt diese Monotonie häufig in dem Organ; allein die Kunst kann hieran viel verbessern. – Vielleicht wäre es gut wenn solche monotone Kehlen singen lernten, bloße Scala; es würde viel zur Modulation der Stimme beitragen. Hr. Heck ist wohl als alter gutmüthiger Vater oder Oheim an seinem Platze, aber nicht als ergrauter Held, nicht als Don Diego; auch fehlt seiner Deklamation das höhere, edlere, welches ohnedies schon Verse mehr wie Prosa verlangen. Hr. Müller d. j. und Mlle. Müller sind Anfänger. Ref. empfiehlt ihnen fleißiges Studium. Besonders soll Mlle. Müller es vermeiden, Würde durch tiefe Töne ausdrücken zu wollen, und in Szenen weinerlich zu seyn, wo Hoffnung und Entzücken in der Brust walten; denn warlich war ihr durchgehends weinerlicher Ton nicht nur im Allgemeinem dem Zuhörer ermüdend und unangenehm, sondern insbesondere war er es in der Szene, wo sie ihren wiederauflebenden Hoffnungen von neuem Raum gibt, wo sie mit unwillkürlichem Entzücken sich die neu auflebende Möglichkeit der Erfüllung ihrer geheimen Wünsche vorspiegelt, wo sie im begeisterten Traume ihren heißgeliebten Rodrigo auf den Thron von Granada erhoben, sich mit ihm vereinigt, und so die bis jetzt unmöglich geglaubten Wünsche ihres Herzens realisirt sieht. – Hier noch weinerlich sprechen, heißt denn doch warlich die Situation mißverstehen! Zum Schlusse bemerkt Ref. noch, daß es vielleicht besser gewesen wäre, dem Könige Don Fernando, in der ersten Szene besonders, einen Sitz zu geben; es gehört mit zur Würde, und es wäre dadurch der Mißstand leichter vermieden worden, daß beide Imploranten, die Chimene und Don Diego, neben einander vor dem Könige niederknien, als wollten sie beide gemeinschaftlich seinen Segen erflehen. the unknown Man.