## Title: Friedrich Wilhelm Jähns an Ernst Rudorff. Berlin, Sonntag, 2. Oktober 1864 ## Author: Jähns, Friedrich Wilhelm ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A043063 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Berlin den 2. oct. 1864. Mein hochgeschätzter Freund. Zuvörderst meinen herzlichen Dank für Ihre gütige Besorgung meines Aufrufs im Interesse meiner Weber-Arbeit. Leider hat derselbe so wie alle übrigen in einer großen Anzahl deutscher Blätter, noch so gut wie gar keinen Erfolg gehabt. Desto mehr ist mir auf anderem Wege zugeflossen und ich kann mit großer Genugthuung auf das Resultat meiner unausgesetzten Nachforschungen sehn, da es doch eine ziemlich bedeutende Anzahl von Werken sein wird, über die bisher jede Kenntniß fehlte und über die ich interessante Mittheilungen werde geben können. Was das Euryanthen-Unternehmen betrifft, so hat es mich mit hoher Freude erfüllt. Bei dem flauen Zustande des Interesses für die deutsche Oper, ist es von höchster Wichtigkeit, daß dies Hauptwerk Weber’s der Antiquirung auf diesem Wege entrissen werden wird, die, wenn sie einträte, ein eben so großer | Verlust für die Kunst im Allgemeinen wie im Speziellen für die Ehre deutschen Geistes sein würde. Möge der herrliche Wille nur nicht an der jämmerlichen Geldseite scheitern, denn ich befürchte, daß es schwer halten wird, diese Anzahl von Abonnenten zu erreichen. Wer ist im Stande von den Musikern 10 rh für solchen Zweck zu opfern; die in Geldmitteln beschränkten haben es nicht; die sogenannten gutgestellten – wie wenige sind da, die sich noch um Weber kümmern! Hat nicht der übertriebene Beethoven-Kultus, ja ich möchte auch hier den Bach-Cultus nennen, (so unendlich hohen Respect vor beiden Culten ich auch aus tiefster Seele habe) – aber haben diese Verhältnisse nicht alles | Interesse für Weber verschlungen? Ist nicht die Zeit-Richtung zugleich ihm entgegen? Die greifbare Formen-Größe Bachs, die reizvolle, tiefsinnige Unbefriedigtheit Beethovens, das revolutionäre Prinzip in ihm, ist sind das nicht Dinge, wie sie der Zeit grade nach Wunsch sind, ja, die sie einzig bewegen. Wen interessirt noch die farbenreiche, fast ausschließlich sich im Zauber der romantischen Richtung bewegende Gefühlswelt Webers, die in sich befriedigt dasteht? Ist sie nicht vollständig ein Fremdling geworden in unseren realen Tagen, die nicht genug ertasten, berechnen und doch wieder immer auf‘s Neue auf- und umstören, immer nur fordern und fast nicht mehr in Befriedigung ausruhen können? – Doch warlich, ich schreibe Philippiken und noch dazu ganz unnütze, da ich | gegen Sie mich ereifere, der ein Hort gegen meine Besorgnisse zu sein verspricht. Dennoch muß ich es, denn leider kann ich vorläufig keine anderen Abonnenten nennen, als: Webers Sohn in Dresden und mich. Ich habe die hiesigen Musiker alle innerlich Revue passiren lassen; manchen wüßte ich vielleicht, der die Partitur gern besäße, aber jene Mittel sind nicht vorhanden. Die andern? – Ach Gott! Was müßten die wohl für Gründe bekommen, um eine Webersche Partitur zu lesen u. nun gar zu kaufen! – Daß ich meine Thätigkeit nicht werde erlahmen lassen, versteht sich von selbst und nächstens werde ich mich an einen Münchener Freund wenden, von dem ich Interesse voraussetze! Auch an die Wiener „Gesellschaft für der | Musikfreunde“ werde ich [mich] deshalb wenden, sobald ein Mitglied derselben aus Italien wieder zurückgekehrt sein wird, wohin es jetzt gereist ist. – Von diesen beiden hoffe ich bestimmte Zusage. Ob Moscheles, an den ich deshalb mit nächstem mich wenden werde, (damit er beim dortigen Conservatorium sich verwende) reüssiren wird, ist fraglich, eben so ist es mit Kittl in Prag. In Darmstadt habe ich einige Aussicht in Bezug auf die Großherzogliche Bibliothek. – Verlieren Sie darum den Muth nicht. Eins kommt schließlich zum andern. Nur noch eine für Sie wahrscheinlich unnütze Frage. Unbedingt wissen Sie wohl schon, daß Weber, ein Sklave des Geschmacks genöthigt gewesen ist, den Theatern gegenüber eine Anzahl Kürzungen mit der Euryanthe-Partitur vornehmen zu müssen. | Er hat diese Kürzungen bald nach seiner Rückkunft von Wien, wo man ihn, ganz gegen seinen Willen, dazu zwang und später davon überzeugt, daß die Seichtigkeit die Oper sonst gar nicht statuiren wollen würde, er hat, sage ich, diese Kürzungen allen später verschickten Partituren einverleibt. Was ist das nun für eine, wonach Cranz stechen will? Doch nicht etwa eine solche? Sehen Sie ja nach! Wie der Clavierauszug die Oper giebt, so ist ihre Urgestalt. Ich habe mir die ursprünglichen Lesarten der Original-Partitur jetzt in Dresden sorgfältig abgeschrieben, denn meine eigne Partitur, die ich noch von der Wittwe erhielt und die noch unter Weber copirt wurde, enthielt nur die Kürzungen. Es stehen Ihnen durch | mich in dem gleichen Falle jene ursprünglichen Lesarten später zu Diensten, neben welchen als Nachtrag dann die späteren Kürzungen freilich auch gegeben werden müßten, da sie alle von Weber herrühren, ich glaube, es sind ihrer 5 oder 6. Zugleich bemerke ich, daß es noch Conradin Kreutzer’sche Kürzungen giebt, die wahrhaft entsetzlich sind und die Weber mit Empörung erwähnt. – Das für Berlin 1825 nachcomponirte Pasdecinq müssen Sie natürlich auch bringen; auch das besitze ich nach der Orig. Part. copirt. So weit Euryanthe. – Nun eine meine Arbeit betreffende Angelegenheit. Weber giebt im III. Bande seiner hinterlassenen Schriften ein allerdings höchst lückenhaftes u. theilweise unverständliches Verzeichniß seiner Werke bis zur Euryanthe. 1802 führte er darin auf: „Einzelne Lieder gestochen bei Böhme in Hamburg.“ Von diesen ist als bestimmt dort herausgekommen, u. zwar zu dieser Zeit, durch eine Notiz Weber's das Lied: Umsonst. „Umsonst entsagt ich der | lockenden Liebe“, Alle Weber gab es später in sein op. 71 bei Schlesinger. Alles Übrige ist gänzlich verschollen! Nun aber cursiren in verschiedenen Sammlungen und Gestalten folgende ihm Zugeschriebene Lieder, so weit mir dergl. bis jetzt bekannt geworden sind, für die ich aber durchaus keine soliden Beweismittel, als wirklich von Weber herrührend, habe: 1.) „Herz, mein Herz“ Bei Simrock ist heraus Fantaisie sur l’air fav. de C. M. de Weber, (das ist mein Fingerzeig.) 2.) „Einsam, nein das bin ich nicht!“ überschrieben: Lied in der Fremde. Es ist vollständig gedruckt im Arion, Bd. II als Nro 88, Braunschweig b. Busse 3.) Erinnerung. „Schweigend in des Abends Stille“. Gdur. 10 Tacte. 8 Strophen. Als Webersche Composition auf dem Titel (ohne Verleger) genannt. 4.) Ständchen „Entschlummre schön Liebchen“ bei Schott als Webersche Compos. aufgeführt. – Meine Bitte an Sie, mein hochgechätzter lieber Freund, geht nun dahin, daß Sie die Güte haben wollten, dieser Dinge wegen bei Böhme in Hamburg ernstlich nachzufragen, | überhaupt jener „einzelnen Lieder“ wegen dort eine gewisse Untersuchung anzuregen, wie es nur der Musiker kann. Schon im vorigen Jahre übernahm der Commis einer hiesigen Handlung bei seinem dortigen Aufenthalte eine Nachfrage, die aber zu keinem weiteren Resultat führte, als daß ihm die Handlung Böhme erklärte sie habe nichts davon, wobei sie mir sehr freundlicherweise aber 6 Ecossaisen sendete, die ganz vergriffen seien, die aber von Weber componirt seien, wie nicht nur der Titel sagte, sondern womit auch Webers Werk-Verzeichniß vollkommen übereinstimmt. Nun ist, wie gesagt, die Forschung eines Musikers freilich von anderer Wirksamkeit, namentlich wird Ihr Name gewiß das Mögliche thun, weshalb ich zum Überfluß auch noch jene obigen Lieder notirt habe, die doch möglicherweise irgend eine Anknüpfung geben könnten, wie es mir bei meiner Arbeit schon mit dem glänzendsten Erfolg vorgekommen ist. Verzeihen Sie, wenn ich Sie mit dieser unbequemen und lästigen Arbeit | quäle, aber ich muß schon alle Segel ansetzen, um zum Ziele zu schwimmen. Das mir gütigst zur Ansicht offerirte Stück Clarinett-Sonate werde ich mir seiner Zeit von Ihrer verehrten Frau Mama zu diesem Zwecke erbitten. Und nun leben Sie, mein lieber Freund, recht recht wohl! Verzeihen Sie meine Anliegen und helfen Sie, so weit Sie können Ihrem von Herzen ergebenem F. W. Jähns