Berlin den 2. oct.
1864.
Mein hochgeschätzter Freund.
Zuvörderst meinen herzlichen Dank für Ihre gütige Besorgung meines Aufrufs im
Interesse meiner Weber-ArbeitGemeint ist der Aufruf an alle Besitzer von Weber-Autographen, sich bei Jähns zu
melden, welcher damit beginnen wollte, nach dem Vorbild des Köchelverzeichnisses
(Mozart) ein Weber-Werkverzeichnis
(erschienen 1871) zu erstellen.. Leider hat derselbe so wie alle übrigen in
einer großen Anzahl deutscher Blätter, noch so gut wie gar keinen Erfolg gehabt. Desto mehr ist mir
auf anderem Wege zugeflossen und ich kann mit großer
Genugthuung auf das Resultat meiner unausgesetzten Nachforschungen sehn, da es doch eine ziemlich bedeutende Anzahl von Werken sein wird, über die bisher jede Kenntniß fehlte und über die ich interessante Mittheilungen werde geben können.
Was das Euryanthen-Unternehmen betrifft, so hat es mich mit hoher Freude
erfülltGemeint ist die geplante,
von Ernst Rudorff redigierte Partiturausgabe der Euryanthe, die im Oktober 1866 bei Schlesinger in Berlin erschien (PN: S. 4791.).. Bei dem flauen Zustande
des Interesses für die deutsche Oper, ist es von höchster Wichtigkeit, daß dies
Hauptwerk Weber’s der
Antiquirung auf diesem Wege entrissen werden wird, die, wenn sie einträte, ein eben
so großerVerlust für die Kunst im Allgemeinen wie im Speziellen für die Ehre
deutschen Geistes sein würde. Möge der herrliche Wille nur nicht an der jämmerlichen
Geldseite scheitern, denn ich befürchte, daß es schwer halten wird, diese Anzahl von
Abonnenten zu erreichen. Wer ist im Stande von den
Musikern 10 rh für solchen Zweck zu opfern; die in Geldmitteln beschränkten haben es
nicht; die sogenannten gutgestellten – wie wenige sind da, die sich noch um Weber kümmern! Hat nicht der
übertriebene Beethoven-Kultus, ja ich möchte auch hier den Bach-Cultus nennen, (so
unendlich hohen Respect vor beiden Culten ich auch aus
tiefster Seele habe) – aber haben diese Verhältnisse nicht allesInteresse für
Weber verschlungen?
Ist nicht die Zeit-Richtung zugleich ihm entgegen? Die greifbare Formen-Größe Bachs, die reizvolle, tiefsinnige
Unbefriedigtheit Beethovens, das revolutionäre Prinzip in ihm, ist sind das nicht Dinge, wie sie der Zeit grade nach
Wunsch sind, ja, die sie einzig bewegen. Wen
interessirt noch die farbenreiche, fast ausschließlich sich im Zauber der
romantischen Richtung bewegende Gefühlswelt Webers, die in sich
befriedigt dasteht? Ist sie nicht vollständig ein Fremdling geworden in
unseren realen Tagen, die nicht genug ertasten, berechnen und doch wieder immer auf‘s
Neue auf- und umstören, immer nur fordern und fast nicht mehr in
Befriedigung ausruhen können? – Doch warlich, ich schreibe Philippiken und noch dazu ganz unnütze, da ichgegen Sie
mich ereifere, der ein Hort gegen meine Besorgnisse zu sein verspricht. Dennoch muß
ich es, denn leider kann ich vorläufig keine anderen Abonnenten nennen, als: Webers
Sohn in Dresden und mich. Ich habe die hiesigen Musiker alle innerlich Revue passiren lassen;
manchen wüßte ich vielleicht, der die Partitur gern besäße, aber jene Mittel sind
nicht vorhanden. Die andern? – Ach Gott! Was müßten die wohl für Gründe bekommen, um
eine Webersche Partitur zu lesen u. nun gar zu kaufen! – Daß ich meine
Thätigkeit nicht werde erlahmen lassen, versteht sich von selbst und nächstens werde
ich mich an einen Münchener Freund wenden, von dem ich Interesse
voraussetze!Vermutlich meinte er
den Klarinettisten Carl Baermann. Auch
an die Wiener
Gesellschaft für derMusikfreunde
werde
ich mich deshalb wenden, sobald ein Mitglied derselben aus Italien wieder
zurückgekehrt sein wird, wohin es jetzt gereist istLeopold von
Sonnleithner hatte im Brief vom
15. August 1864 an Jähns seine bevorstehende Italienreise erwähnt.. – Von
diesen beiden hoffe ich bestimmte Zusage. Ob Moscheles, an den ich deshalb mit nächstem mich wenden
werde, (damit er beim dortigen Conservatorium
sich verwende) reüssiren wird, ist fraglich, eben so ist es mit Kittl in PragDer Jurist und Komponist Johann Friedrich Kittl (1806–1868) leitete von 1843 bis
1864 das Prager Konservatorium.. In Darmstadt habe ich einige Aussicht in Bezug auf die
Großherzogliche Bibliothek. – Verlieren Sie darum den Muth nicht. Eins kommt
schließlich zum andern.
Nur noch eine für Sie wahrscheinlich unnütze Frage. Unbedingt wissen Sie wohl schon,
daß Weber, ein Sklave
des Geschmacks genöthigt gewesen ist, den Theatern
gegenüber eine Anzahl Kürzungen mit der Euryanthe-Partitur vornehmen zu müssen.Er hat diese
Kürzungen bald nach seiner Rückkunft von Wien, wo man ihn, ganz gegen seinen Willen,
dazu zwang und später davon überzeugt, daß die Seichtigkeit die Oper sonst gar nicht statuiren
wollen würde, er hat, sage ich, diese Kürzungen allen später
verschickten Partituren einverleibt. Was ist das nun für eine, wonach Cranz stechen will?Die ursprünglich vorgesehene
Zusammenarbeit mit dem Verlag Cranz kam nicht
zustande. Doch nicht etwa eine solche? Sehen Sie ja nach! Wie der Clavierauszug die
Oper giebt, so ist ihre Urgestalt. Ich habe mir die
ursprünglichen Lesarten der Original-Partitur jetzt in Dresden sorgfältig abgeschrieben,
denn meine eigne Partitur, die ich noch von der Wittwe erhielt und die
noch unter Weber copirt
wurdeD-B, Weberiana Cl. IV A,
Bd. 118, 1–3; laut eingeklebter Quittung
entstand die Partitur 1825. Jähns erhielt sie laut Eintrag am 28. Mai 1833 von
Caroline von Weber., enthielt nur die Kürzungen. Es stehen Ihnen durchmich in
dem gleichen Falle jene ursprünglichen Lesarten später zu Diensten, neben welchen als
Nachtrag dann die späteren Kürzungen freilich auch gegeben werden müßten, da sie
alle von Weber herrühren, ich glaube, es sind ihrer 5 oder 6. Zugleich
bemerke ich, daß es noch Conradin Kreutzer’sche Kürzungen
giebt, die wahrhaft entsetzlich sind und die Weber mit
Empörung erwähnt. – Das für Berlin 1825 nachcomponirte Pasdecinq müssen Sie natürlich auch bringen;
auch das besitze ich nach der Orig. Part. copirt. So
weit Euryanthe. –
Nun eine meine Arbeit betreffende Angelegenheit. Weber giebt im III. Bande seiner hinterlassenen Schriften
ein allerdings höchst lückenhaftes u. theilweise unverständliches Verzeichniß seiner
Werke bis zur Euryanthe. 1802 führte er darin auf: Einzelne Lieder gestochen bei Böhme in Hamburg.
Von diesen ist als bestimmt dort
herausgekommen, u. zwar zu dieser Zeit, durch eine Notiz Weber's das Lied: Umsonst. Umsonst entsagt ich
derlockenden Liebe
, Alle
Weber gab es später in sein op.
71 bei Schlesinger. Alles Übrige ist gänzlich verschollen!Bei Böhme in Hamburg erschien,
wie Verlagskataloge und Zeitungsanzeigen beweisen, nur dieses eine Lied Webers im
Erstdruck. Nun aber cursiren in verschiedenen Sammlungen und Gestalten
folgende ihm Zugeschriebene Lieder, so weit mir
dergl. bis jetzt bekannt geworden sind, für die ich aber durchaus keine soliden
Beweismittel, als wirklich von Weber herrührend, habe:
1.) Herz, mein
Herz
Das Lied (JV
Anh. 116) stammt nicht von Weber, sondern von
Friedrich Glück (aus: Acht Lieder mit
Begleitung des Pianoforte, Leipzig, Breitkopf & Härtel, PN: 2208,
erschienen 1815, Titel: Das Schweizerheimweh). Bei
Simrock ist heraus Fantaisie sur l’air fav. de C. M. de
WeberFantaisie von
Friedrich Burgmüller, op. 43/4, Nr. 3, erschienen bei
Simrock 1839 (PN: 3537.)., (das ist mein Fingerzeig.)
2.) Einsam, nein das bin ich nicht!
überschrieben: Lied in der FremdeLied JV Anh. 98, Text von Theodor Hell; die Zuschreibung an Weber konnte
noch nicht geklärt werden.. Es ist vollständig gedruckt im Arion, Bd. II als Nro 88, Braunschweig b. Busse
3.) Erinnerung. Schweigend in des Abends Stille
Das Lied (JV Anh. 99) stammt von
Johann Heinrich Karl Bornhardt und wurde 1812 in dessen
Sammlung Arion (Leipzig, Kühnel, PN: 1047, Heft 1, Nr.
4) veröffentlicht. Als angebliche Komposition Webers erschien
es bei mehreren Verlagen (u. a. Böhme, Cranz, Lose, Rudolphus).. Gdur. 10 Tacte. 8 Strophen. Als Webersche Composition auf dem Titel (ohne Verleger) genannt.
4.) Ständchen
Entschlummre schön Liebchen
bei Schott als Webersche Compos. aufgeführtWebers Wiegenlied erschien bei Schott ca. 1825/26 unter dem von Jähns genannten Titel mit
alternativer Textunterlegung (PN: 2372).. –
Meine Bitte an Sie, mein hochgechätzter lieber Freund, geht nun dahin, daß Sie die
Güte haben wollten, dieser Dinge wegen bei Böhme
in Hamburg ernstlich
nachzufragen,überhaupt jener einzelnen
Lieder
wegen dort eine gewisse Untersuchung anzuregen, wie es nur der Musiker kann. Schon im vorigen Jahre übernahm der
Commis einer hiesigen Handlung bei seinem dortigen Aufenthalte eine Nachfrage, die
aber zu keinem weiteren Resultat führte, als daß ihm die Handlung Böhme erklärte sie habe nichts davon, wobei sie mir sehr
freundlicherweise aber 6 Ecossaisen sendeteDer Erstdruck (ohne PN) erschien 1802 bei Böhme in Hamburg., die ganz vergriffen seien, die aber von Weber
componirt seien, wie nicht nur der Titel sagte, sondern womit auch Webers Werk-Verzeichniß vollkommen übereinstimmt. Nun ist,
wie gesagt, die Forschung eines Musikers freilich von
anderer Wirksamkeit, namentlich wird Ihr Name gewiß
das Mögliche thun, weshalb ich zum Überfluß auch noch jene obigen Lieder notirt habe,
die doch möglicherweise irgend eine Anknüpfung geben
könnten, wie es mir bei meiner Arbeit schon mit dem glänzendsten Erfolg vorgekommen
ist.
Verzeihen Sie, wenn ich Sie mit dieser unbequemen und lästigen Arbeitquäle, aber
ich muß schon alle Segel ansetzen, um zum Ziele zu schwimmen.
Das mir gütigst zur Ansicht offerirte Stück Clarinett-SonateEin Bruchstück des Entwurfs zum Grand Duo (Takt 59 bis 129) war aus dem
Nachlass von Lichtenstein in den Besitz
Rudorffs übergegangen (heute D-B, Mus. ms. autogr. C. M.
v. Weber 4); vgl. Weberiana 8, S. 61.
werde ich mir seiner Zeit von Ihrer verehrten Frau
Mama zu diesem Zwecke erbitten.
Und nun leben Sie, mein lieber Freund, recht recht wohl! Verzeihen Sie meine
Anliegen und helfen Sie, so weit Sie können
Ihrem
von
Herzen ergebenem
F. W.
Jähns