## Title: Friedrich Kind an Friedrich de la Motte Fouqué. Dresden, Mittwoch, 17. September 1823 ## Author: Kind, Johann Friedrich ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A042067 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Dresden, 17. Sept. 1823. Verehrter und geliebter Freund, Sie verkündeten mir in Ihrem lieben, doch kurzen Briefe vom 11. Mai einen längern, und diese frohe Erwartung ließ mich bis jetzt schweigen. Allein nun, da mein Taschenbuch völlig fertig ist, kann ich nicht länger anstehen, meine Schuld abzutragen. Ein Exemplar des Taschenbuchs selbst werden Sie des ehesten durch den Verleger erhalten, den ich dazu angewiesen habe. Ich meinerseits füge diesem Briefe die Aushängebogten und 12. Louisd. bei. Empfangen Sie zugleich meinen innigsten Dank, und wenn Sie mir zum Taschenbuche 1825. wieder etwas spenden wollen, – sey es in gebundener oder ungebundener Rede – so laßen Sie mir es bald möglichst zukommen! Sie wißen ja, wie es mit den Taschenbüchern geht; man muß zeitig damit in Ordnung kommen, zumal hinsichtlich der Kupfer. Auch für den Osterpsalm meinen freundschaftlichsten Dank. Ich habe ihn mehern dichterischen Freunden mitgetheilt. Anna Boleyn von Gehe – wonach Sie Sich erkundigen – ist auch hier gegeben worden, u. hat theilweise Beifall gefunden. Der Dichter ist ein junger Sachwalter hier, noch nicht dreißig Jahr alt. Gegen die Diction des Stücks möchte wenig einzuwenden seyn, ja einige Stellen sind wahrhaft dichterisch. Doch fehlt es dem Ganzen, wie fast allen Dichtungen Gehe's, an innerm Leben; es klingt wohl schön, aber es dringt nicht an's Herz. Mir scheint es, es ist dem Dichter mit der Poesie zu wenig ernst, er dichtet nicht so recht aus innerer Nothwendigkeit, er würde es recht füglich unterlaßen können, thät er's nicht der Ehre | und des Honorars wegen – er liebt überhaupt noch zu sehr Zerstreuungen – Neuerlich hat er für Spohr eine Oper geschrieben – Jessonda genannt, eigentl. die ehemalige Lanassa, – die gefallen hat. Sie ist in Cassel mit dem größten Glanz aufgeführt worden, an andern Orten aber noch nicht – daher man freilich den fernern Erfolg noch erwarten muß. – Übrigens hat Tiek, obwohl immer kränkelnd, die Anna Boleyn in der Ab.[end] Zeit.[ung] tüchtig zusammen gehauen – „das war kein Heldenstük, Ottavio!“ u dadurch dem jungen Dichter ungemein geschadet. Von Ihrem Gutachten über Ella habe ich in der Abendzeitung den Anfang mitgetheilt, und einige Abschnitte, die sich auf daßelbe Stück beziehen, folgen lassen. Alles, was Sie angeführt, kann ich freilich nicht geben, theils, weil man es mir zu Ruhmredigkeit auslegen würde, theils auch, weil es sich auf Veränderungen bezieht, die ich nach Ihrer Ansicht gemacht habe. Die frühere Lesart würde den Lesern gleichgültig seyn. – Übrigens hat mir diese mit großer Liebe vollendete Dichtung, den Beifall, den Sie u einige andere Dichter ihr geschenkt haben, ausgenommen, noch wenig Freude gemacht, und – wär die innere Stimme nicht gebieterischer, man könnte in Deutschland leicht die Lust verlieren, etwas fürs Theater zu dichten, das wirklich dichterisch wär. leichte Sächelchen, Übertragungen aus dem Französischen, | damit fährt man am besten; die werden bald gegeben, und thun sie auch wenig, sie kosten auch wenig Mühe und Geld! – Hier, in Berlin, in München, in Wien, in Leipzig, allenthalben sollte das Stück gegeben werden; aber überall fanden sich Hinderniße – bis man es in Frankf. a. M. aufs Schaffot brachte! Diese Hinrichtung hat nun ein Frankfurter Juden-Doctor in sechs, sieben Tageblättern freudig verkündet – und nun fragt Niemand: trägt der Dichter oder die Schauspieler, oder das Publicum die Schuld? und die lieben Directionen, die ja doch wohl selbst Augen haben sollten, warten eine auf die andere. Hier – waren zu Ende Sommers die Schauspieler verreiset und nun heißt es wieder, es sey für den Hof zu schauerlich; man müße erst specielle Ordre einziehen. In Wien – hat es Vogel wienerisirt; es hat die Censur passirt; aber der Policei-Minister hat es in den Bann gethan und es fragt sich, ob er aufgehoben wird. – Unser Brühl scheint auch – durch das Schicksal der Innocenzia von Lewezow er meint, auf ein Urtheil Wolffs gestützt, der 4te und 5te Act müße in einen zusammengezogen werden. Aber das geht ja nun und nimmermehr! Die Eintheilung der Acte ist ja nicht willkührlich, ja die ersten 4. sind so zu sagen wegen des 5ten da! – Was ich thun konnte, habe ich gethan. Ich habe noch Vieles gestrichen und dieselbe | Lesart nach Berlin gesandt, die ich für Dresden einrichtete. Daß dabei manches gewonnen, will ich nicht in Abrede stellen; die langwierige Beschäftigung mit einer Sache bringt das schon mit sich. So gefällt es mir z. B., daß eigentlich vom Todtentanze – hier fürchtet man sich schon vor dem Worte! – nichts namentlich erwähnt wird, obwohl er ziemlich der alte geblieben ist. Er erscheint als ganz weiß gekleideter Pilger. Man merkt wohl, was für eine Art Gast er sey – aber eben, daß es nicht deutlich gesagt wird, macht es, wie mir scheint, dichterischer als vorher. Weber ist vorgestern nach Wien gereist, um die Euryanthe aufzuführen. Er schien doch etwas unruhig. Fr. v. Chezy hat mir die Oper vorgelesen; es sind sehr hübsche Lieder darinnen – eine Gattung, worin sie sich überhaupt auszeichnet. Ob jedoch das Ganze von großer dramatischer Wirksamkeit seyn werde, wage ich nicht zu entscheiden. Es wird nirgends ein rechtes Ganzes; man sieht wohl, es ist hie und da an- und abgebaut. Nun ist es fast ja so gut als hätten wir ein Stündchen mit einander geplaudert. Warum sind Sie denn nicht gekommen in diesem Sommer? Sie ließen es uns ja hoffen! – Ich bin fast nicht aus der Stadt gekommen, einen kleinen Abstecher nach Gersdorf zu Gen. Leyser abgerechnet. Dort gab es recht artige Feste – Privat-Komödie – ein maskirtes Caroussel, das recht sehr hübsch war!Mit Treue und Liebe Ihr Kind