## Title: Abschieds-Spruch an den Meister Weber von seinen Berliner Gesellen. 19. August 1812 ## Author: Hinrich Lichtenstein ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A032232 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Abschieds-Spruch an den Meister Webervon seinen Berliner Gesellen.Am 19t August 1812*)*)Dieser Abschiedsspruch ist unter unsern engeren Freunden in einigen fehlerhaften Abschriften vorhanden. Ich erkenne nur diese für richtig. L. Es ist mit der Gedanken Fabrik Wie mit einem Weber-Meisterstück, Wo Ein Tritt tausend Fäden regt, Die Schifflein herüber hinüber schießen, Die Fäden ungesehen fließen, Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt. — Das preisen die Schüler aller Orten Sind aber doch keine Weber geworden. Nach altem Brauch entlassen wir einen wackeren Gesellen nicht ohne einen ehrlichen Spruch aus unsrer Mitte und gedenken dem Abschiede der uns an die Unbeständigkeit und den Wechsel alles Menschlichen erinnert, gern an die Festigkeit unsers Freundes und an die ewige Dauer der Gesetze, nach welchen er sich schloß und bestand. Denn als wir uns nicht suchten, fanden wir uns einander zugeführt durch die Kunst und die Liebe zu ihr, und was ein Jeder davon in sich trug, gebend oder empfangend gewann er damit die Andern. Genossen gleicher Freuden waren wir so seit lange | Gesellen einer Innung sind wir erst seit der Meister zwischen uns trat, der heute scheidet, der mit hellem Blick, was Gutes an uns war, erkannte und uns einander selbst verstehen lehrte. Um diese Säule haben wir uns fester geschlossen und Sicherheit aneinander gewonnen, daher uns auch gern seine Gesellen genannt und uns sogar an seinem Namen, guter Vorbedeutung halber, gefreut, weil im Weber zumeist die Kunst aus dem Handwerk hervortritt, wenn er aus gemeinen Flachsfäden uns nun das Gedecke mit Bildern von Thürmen, Bäumen und Schiffen bereitet, denn geistig mußte er es schaffen, noch ehe bevor er's begann. In seinem Werk ist am Deutlichsten auf heimliche Weise geoffenbart, wie sich alle Kunst und alles Wissen, das Menschenleben, ja, die Weltgeschichte gestaltet. Denn ein großes unsichtbares Gewebe schwebt über der ganzen Menschheit aller Zeitalter, das wir ahnen, ohne es je klar zu erkennen, weil wir Alle nur so winzige Fädchen in dem großen Meisterstück sind, in welches sich unsere kleinen Schicksale verflechten, wir wissen nicht wie. Un doch sind wir da, als nothwendige Bestandtheile des Ganzen, verknüpfen Vergangnes mit Zukünftigem, Leibliches mit Geistigem, | Irdisches mit Ewigem und haben Alle unsre Bestimmung und unsern angewiesenen Platz. So ist auch unser einzelnes Leben ein wunderbares Gewebe, in welchem sich die hellen und dunkeln Fäden seltsam kreuzen und in welches viel gute und böse Menschen ohne unser Zutun verflochten sind und wird am Ende das Muster gar anders, als wir es uns gedacht hatten. Hie und da reißt ein Faden, dessen Ende wir nicht gleich wiederfinden und meinen, es müsse einen unherstellbaren Riß in dem Gewebe geben und knüpfet sich doch bald ein andrer an und füllet die Lücke und ist und bleibt doch immer ein Ganzes, das wir vielleicht einmal begreifen werden, wenns fertig ist. Darum nennt auch die gemeine Rede alles das menschliche Thun ein Wirken, weil Niemand einen losen Faden zu ziehn vermag, denn wie er ihn zieht, hängen sich andre daran und andre fahren darüber hin und kreuzen sich über ihm und fragen nicht, ob sie dürfen. Der Eine der wirkt Teppiche und köstliche Gewänder, der Andre Bänder und Spitzen, ein Dritter | Schweißtücher und grobe Leinwand und Keiner weiß, ob sein Gewebe zur Wärme oder zum Putz, ob es einmal zum Hochzeit-Gewand oder zum Todtenhemde diernen wird. Wer aber etwas schafft, es sei im Leben oder in der Wissenschaft oder der Kunst, der macht es, ihm selber unbewußt, nicht anders als der Weber und auch der Meister muß sich oft über sein Werk wundern, wenns fertig ist und weiß nicht, durch welche Kraft er es zu Stande gebracht, wie gut er sich auch seines Willens bewußt war. Alle Kunst nemlich hat ihren Aufzug und ihren Einschlag, wie ein Gewebe sie hat; ihren Aufzug, der wie die Weise eines Liedes ruhig durch das Ganze hinfließt oder wie die Umrisse eines Bildes das Gänze umgränzt und die Gestalten andeutet und die Maßen in Länge und Breite bestimmt; ihren Einschlag, der das Lockere bindet, dem Ganzen Haltung und Einheit giebt wie die HarmonienAccorde, die des Sängers Stimme begleiten und tragen, wie der Farbenduft, mit welchem der Maler sein Bild überzieht und alle Theile zu einem Ganzen verschmilzt. So kommen | auf dem Gewebe die Blümchen uns Bilder zum Vorschein, die das Herz oft so wundersam rühren. Der Meister hat sie vorher schon im Geiste gesehn und bedacht und sich ein Gesetz gemacht, wie er sie darstelle und nach welchem er sein inneres Gesicht auf verständliche Weise offenbare. Den Aufzug aber gibt die Natur, das Gefühl, ein innerer freier Drang, aber den Einschlag giebt die Kunst nach ihrem Gesetz. So haben auch die Werke des Künstlers kein andres Schicksal als die des Webers. Denn manch schöner Teppich wird von den Reichen mit Füßen getreten und von Unverständigen und Neidischen mit schmutzigen Schuhen besudelt, aber nach vielen Jahren, wenn die Wolle fast abgeschabt ist, die zierlichen Bilder aber noch in ächten Farben dastehn, kauft ihn ein Armer um geringes Geld und hängt ihn zum Fenster hinaus, wenn das Sacrament vorübergetragen wird, und freut sich seines Besitzes; und von den Vorübergehenden steht Einer oder der Andre still und bewundert das trefliche alterthümliche Kunstwerk, möchte es in seiner Frische gesehn und den Meister gekannt haben und bejammert das Geschlecht, das solch ein Werk auf den Fuß | boden legen konnte. Wird aber auch ein Weber-Meisterstück einmal in seinem Werthe erkannt, vielleicht im Tempel aufgehängt, so hat die unverständige Menge nur um so mehr daran zu tadeln und zu mäkeln. Gleich hängen sie andre daneben, die etwa bunter oder mehroder sonst nach ihrem verkehrten Sinne sind und solange über das Beste erhoben bleiben, bis die falschen Farben verschießen, der schlechte Zeug vom Staube morsch wird und von selbst in Lumpen herabhängt; indessen jenes Jahrhunderte ausdauert. Unvergänglicher aber als das herrlichste Kunstwerk ist die Kunst selbst und der Sinn dafür, der mit dem innersten Wesen der Menschheit zu innig verwebt, ist und zu nahe verwandt ist mit Allem, was wir Gutes und Hohes in uns selbst kennen, als daß er je erlöschen könnte. Eines ursprünglichen Wesens mit diesem Sinn ist die Ahnung des Ewigen und Unsterblichen, das Gefühl für Wahrheit, für Recht, für Liebe und Freundschaft; das wollen wir als eine heitre Ueberzeugung festhalten und vor allem in diesem Augenblick zu bedenken nicht vergessen, da wir uns von Euch, guter Meister Weber! | trennen sollen. — Ihr zieht von uns und wir sehn Euch ungern scheiden und wissen nicht wie uns sein wird, wenn Ihr nicht mehr unter uns weilt, denn Ihr seid uns Allen, die Ihr hier seht, wie ein heller freundlicher Streifen durch unser Lebens-Gewebe gezogen; wir haben Euch lieb gehabt, weil Ihr waret, wie Eure Werke, freundlich, gemüthlich, kräftig gesund und ehrbar, ohne Stolz und ohne Schmerz. Diese unsre Neigung wird also sich wachsend sich nähren an Euren Werken, denn Ihr habt mit Euren festeren Geweben Manchem unter uns den muthigen Sinn erwärmt und gekräftigt und mit Euren zarteren Gespinsten manches liebliche Gemüth umsponnen, daß wir Alle Eure feinen Werke gern und lange am Herzen tragen. Ein großes überdachtes Meisterstück habt Ihr uns schauen lassen,*)*)die Oper: Sylvana um dessen willen wir Euch besonders gern für unsern Meister erkennen, wie neidisch vornehm auch andre Weber auf das Kunstwerk herabblicken und zu verstehn geben wollen, Ihr wäret nicht | zünftig, weil Ihr Euren Stuhl einmal nach einem andern Maaß zugerichtet, als wonach allein sie zu arbeiten gewohnt sind; meinen, Ihr könntet es doch nicht wie sie, weil Ihr nicht wollt, wie Andre. Die kräftigen Regungen Eures jugendlich freien Genius der sich eigne Bahn bricht, schelten sie tolle Sprünge in's Blaue, weil sie wohl fühlen, daß ihnen zu Aehnlichem die Kraft wie die Kühnheit fehlt. Nun sie aber doch vor der lauten und Stimme der Wahrheit verstummen müssen, halten sie sich an Nebensachen und tadeln an Eurem Gewebe das Garn, das ihr zur Kette genommen. Es scheint uns aber fast auch, Ihr müßt in der Folge besseres suchen, wie schwer es auch zu haben sein mag weil es Schade ist um Eure schöne Seide und weil doch nicht Alle sich an der kunstreichen Oberseite genügen lassen, sondern sie wollen auch die Unterlage an der Kehrseite prüfen und ihren Werth mit den Händen ertasten. — Wie ungern wir Euch scheiden sehn, Meister Weber, wir entlassen Euch doch mit frohem Muth, denn wir halten Euch für einen glücklichen Mann, dem's nimmer und nirgend übel ergehn kann, und der sich überall mit seinen Liedern und seinem Saitenspiel die Thüren wie die | Herzen öffnent wird und dem gleich wohl wird, wo er ein fröhliches offenes Gesicht findet und wo ihm ein warmer Händedruck begegnet. Darum sind wir auch stolz darauf und haben selbst im Abschied eine Freude daran, daß Ihr gern in unserm Kreise gewesen und uns lieber als vielen Andern Eure Lieder gesungen. Wir denken, Ihr könntet die Liebe, womit wir Euch lohnten, auch in der Ferne bei den alten Freunden und zwischen vielen neuen, die Euer warten, nicht vergessen, und werdet uns gern melden, was Ihr weiter spinnt und webt und senden uns zu Zeiten ein zierliches Bändchen oder Spitzen und Kanten von Eurer Arbeit, vielleicht auch ein Eckchen von Euren größeren Geweben zur Probe, mit gehöriger Bemerkung der Breite und Länge des Stücks. Auch von uns sollt Ihr das Beste bekommen, was wir immer hervorbringen mögen, wo es uns denn Freude machen wird zu hören, es hätte Euch gefallen, auch wenn es nicht unser Werk gewesen wäre. So zieht denn hin in Frieden und Glück, grüßt von uns im Auslande die Kunst- und Geistes-Verwandten und kehrt Ihr auf Eurer Wanderschaft einmal zu | rück an die Ufer der Spree, dann rufen wir Euch zum Empfang, wie jetzt zum Abschied, entgegen: Heil und Ehre unserm Weber! Es ist mit der Gedanken Fabrik Wie mit einem Weber-Meisterstück, Wo Ein Tritt tausend Fäden regt, Die Schifflein herüber hinüber schießen, Die Fäden ungesehen fließen, Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt. — Das preisen die Schüler aller Orten Sind aber doch keine Weber geworden.