Giacomo Meyerbeer an Carl Tescher in Darmstadt
Paris, Donnerstag, 3. November 1859

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Abschrift.

Hochzuverehrender Herr Director!

Sie haben mir bei meiner Durchreise in Darmstadt gesagt, daß Se Königl. Hoheit Ihr durchlauchtigster Herr Großherzog meine Oper Dinorah mit den Recitativen zu geben wünscht, welche ich für die Aufführung in der italiänischen Oper in Coventgarden in London dazu componirt habe. Es ist zwar meine Absicht nicht, daß sich die deutschen Bühnen dieser Recitative bedienen, da die Handlung bei dem gestochenen Dialog sich viel interessanter und verständlicher herausstellt als durch Recitative, wo ohne Entwicklung nur immer das nothwendigste der Fabel gesagt werden kann, und jedes Detail, jede Charakterentwickelung wegfällt. Der Intendant des Hannöverschen Hoftheaters Graf Platen*, welcher früher ebenfalls den Wunsch hatte, Dinorah mit Recitiative[n] aufführen zu lassen, hat ganz seine Meinung geändert, nachdem er kürzlich in Paris war und die Oper dort sah, wo er fand, daß mit dem gesprochenen Dialog sich die Handlung viel interessanter und klarer herausstellt als mit Recitiativen. Trotz dessen, mache ich es mir zur Pflicht mich den Wünschen Sr Königlichen Hoheit des Herrn Großherzogs ehrerbietigst zu fügen, und ich sende Ihnen daher gleichzeitig mit diesem Briefe meine für Dinorah componirten | /: italienischen :/ Recitative zur Benutzung für das Großherzogliche Theater von Darmstadt, mit dem Vorbehalte, daß Sie diese Recitative keinem andern Theater verabfolgen lassen.

Ich habe dabei zu bemerken, daß wenn die Oper mit Recitativen gegeben wird, die Scene der beiden Bauern Loic und Claude, die in dem französischen Libretto zu Anfang des II. Aktes steht ganz wegfällt und durch das Recitativ und die neu componirte Arie (welche sich bei den Recitativen befindet,) ersetzt wird, welche von einem der beiden weiblichen Ziegenhirten gesungen werden muß, die im 3. Act die zweistimmige Villanella singen. Da durch diese neue Arie im 2. Act diese Stelle eine größere Bedeutsamkeit als in der Version mit gestochenem Dialog erhält, so muß diese Rolle von derjenigen Künstlerin gesungen werden welche in Lucrezia Borgia den Messi Orsini, in der Linda di Chamounix den Pierotto, und dergleichen erste Mezzo Sopran-Rollen singt. Ueberhaupt aber müssen die 4 episodischen Rollen im dritten Akt (der Jäger, der Heumäher und die zwei weibliche Ziegenhirten) von ersten Sängern executirt werden, wie dieß auch bei den Aufführungen in Paris und London der Fall ist, da die Rollen trotz ihrer Kürze für den Erfolg des 3ten Aktes von der größten Bedeutung sind. – Sie werden nun wahrscheinlich auch schon aus Berlin die Partitur | mit deutschem Text, das deutsche Libretto und die deutsche Mise en Scene erhalten haben, da ich die Autorisation dazu gegeben habe. - Sie frugen mich in einem früheren Briefe nach den Honorarbedingungen unter welchen ich die Partitur der Dinorah Ihrem Theater überlassen will. Wenn nun auch allerdings alle andre Theater ein Honorar für die Erlangung der Partitur zu zahlen haben, so kann dieses doch für das Darmstädter Hoftheater nicht stattfinden. – – Seine Königl. Hoheit der Herr Großherzog, dieser erleuchtete Kenner und erhabene Beschützer der Künste, haben durch die glanzvolle musikalische und scenische Weise, mit welcher Allerhöchstdieselben alle meine Opern auf das Großherzogliche Hoftheater zur Aufführung kommen ließen, und durch die huldvolle Sympathie, welche Se Königl. Hoheit mir für diese Werke in Berlin auszusprechen geruheten, mir ein mein Verdienst weit überragenden Lohn gewährt, und es wird mich glücklich machen, wenn Se Königliche Hoheit die Partitur der Dinorah als ein Tribut meiner ehrfurchtsvollen Dankbarkeit gnädigst entgegennehmen wollen.

Darf ich sie bitten hochgeehrter Herr Director das Organ dieses meines ergebensten Wunsches bei Ihrem allergnädigsten Herrn sein zu wollen?
Mit der vorzüglichsten Hochachtung habe ich
die Ehre zu verbleiben Ew. Wohlgeboren | ergebenster
G. Meyerbeer.
/: Adresse: Rue d’Hôtel Richepauce: à Paris :/

P. S. Es ist hier eine Maquette erschienen, welche im Kleinen sehr genau den Mechanismus der Decoration des 2ten Aktes mit dem Einsturz der Wasserschleusen zu erkennen giebt, ferner Lithographien, die andre Decorationen darstellend: endlich auch die Costüme-Bilder. Wünschen Sie diese Gegenstände zu haben, so bin ich bereit sie Ihnen zu besorgen und zu schicken.

Apparat

    Einzelstellenerläuterung

    • „… des Hannöverschen Hoftheaters Graf Platen“Julius von Platen-Hallermund (1816–1889), seit 1867 Leiter des Hoftheaters und der Königlichen Kapelle in Dresden.

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