## Title: Aus einem Briefe an den Herausgeber, geschrieben nach Durchlesung des Aufsatzes „Ueber die Concurrenz von zwey Kritiken“ ## Author: Giacomo Meyerbeer ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030748 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ – Aus einem Briefe an den Herausgeber, geschrieben nach Durchlesung des Aufsatzes „Ueber die Concurrenz von zwey Kritiken“ – Wenn gegen einen Mann, wie Herr Gottfried Weber, dessen Verdienste um den theoretischen Theil der Tonkunst überhaupt, und um den Musikzustand in Mannheim insbesondere, sonst anerkannt sind, plötzlich von unbekannter Hand ein Pfeil geschleudert wird, so würde gewiß jeder Unbefangene von selbst auf den Gedanken gekommen seyn, daß leidenschaftliches Privat-Interesse diese Hand geführt habe, auch ohne das naive Selbstgeständniß des Herrn Diamone, durch welches wir erfahren, daß nur die Weigerung der Redaction, seine Recension über das Konzert am 15. Nov. anzunehmen, ihn zu dem Ausfalle gegen Herrn Gottfried Weber verleitet hat. – Wenn nun gleich Beleidigungen, deren Quelle gekränkte Autorsucht ist, sich am leichtesten verschmerzen lassen – eben ihrer Quelle halber – so liegt doch in der Art, mit welcher Herr Diamone den musikalischen Standpunkt seines Gegners (?) bezeichnet hat, zu viel die Rechtlichkeit Empörendes, um es ganz mit Stillschweigen übergehen zu können. Herr Weber ist kein Dilettant, (als welchen ihn der Verfasser der Antikritik stets behandelt), sondern Künstler, im wahren Sinn des Wortes; denn hoffentlich ist doch wohl nur in dem höhern Grade der Leistungen das Unterscheidungszeichen des Letztern vom Erstern zu finden, nicht aber darin, daß der Ausübende den Lebensunterhalt durch seine Kunstwerke erwirbt. Wer nun aber mit der Beherrschung aller technischen Schwierigkeiten, mit der Kenntniß der Ursachen und der Mittel, auch die schöpferische Kraft verbindet, der darf gewiß auf den Namen: „Künstler“ Anspruch machen. Daß Hr. Weber alle diese Bedingungen erfüllt und in vollem Maße erfüllt, davon haben alle Musikkenner in den öffentlichen Aufführungen seiner Messen und Kantaten sich zu überzeugen Gelegenheit gehabt. Auch hat ein kompetenter Richter, das Mannheimer Publikum, durch die Anerkennung, welche es diesen Produkten gezollt hat, seine Uebereinstimmung mit der eben geäußerten Behauptung zu erkennen gegeben. Sollte mir es daher der Verfasser der Antikritik wohl übel deuten können, wenn ich aus allem diesen vermuthe, daß er von den Kompositionen des Hrn. W. nur wenig und flüchtig, oder auch vielleicht gar nichts gehört, von dessen verschiedenen theoretischen Abhandlungen nichts erfahren habe? Alsdann hätte er aber doch das Verdienst des Künstlers etwas weniger schnell und leichthin würdigen sollen. Herr Diamone wünscht, daß Madame Weber (die bey ihrer schönen Methode ihre herrliche Stimme so in der Gewalt hat, daß sie auch in dem kleinsten Lokale nicht zu stark klingt) künftig lieber blos in der Kirche singen soll, indem ihre Stimme für einen Konzertsaal (der doch von der ersten Größe ist) zu durchgreifend sey. Ungleich stärkere Stimmen und von schneidenderm Klange als Mad. Webers Töne, z. B. die der Damen Bertinotti, Schmalz, und Hauptmann-Milder, dürften also auf diese Weise nie, höchstens auf offenem Markte, ein ihrer Stimme angemessenes Lokale zu finden hoffen. Endlich werden auch in dieser Antikritik dem Hrn. Weber Vorwürfe darüber gemacht, daß er es wage, seine Ansichten über Kunstwerke auszusprechen, deren Verfasser an Berühmtheit hoch über ihm stünden. Dem zufolge also müßte der Kritiker stets eine Stufe höher stehen, als der von ihm beurtheilte Künstler! Händels, Glucks, Mozarts Kunstschöpfungen lägen also außer dem Gebiete der Kritik: denn wo lebt der Kritiker, der es wagen könnte, als Künstler einen Platz über diese Unerreichbaren einnehmen zu wollen? Nach dieser Maxime läge es endlich auch dem H. Diamone ob, zu erweisen, daß seine Leistungen als theoretischer und praktischer Musiker die des Herrn Webers überträfen, da er sich doch als des letztern Kritiker aufwirft. – Hohe Achtung gegen ein Künstlerpaar, dessen Anspruchslosigkeit und schönes Streben nur das innigste Wohlwollen zu erwecken geeignet sind, und ihnen jetzt so plötzlich Anfeindungen zuziehen, hat mir diese Zeilen eingegeben. Als Kunstgenosse und Kunstfreund des Hrn. W. (in welcher letztern Eigenschaft ich viele ausgezeichnete Kompositionen von ihm kennen lernte) habe ich geglaubt, daß mir vielleicht auch ein Urtheil über die Würdigung dieses Künstlers zustehe, und ich ersuche Sie deshalb, mein Herr, diesen Bemerkungen einen Platz in Ihrer Zeitschrift zu schenken. Lebhaftes Gefühl für Wahrheit und Gerechtigkeit leitet meine Feder; dies Bewußtseyn läßt mich den Mantel der Anonymität verschmähen, und ich bitte Sie daher, diesem Aufsatze meinen Namen beizufügen. Darmstadt, den 7. Dezember 1811. J. Meyer Beer.