## Title: Ignaz Moscheles an Max Maria von Weber in Dresden. Leipzig, Sonntag, 15. September 1861 ## Author: Moscheles, Ignaz ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A045798 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Leipzig den 15. Sept. 1861 Geehrter Herr und Freund. Es ist mir eine heilige Pflicht, das Andenken Ihres seligen Vaters zu ehren, und ich schätze mich glücklich, wenn ich durch meinen persönlichen Umgang mit ihm im Stande bin, etwas zur Illustration seiner ruhmvollen Tage beitragen zu können. Mein Umgang mit ihm in Wien, als er erst als glorreicher Klavierspieler erschien, als er seine großen Sonaten begeistert, vollendet spielte, gehört zu meinen schönsten Erinnerungen. Später wurde er dort gefeiert durch die Schöpfung seiner Euryanthe, die im Hof-Opern-Theater zuerst zur Aufführung kam, die der Sontag, der Grünbaum und Forti Gelegenheit gab, einen Schatz von Lorbeern zu sammeln. Über den unbestreitbaren Triumpf, den Ihr Vater damals genossen, | haben alle Zeitungen berichtet, und die Anerkennung, die das Werk steigernd erhalten, ist im Verhältniß mit dem höhern Styl, den der Komponist des Freischütz behandelt hatte. Ich war so glücklich, der ersten Vorstellung beizuwohnen, bei welcher Ouverture und Schluß des 1sten Finales wiederholt werden mußten, und wohnte dann der Jubelfeier der Gesellschaft „Ludlamshöhle“ bei, in welcher die Elite der Schöngeister Wiens ihn auf Händen trugen. Doch zurück! zu den letzten Tagen seines Londoner Aufenthaltes (1826), wo er im Hause meines verehrten Freundes Sir George Smart wohnte. Die Hochherzigkeit, mit welcher dieser Mann für ihn sorgte, wie er ihn verehrte, mit welcher Pietät er sein Andenken und einige Reliquien von ihm bewahrt, sollten mir eigentlich ersparen, Details über Ihres seligen Vaters letzte Lebenstage zu geben, weil Sir George Smart Ihnen ohne Zweifel jede Auskunft darüber gegeben, oder zu geben bereit ist. Ich biete Ihnen also blos einige Notizen, die ich in meinem Tagebuche finde. – Um kurz zu sein, nenne ich Ihren Vater immer „W“. Am 5ten März 1826 ist W. in Begleitung von Fürstenau in London angekommen u. gleich in Sir George Smart's Hause empfangen worden. Den nächsten Tag besuchte ich W. und fand ihn sehr angegriffen von der Reise. Sir G. S. hatte Mühe, die vielen Besuchenden theils Kunstbegeisterte, theils Neugierige aus W's Gegenwart zu entfernen oder gänzlich abzuweisen. Ich übergab an diesem Tage das Manuscript meiner Etüden dem Stecher, und hielt es für ein gutes Omen! 7. März. Mein Schwiegervater war bei uns zum Besuch in London. Wie glücklich schätzte sich meine gute Frau, W. u. Fürstenau zu Tische bitten zu können, | W. erreichte die eine Treppe zu uns nicht ohne Beschwerden, doch war seine Laune und seine geistreiche Unterhaltung nicht geschwächt. Abends fuhren wir mit ihnen Allen nach der großen italienischen Oper, wo uns Mr. Allen (der Mann der Sängerin Caradori) eine Loge aufbewahrt hatte. Wir fanden da Mrs. Cramer und ihre Tochter Annetta nebst Mr. William Beale (ein vortrefflicher Klavierspieler, mein bester Schüler.) Die W. nur zu bekannte Oper „Teobaldo ed Isolina“ von Morlacchi, in welcher Velutti fürchterlich falsch sang, ermüdete ihn bald. Um so weniger konnte er für die seichte Musik gewesen sein, weil seine Gedanken noch getheilt waren durch die Vollendung seines Oberon (dessen Proben schon begonnen hatten) und durch die Anpassung an Braham's (des „Hüon“) Ansprüche, die ihn später zur Komposition einer neuen Arie veranlaßten. Kurz, die Hitze des Hauses wirkte so erschöpfend auf ihn, daß er sich noch vor Ende der Vorstellung zurückziehen mußte. 8. März. Mit meiner Frau war ich im Coventgarden-Theater, wo W. zum erstenmale vor einem englischen Publikum erschien. Es war ein erhebender Augenblick, als der enthusiastischste Empfang W.'s donnernd losbrach – nicht enden wollte das Jubeln und Schreien. W. dirigirte auf der Scene einen Auszug seines Freyschützen. Die Ouverture wurde jubelnd wiederholt. Braham, Miss Paton u. Mr. Phillips sangen die Haupt-Scenen der Oper mit Begeisterung. W. reichte während des enthusiastischen Applauses den Sängern die Hände, um seine Zufriedenheit u. seinen Dank auszudrücken, während das ganze Parterre auf die Bänke stieg, Hüte schwenkend und die Damen aus den Logen mit wehenden Tüchern dem Meister begeisterte Blicke zuwarfen. Ich ging hernach in's Green-room, wo ich W. unter der Last der Aufregung noch erschöpft fand; doch zeigte sein matter Blick | eine innere Glückseligkeit, und ließ errathen, wie seine Gedanken heimwärts zu den Seinigen in Deutschland schwebten. Er war so umgeben von Kunst-Enthusiasten und Collegen, daß es mir Mühe kostete, die Gelegenheit zu benutzen, um einige Anstalten zu meinem nächstern Concerte zu machen, Braham und einige andere Sänger einzuladen etc: – 10. März. W.'s Zeit war gänzlich in Anspruch genommen durch die begonnenen Proben des Oberon und durch Ergänzung der Partitur. Ich durfte ihn nur auf gezählte Minuten besuchen und bedauerte doppelt, den Proben wegen eigener Berufsgeschäfte nicht beiwohnen zu können. Er versprach mir, die Direction eigener Compositionen in meinem Concerte zu übernehmen. Am 12. März trafen wir W. in einer großen Soirée bei Braham, wo er über Themas aus dem Freischütz äußerst interessant improvisirte und dann zu einer Soirée zu Mrs. Coutts eilte, wo er für 30 Guineen engagirt war. Am 13. März speisten W., Schulz, Fürstenau u. Miss Cramer bei uns, dann fuhren Alle wir zusammen nach dem Philharmonischen Concert, welches W. zum 1stenmale besuchte. Eine Haydn'sche u. Beethoven'sche Sinfonie wurde dem gefeierten Gaste zu Ehren mit großer Begeisterung aufgeführt. Eine Concertante für Horn, Clarinette u. Fagott (Pratt, Wilbain u. Mertke) verunglückte, dagegen gefiel Mr. Bellon's Violinspiel sehr. Bis zu Ende des Monats sah ich W. seltener, weil er die wenigen Stunden, die ihm die Theater-Proben übrig ließen, zur Ruhe bedurfte, auch weil ich in freien Stunden ein Concertstück: „Erinnerungen an Irland“ für mein Concert am 7. April zu komponiren hatte. Am 3. April dirigirte W. das 3te Philharmonische Concert. Seine Ouverturen zum Freischütz u. Euryanthe machten dieses Conzert zu einem unvergeßlichen Feste. Diese herrlichen Compositionen wurden unter der Klassischen Leitung des Komponisten mit hinreißender Begeisterung ausgeführt. Wie anspruchslos lächelte der Meister während der Aufführung, wenn seine innersten Gefühle wiedergegebern wurden! und wenn er dem donnernden Beifall des Auditoriums gegenüber stand und kaum zu danken wußte, indem er zu schwach war, seine Freude äußerlich merken zu lassen! Mad. Caradori sang eine W.sche Arie, die er für die Milder componirt hatte. Der Tenorist Sapio sang die Scene aus dem Freischütz. Der Clavierspieler Schunke ließ sich auch in diesem Concert hören und ging spurlos vorüber wie ein Wölkchen im Sonnenglanz. Am 7. April unterstützte mich W. freundschaftlichst in meinem Concerte in den Argyll-Rooms mit seinem bezaubernden Dirigentenstab bei mehreren seiner Werke, und unser Freund Sir G. Smart dirigirte den übrigen Theil des Programms. Ich spielte diesen Abend Hummel's Es dur Concert aus dem Manuscript mit geringem Erfolg. Glücklicher ging es mir mit dem ersten Vortrag meiner Fantasie „The Recollections of Ireland“, und W. bekomplimentirte mich auf's Schmeichelhafteste. Das beiliegende Blatt enthält einige Details über W.'s Mitwirkung. Daß ich W. einen überfüllten Saal (mit 1100 Personen) zu verdanken hatte, ist natürlich. – Am 11. April war im Coventgarden-Theater die General-Probe des Oberon. W. dirigirte sein Werk mit der größten Zuversicht und Ruhe vor einer großen erwartungsvollen Versammlung, die die lautesten Äußerungen von Entzücken nicht unterdrücken konnte. Außerdem daß Miss Paton („Rezia“) durch eine auf sie fallende Coulisse leicht beschädigt wurde, war keine Störung. | Über den glänzenden Erfolg (des Oberon) der Vorstellung am nächsten Abend (d. 12. April) sind Sie gewiß im Besitz von englischen Blättern. Am 27. April war das Concert von Mr. Hawes, dessen Tochter eine beliebte Alt-Sängerin war. W. dirigirte seine Ouverturen zum Freischütz u. Oberon , und das war hinreichend, den Saal zu überfüllen. – Am 29. April gaben wir eine Musik-Soirée bei welcher der Fürst Dietrichstein seinen Schützling (Sohn) Sigismund Thalberg (den ich damals unterrichtete) spielen hören wollte. Wir hatten dazu Cramer, Mori, Braham, Sir G. Smart, Carl Schlesinger, De Beriot, die Clavierspielerin Delphine Schauroth und viele Kunstfreunde eingeladen, um W. u. Fürstenau zu treffen, aber die Letzteren konnten nicht kommen, weil sie der Vorstellung von Aladin beiwohnen mußten Am 1. Mai war W. gegenwärtig im Philharmonischen Concert, wo sein Freund Fürstenau und De Beriot zum 1sten Mal auftrat. Fürstenau trug sein Cis moll-Concert vor; er war an diesem Abend durch Unwohlsein nicht im Stande, seine große Künstlerschaft in ganzem Umfange zu entfalten. Am 13. Mai. Ich besuchte W. u. fand ihn sehr erschöpft. Er meinte, das Klima verschlimmere sein Übel sehr und sprach die Hoffnung aus, daß er sich bald in Deutschland erholen könnte. Abend[s] fand in den Argyll-Rooms das jährliche Dinner der Royal Society of Musicians statt. Bei den musikalischen Vorträgen, die da gegeben werden, wird gewöhnlich einer der Fest-Märsche für Blasinstrumente aufgeführt, welche fremde Komponisten ersten Ranges, wie Winter, Haydn, Spohr für die Gesellschaft componirt haben. W. war nicht gegenwärtig. Es wurde aber ein neuer Marsch seiner Composition zum 1sten Male gegeben; er war beiläufig, wie folgt: | Nr.5 aus op.3 Ob deser Marsch wirklich aus seiner Feder geflossen, habe ich damals nicht zu ergründen Gelegenheit gehabt. Ich spielte an diesem Abend eine Improvisation und verwebte darin das Terzett aus Judas Maccabäus mit der melodischen Phrase dieses Marsches. Am 15. Mai verherrlichte W. wieder das Philharmonische Concert, und leitete die Gesangsvorträge der Miss Paton u. des Mr. Sapio so wie die glänzende Ausführung der Ouverture zum „Beherrscher der Geister“ die bis auf diesen Tag dort, so wie überall, wo gesunde Musik gewürdigt wird, Enthusiasmus erregt. Am 18. Mai hatte Braham ein Benefice im Coventgarden-Theater. Morgens ließ W. dort seine Ouverture zum „Beherrscher der Geister“ probiren. Ich probirte meine Fantasie „The Recollections of Ireland“ mit Orchester. Der Abend war verhängnißvoll. Das Haus war überfüllt von einer gemischten Menge, die sich nur in einem dramatischen Quodlibet mit gehörigem Unsinn, Possen u. Volks-Melodien unterhalten wollte; daß ein Weber auch dabei persönlich Theil nehmen sollte, schien Wenigen von Wichtigkeit. Nach der Oper: „The Slave“ gab Braham eine Art Potpourri, welches er „Apollo's Festival“ nannte. Als Einleitung dirigirte W. seine Ouverture zum „Beherrscher Geister“, schien aber von dem unaufmerksamen Theil des Publikums nicht bemerkt worden zu sein; | denn unter dem größten Lärm und Gepolter der Gallerie wurde sie zu Ende gespielt und der Vorhang ging auf, ohne daß W. den gewohnten Zoll der Verehrung des Publikums erhalten hatte. Eben so schlimm, und noch schlimmer ging es mir, nachdem ich mein Stück (auf der Scene) angefangen hatte. Im abwechselnden crescendo und decrescendo fielen gellende Stimmen der rohen Gallerie-Besucher ein, Pfeifen, Zischen, Applaudiren mischten sich, als wären die Elemente im Streite – ich hörte das begleitende Orchester nicht mehr. In dieser mir neuen unerwarteten Lage hatte ich den Vorsatz gefaßt, nicht abzubrechen und dem bessern Theil des Publikums zu zeigen, daß ich bereit war, zu thun, was ich versprochen hatte. Ich that, als spielte ich, bewegte die Hände auf u. ab und ließ endlich durch einen Wink den Director das letzte Tutti einsetzen. Einstimmiger Applaus (leider negativ) erscholl als ich die Bühne verließ. Ein eben solcher Vorfall begegnete der Miss Paton, die so exasperirt wurde durch die schnöden Unterbrechungen des Pöbels, daß sie in der Mitte ihrer Arie ausrief: „I cannot sing“! und schluchzend abging. Die gemeinsten Gassenhauer-Lieder wurden jedoch lauschend angehört und warm aufgenommen. – Ich lege einen Zeitungsbericht darüber bei, nicht daß solche Vorfälle in Ihres Vaters Biographie von Interesse sein könnten, aber nur, um zu zeigen, daß auch er für seinen Freundschaftsdienst für Braham eine unangenehme Erfahrung eintauschen mußte. Am 20. Mai machte ich ihm wieder einen Besuch, um ihn für die Vorbereitungen zu seinem Concerte am 26sten Mai meine Dienste anzubieten. Er sagte mir gerührt, wie liebenswürdig ihm seine Kunstfreunde, Sänger und Sängerinnen entgegen kämen, um sein Programm auszufüllen, daß er die Aufführung seiner Cantate „The Festival of Peace“ einzustudiren u. aufzuführen gedächte, | daß aber an sein Klavierspiel nicht zu denken sei. Er ersuchte mich daher, ein Solo zu spielen, welches ich ihm auch zusagte u. somit nächst den Vorträgen von Fürstenau u. Kiesewetter (Violine) die Instrumental-Stücke besetzt waren. – Abends traf ich ihn in der Soirée bei François Cramer (Bruder des Clavierspielers). Dort waren viele seiner deutschen Freunde und Bewunderer geladen: Fürst Dietrichstein, der junge Thalberg, die ausgezeichnete Klavierspielerin Delphine Schauroth, der Hornist Puzzi, De Beriot. Ich spielte u. musicirte abwechselnd mit den Andern u. W., in dem abgespannten Zustand seiner physischen Kräfte konnte nur eine kurze Zeit als Zuhörer Antheil nehmen. W.'s Concert rückte heran. Er hielt einige Privat-Proben der Cantate und endlich die Hauptprobe, trotz seines leidenden Zustandes mit vollständiger geistiger Umsicht und Kraft. Am 26sten Mai fand das Concert statt in den Argyll-Rooms. Aber empörend war es für seine Freunde und Verehrer, daß der Saal kaum 2/3tel gefüllt war. Epsom Races, schlechtes Wetter, das an diesem Tage überfüllte Morgen-Concert des Sängers Begrez beim Herzog St. Alban, sollen die Ursachen davon gewesen sein. Daß die in dem beiliegenden Program gegebenen Werke von W. enthusiastisch ausgeführt und ebenso aufgenommen wurden, versteht sich von selbst. Der Chor der Cantate mit folgendem Anfang: 4 Takte Notenbeispiel mußte wiederholt werden. In meiner Improvisation verwebte ich den Hauptgedanken dieses Chors mit einigen Reminiscenzen aus dem Freischütz. – Seit diesem Concerte wurde sein Zustand immer bedenklicher, und er litt still u. ruhig, ohne zu klagen. Am 29. Mai spielte ich im philharmonischen Concert. Man hatte W.'s Jubelouvertüre angesetzt. Vergebens | hofften wir Alle, daß seine Gegenwart noch einmal die Ausführenden begeistere – er war zu erschöpft, um der Hitze eines Concert-Saales zu widerstehen. Am 3. Juni besuchte ich W. u. fand seinen Zustand Kummer erregend – er athmete schwer! – Dennoch sprach er von seinen Reiseanstalten, u. daß er das ihm versprochne Benefice im Freischütz aufgebe, um in wenigen Tagen lieber abzureisen. Wiederholt fragte er mich, ob ich nicht Aufräge für Deutschland geben wollte. Abends hörte ich den Oberon bei einem überfüllten Hause – aber besser war es, daß der Schöpfer dieses Werkes nicht gegenwärtig war; denn Miss Paton war durch eine mittelmäßige Substitutin vertreten und Braham war auch nicht bei Stimme. Das Publicum war mit dem theilweise Mangelhaften nachsichtig und zollte dem Werke die theilnehmendste Aufmerksamkeit u. den wärmsten Beifall. Am 4. Juni (Vormittags) besuchte ich W., dessen letzte Lebenskräfte zu erlöschen schienen. Er war nicht bettlägerig, aber ein Krampfhusten folgte dem andern so häufig, daß die Entkräftung zusehends eintrat. Ich fand mich fast eine Stunde lang mit ihm allein; denn er wollte außer Sir G. Smart, Fürstenau u. dem jungen Göschen Niemanden sehen. Von seiner bedenklichen Lage war er nicht durchdrungen, sprach von der wohlthuenden Wirkung, die er von der Abreise (in 2 Tagen) erwartete. Wiederholt erinnerte er mich, Briefe oder sonstige Commissionen für ihn bereit zu halten und hoffte mich morgen wieder zu sehen.:"! – er sah mich zum letzten Mal! Abends zwar fand ich ihn in seinem Lehnstuhl in Gesellschaft von Dr. Kind, abwechselnd mit Sir G. Smart u. Göschen leise sprechend. Sir G. Smart gab uns den Wink ihm vorzuschlagen, er solle sich vor 10 Uhr zu Bett begeben. W. wollte keinen Wärter Nachts bei sich dulden. Er ging am liebsten allein zu Bette, und schloß sich ein. Damit er dieses nicht wieder thue, | ging Sir G. Smart nicht eher aus dem Zimmer, als bis W. im Bette war. 5. Juni. – Zu meinem Schrecken erschien Morgens früh 7 Uhr ein Bote von Sir G. Smart mit den Worten: W. sei nicht mehr! ich möchte gleich nach seiner Wohnung eilen. Ich stürze in's Zimmer u. finde Sir G. Smart Hände ringend neben dem Bette, auf welchem W., wie schlafend, den Kopf auf den linken Arm gestütz, wie in sanftem Schlafe lag! Seine Uhr auf dem Nachttische konnte uns trotz ihres lebendigen Schlages nicht sagen, wann er zu athmen aufgehört hatte. Auf diesem Nachttisch sah ich noch den Waschzettel, den er noch mit Dinte vor dem Einschlafen geschrieben haben mag. W. muß in der Nacht aufgestanden sein, um seine Thür zu verriegeln. Als bei Tage vergebliches Pochen an der Thüre keinen Erfolg hatte, wurde sie gewaltsam geöffnet und bot die herzzerreißende, zugleich tröstliche Scene. Es wurde gleich nach einem Wundarzt geschickt, um einen Aderlaß zu versuchen – aber vergebens! Ich half Sir G. Smart u. Fürstenau seine Papiere zu verschließen und zu versiegeln, wozu ich auch mein Siegel lieh. – Abends ließ mich Sir G. Smart wieder rufen, um Zeuge zu sein, daß ein Katholischer Priester zur Einsegnung der Leiche gerufen wurde. 6. Juni. Im Hause des Sir G. Smart hatte ich eine Zusammenkunft mit dessen Bruder und Fürstenau, wo wir neben dem bleiernen Sarge, in welchem W. lag, seine Schränke u. Koffer öffneten, um ein Inventarium seiner hinterlassenen Effecten, Schriften etc. zu machen. Es fand sich, daß er sein Testament bei dem Justiz-Amte in Dresden deponirt hatte. An baarem Gelde fand sich etwas über 1000 £, die er in London verdient haben mußte, außer den 1000 £, die er von den Verlegern Welsh u. Hawes für den Klavierauszug des Oberon bekommen hat. Noch fand sich ein Lied, | welches er für einen Mr. Ward für 25 Guineen komponirt hatte (NB. die Klavier-Begleitung war unvollendet.) Auch war das Manuscript des Oberon und Skizzenblätter dieser Oper da, von welchen ich mir (so wie Sir G. Smart) ein Paar Bögen aneignete und noch aufbewahre. Welche Dispositionen mit dieser Hinterlassenschaft zu treffen waren, hielt ich mich nicht berufen zu erfragen, weil Fürstenau dem Verewigten und seiner Familie am nächsten stand. Ich erlasse mir die Beschreibung der Sensation die W.'s Tod in allen Schichten der Gesellschaft erregte. Alle Blätter waren voll des schmerzlichsten Ausdrucks. Die Engländer zeigten sogar ein Gemisch von Trauer-Gefühlen mit Stolz verbunden, daß der Verewigte sein letztes Werk in London zur Aufführung brachte. Ich hatte mehrere Conferenzen mit einem Comité aus Braham, Hawes, Atwood, Sir. I. A. Stevenson, Sir G. Smart, W. F. Collard, D'Almaine, S. Chappell, J. Willis, T. Preston, J. Power bestehend, um Anstalten zu treffen eine des Verstorbenen würdige Todtenfeier für den 21. Juni zu begehen. Es wurde darauf angetragen, Mozart's Requiem in der katholischen Capelle Moorfields zu geben, und das Publikum für Eintrittsgeld zuzulassen, um einen Fond zur Gründung eines Monumentes für Weber zu sammeln; aber der katholische Bischof wollte uns die Capelle für letzteren Zweck nicht überlassen, aus dem Grunde, daß die meisten Sitze der subscribirenden Congregation gehörten und er über dieselben nicht disponiren könne. Am 12. Juni wurde das letzte Philharmonische Concert mit dem Todtenmarsch aus Händel's Saul eröffnet und auf dem Programm angezeigt: „As a tribute to a departed Genius“. 14. Juni. Wir hatten wegen des Requiem-Projects bei dem Dean von Westminster-Abbey angehalten, aber auch da erhielten wir einen abschlägigen Bescheid, indem keine katholische Todtenfeier in der Abtey statt finden könne. Es blieb also | bei der Aufführung des Mozart'schen Requiem in Moorfield's-Chapel (wobei sich Lablache rühmlichst auszeichnete) ohne Eintrittsgeld zu sammeln. 17. Juni. Eine Vorstellung des Oberon wurde zum Besten von W.'s Hinterbliebenen gegeben; aber auch diese Aufführung entsprach nicht den Erwartungen auf die Einnahme. Das Haus war nur 2/3tel voll. Am 21. Juni war die Beerdigungsfeier Weber's. Morgens 9 Uhr versammelten sich die Haupt-Trauernden im Hause des Sir G. Smart. Unter diesen waren: Fürstenau, Dr. Kind, Göschen, S. Chappell, Braham, Liverati, d'Almaine, Collard, Carl Schlesinger, Horsley, Willis, Dr. Forbes, Savary, C. Kemble, Planché, Power, Preston u. Stumpf. Es waren über 20 Trauerkutschen bereit, in welchen der Sitz 1½ Guinen kostete. Dazu wurde einem der seidene Trauermantel umgethan, eine große schwarze seidene Schärpe um den Hut gebunden und Trauerhandschuhe angepaßt. Schärpe und Handschuhe blieben dem Besitzer. Der Zug bewegte sich die lange Strecke nach Moorfields Chapel durch den theilnehmenden Zudrang der Volks-Menge. Die Leichenfeier mit Mozart's Requiem erregte die tiefste Wehmuth und Erhebung in Aller Herzen. Während der Beisetzung in der Gruft wurde Händel's Todtenmarsch aus Saul gespielt. Mögen diese locker hingeworfenen Notizen Ihnen zur Ergänzung der Biographie dienen, zu welcher Sie gewiß aus bessern Quellen ausführlichere Details besitzen. Nur bitte ich Sie, den Inhalt meiner Zeilen (wenn Sie ihn benutzen) durch bessere Wortstellung zu feilen. – Ich fühle, daß ich meiner Liebe, Verehrung und Freundschaft für Ihren seligen Vater noch nicht den umfassenden Ausdruck gegeben habe. Ich glaube, dieses mehr gethan zu haben durch die Anerkennung und Verbreitung seiner Werke. Es that mir immer weh, daß seine Klavier-Compositionen in den Original-Ausgaben nicht würdig ausgestattet und von Fehlern wimmelnd, und in Nachstichen mit denselben | Unvollkommenheiten verbreitet waren. – Als ich noch in London wohnte, habe ich eine streng revidirte u. corrigirte Auflage dieser Clavierwerke redigirt und bei S. Chappell herausgegeben. Leider stehen die deutschen Ausgaben dieser englischen an Correctheit noch bedeutend nach u. ich beklage die Fahrlässigkeit der Verleger, die ihre Auflagen nicht nach jener verbessern. Über beyliegendes Musikblatt, welches ich seit dem oben erwähnten 6ten Juni besitze hätte ich gern einen Aufschluß. Es ist der herrliche Marsch, den W. in der Ouverture zum Oberon u. als Marsch in der Oper benutzt hat. Nun scheint dieser Marsch, hier blos für Blas-Instrumente geschrieben, früher zu einem Drama componirt gewesen zu sein. Hat. W. vielleicht noch mehr Musik zu diesem Stück geschrieben? und wo existirt sie? Ich bitte Sie, mir dies Blatt nebst den andern Beilagen von Zeitungsartikeln etc. wieder zurückzusenden, weil ich mich an diese Reliquien halten muß, und ich die Gelegenheit versäumt hatte, ihn um eine Zeile von seiner Hand für mein Album zu bitten. – Ich habe in Erfahrung gebracht, daß vor einigen Jahren hier in einer öffentlichen Auction ein langer autographischer Brief Ihres Vaters aus London an seine Familie in Dresden durch einen Buchhändler Stargard aus Berlin erstanden worden. Ist Ihnen dieses bekannt? eben so soll ein Musikdirektor Jensch auch in Besitz von Autographen Ihres Vaters sein. Indem ich Ihrem Vorhaben mit gespanntester Erwartung entgegensehe, und die freundlichsten Grüße meiner Frau hinzufüge, bleibe ich mit ausgezeichneter Hochachtung der Ihrige I. Moscheles. P. S. Ich nehme mir die Freiheit, eine Beilage für den Kapellmstr. Rietz zur gefälligen Beförderung zu übersenden. J. M.