Ich habe so unmittelbar nach Tische ein halb Stündchen, in dem ich
Zeitschriften usw. durchblättere, und sehe, was in der Welt vorgeht, ehe ich wieder an
die eigene Arbeit gehe. So geschah es auch d: 5t huj., daß ich in der Abendzeitung die
Anzeige Hells von dem Frauenzimmer-Taschenbuch las und mich gar höchlich erfreute,
hier den alten Müßiggänger erwähnt zu finden. Meine gute Lina und ich waren hierdurch in
fröhliche Erinnerung des schönen Abends bei Gutsch: versetztVermutlich das Teffen am 18. Mai 1818 während Rochlitz’ Dresden-Besuch gemeint; vgl. Tagebuch., und wir beschlossen
diesen Almanach besitzen zu müssen, da kömmt in derselben Minute, als ich kaum den Mund
geschlossen, der Postbote und bringt – das TaschenbuchFrauenzimmer Almanach zum Nutzen und Vergnügen für das Jahr 1819, Leipzig: Carl Cnobloch, 1818, darin: Friedrich Rochlitz: Aus dem Tagebuche eines alten Müßiggängers
(1. Die Wanderer
. 2. Mieze
, 3. Das Erbgut
, 4. Die Studentenwirthschaft
, 5. Die Nothtaufe
). Im Jahrgang 1818 war bereits ein erster Zyklus kleiner Erzählungen unter dem Sammeltitel Aus den Papieren eines alten Müßiggängers
, allerdings noch ohne Namensnennung von Rochlitz, abgedruckt. Karl Theodor Winkler hatte den Almanach angezeigt in: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 263 (4. November 1818): Nichts lieberes konnten wir finden, als die Fortsetzung der Mittheilungen aus dem Tagebuche eines alten Müssiggängers von dem trefflichen Rochlitz.
.. Das war nun wirklich eine große
Freude, weil es gar so schön a tempo eintraf, und mit Lust nahmen wir es einander ab und
hätten es am liebsten zugleich lesen mögen – aber so was erlaubt meine Zeit und die
dann von den Geschäften ermüdete Brust nicht, und so hat denn das Weibchen allerdings
eher die Zeit zu benutzen gewußt als ich und blieb immer im Vorsprung eines halben
Tages. Haben Sie herzlichen Dank für diese Ergötzung, in der mir immer noch –
vielleicht aus alter Bekanntschaft – die Studenten und die Taufe das Ansprechendste
sind. Nächstdem aber hat mich das Erbgut sehr ergriffen, durch seine tiefe Wahrheit und
Natürlichkeit, mit der es wie alle diese Gaben des herrlichen Müßiggängers so recht
wahrhaft aus dem Lebensbuch geschnittene Blätter sind, und einmal gelesen nicht leicht
wieder dem Gedächtnis entschwinden wie das meiste so bloß Erzählte, sondern etwas fest
zurücklassen in der Seele, gleichsam wie etwas selbst Erfahrenes. Ich kann Sie dabei
freudig versichern, liebster teurer Freund, daß dies aber auch hier von vielen und
hochachtbaren Seiten anerkannt und gerühmt wird. Unter dem, was ich von dem Übrigen
gelesen habe, zogen mich am meisten die Briefe und Motte an, doch letzteres mehr durch
die Art, mit der es gegeben als durch sich selbst, weil in dem einfachen Grundtone des
Schlichten das Gespenstische mich am Ende doch störte, wenn es auch im Augenblicke des
Lesens anziehend genug wirkt. – Doch genug, ich habe ja nicht meine Meinung, sondern
nur meinen Dank bringen wollen, und von des letzteren Güte bin ich überzeugt, und meine
Lina vereinigt den ihrigen mit ihm aus freundlichstem Herzen. – Jetzt zu Ihrem lieben
Briefe. Es ist ein seltsam wunderlich Ding mit unserer Korrespondenz, ich könnte
manchmal gleich Ihre Briefe nehmen und sie Ihnen als Antwort auf sie selbst wieder
schicken, so sehr sprechen sie meist auch meinen Gemütszustand aus. Es mag wohl mit
darin liegen, daß wir beide, wenn auch auf ganz verschiedene Weise, fast einerlei
Lebenstätigkeit haben, wir haben beide mit reinster Liebe zur Sache Kunstanstalten
gegründet, und nun nagen denn die Schakale und Hyänen von innen heraus und von außen
herein daran, teils durch Bosheit, teils durch Teilnahmslosigkeit, welches am Ende noch
ärger ist, und so wächst der ewig die täglich einzuatmende Lebensluft verpestende Unrat
so heran, daß es dann Augenblicke gibt, wo man lieber alles gleich kunterbunt
zusammenschmeißen möchte, und auch den Besseren, denen das leid tut, ganz trotzig
zuruft: und Euch geschieht's auch recht, warum habt Ihr nicht in Zeit besser zugelangt
und geholfen; da liegt nun der ganze Quark, gehe ein anderer nun auch hin und probier's
– – – nun geht aber ein bischen Zeit darüber hin, und die reine Flamme glimmt still
wieder hervor, ein ehrlich darauf gelegtes Strohhälmchen könnte sie schon wieder freudig
flackern und das Finstere wieder vergessen machen, und – Gott sei Dank – es bleibt
beim alten. So, lieber Freund, glaube ich und würde ohne dieses von Ihrem Brief in noch
quälendere Unruhe versetzt worden sein als es doch noch genug geschehen ist. Daß Sie mir
sagen, das Strohhälmchen, was ich aus treuem Gemüte darbringe, tue seine Schuldigkeit,
das ist für mich schon wieder ein ordentlicher Eichenstamm auf die Glut, der lange
widerhält, und so lassen Sie uns denn recht viel an einander schüren, die Welt mag sich
dann daraus nehmen, was ihr gut dünkt, und wer weiß, ob ihr nicht manches wider Wissen
und Willen hilft.
Bin sehr begierig auf Ihre Beurteilung der
Athalia. Ich habe weiter nichts an ihr auszusetzen, als daß sie zu sehr eine kleine Welt
für sich ist und tut, als ob außer ihr gar nichts mehr nötig wäre. Es ist ein eigenes
Ding mit diesem Erschöpfen der Empfindung oder Situation. Für Konzertarie zu viel
dramatisches Leben, für dramatische Szene zu sehr abgeschlossenes Ganze, für sich im
Ganzen der Oper also geradezu nur SzeneWebers Konzertarie Misera me
war am 29. Oktober 1818 im Leipziger Gewandhaus gegeben und als wackere und geistvolle Arbeit
beurteilt worden; vgl. AmZ, Jg. 21, Nr. 4 (27. Januar 1819), Sp. 49. Weber bezieht sich hier offenbar auf eine entsprechende Bemerkung in Rochlitz’ Brief. Eine Beurteilung des Werks erschien in der AmZ, Jg. 20, Nr. 51 (23. Dezember 1818), Sp. 880–883.. Ist das aber für die meisten Zuhörer?
Herzlichen Dank, wie immer, für ihre Bemerkungen wegen der Grundideen usw., nur fällt
mir es auf, daß Sie bei meiner Jubel-C: zu dieser Bemerkung veranlaßt wurden,
die ich auf den größten Teil meiner früheren Arbeiten bedingungsweise gern für wahr
anerkenne. Lesen Sie die Partitur, vielleicht nehmen Sie zurück oder geben mir Beispiele
an, die führen dann zu schnellerem VerständnisDie Jubel-Kantate war in Leipzig am 19. Oktober 1818 aufgeführt worden; vgl. die Presseberichte. Weber hatte die Partitur zu diesem Zweck Amadeus Wendt nach Leipzig mitgegeben, der sie auch Rochlitz aushändigen sollte; vgl. den Brief vom 27. September 1818.. Aber zanken möchte ich, daß Sie gar noch
tun, als müßten Sie sich entschuldigen für die Freiheit, mir die Wahrheit zu sagen,
nein, Gott sei Dank, so lange noch ein gesunder Sinn in mir lebt, werde ich das nur
verdenken. Ärgern kann's mich, das hat aber gar nichts zu sagen und geht nur gegen mich,
warum mach' ich's nicht gleich besser.
Die Jubelouvertüre, glaube ich, ist aus einem
Guß und Strom, Sie werden sie nun gehört haben, und H: A: Wendt Ihnen auch die
Part:Partitur zustellen. Ich hatte Letzteren gebeten, sie nicht in Leipzig aufführen zu
lassen, das Schicksal hatte aber schon entschieden, und sie war schon gegebenDie sehr glänzende
Jubel-Ouvertüre wurde am 5. November 1818 im Leipziger Gewandhaus sehr mangelhaft
gegeben; vgl. AmZ, Jg. 21, Nr. 4 (27. Januar 1819), Sp. 49.. Es fing
mir nämlich an der Gedanke fatal zu werden, ob die HH: Leipziger – Musiker namentlich –
nicht am Ende glauben könnten, ich dränge mich zu der Ehre, von ihnen aufgeführt zu
werden. Unter uns gesagt, es grassiert gar ein seltsamer Wahn in den Leipziger Gemütern,
der sie glauben macht, alles das, was Sie und einige andere bewährte Männer Treffliches
gedacht und gesagt haben, hätten sie, – die Masse nämlich, gemacht, und da gebärdet sie
sich denn manchmal wie jener mit der Löwenhaut – – –
Ich weiß nicht, ob ich Ihnen schon gemeldet
habe, daß ich an einer neuen Messe arbeite, so viel mir die immer mehr sich häufenden
Dienstgeschäfte Zeit lassen. Die Lateiner wollen auch gerne tätig tun und verschieben
wenigstens den Karren alle Augenblicke, daß man nicht ruhig auf der Straße bleiben
kann.
Den 4t 9ber als unserem
Hochzeitstag und beiderseitigem Namenstag haben wir Ihre Gesundheit recht von Herzen
getrunken. Es war ein still heiterer Tag, den ich mit meiner geliebten Lina im Andenken
an die uns Lieben verbrachte, und da konnten Sie und die Ihrigen doch nicht fehlen? Auch
hatte der Himmel gesorgt, diesen und den folgenden Tag freudig zu bezeichnen. Freund
Kind erfreute mich hoch durch die Zueignung des 3t Bandes seiner GedichteFriedrich Kind's Gedichte. Drittes Bändchen, Zweite, verbesserte und vollständige Ausgabe, Leipzig, ... bei Johann Friedrich Hartknoch 1819. Dieser Band ist Carl Maria von Weber gewidmet., und den andern Tag kam der liebe Müßiggänger. –
Durch H. Hellwig, der ein paar Tage nach
Leipzig geht, um da zu gastrollierenHellwig spielte am Leipziger Theater zwischen 20. und 28. November 1818 den Perin in Donna Diana, Posa, Wilhelm Tell, Nathan sowie die Titelrolle in Otto von Wittelsbach; Abreise von Dresden laut Tagebuch am 17. November 1818., sende ich Ihnen das 1t: Heft eines Musik-Journals,
das der Kapellmstr Strauß in Prag herausgibt, und zu dem ich auch helfen soll. Können Sie es gelegentlich mit ein paar Worten anzeigen, wird es mir angenehm und dem
guten Manne von Nutzen seinVgl. Brief an Rochlitz vom 16. Oktober 1818.
Ich hoffe in Ihrem nächsten Briefe
beruhigendere Nachrichten über Ihre und Ihrer lieben Gattin Gesundheit zu erhalten,
mögen Sie doch endlich einer dauerhaften gleich heiteren sich erfreuen können. Bei mir
geht es so gut als möglich. Gutschmidt muß nicht hier sein, denn ich habe sie in
Ewigkeit nicht zu sehen bekommen, meine Alte ist jetzt so schwer transportabelCaroline von Weber war im 9. Monat schwanger. Die Tochter Auguste wurde am 22. Dezember 1818 geboren., und ich sitze dann auch bei ihr.
Die herzlichsten Grüße und Wünsche an Sie
Beide von uns Beiden. Und behalten Sie lieb
Ihren
Weber
Dresden, d: 14t 9ber: 1818 Abends.