## Title: Über Madame Schönberger als Tenoristin ## Author: Gottfried Weber ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030960 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Ueber Madame Schönberger als Tenoristinn. Der Verfasser des Aufsatzes in Nro. 240 d. Mgbl. findet es ganz schön, daß die anerkannt treffliche Altistinn, Madame Schönberger, sich so gut wie ausschließlich auf Tenor-Partieen verlegt. Er ist als gründlicher Musiker bekannt, allein schwerlich werden über diesen Punkt viele gründliche Musiker mit ihm einverstanden seyn. Ich habe meine Ansicht über diese im Grunde so einfache Sache in einer unter meiner gewöhnlichen Chiffre G. Giusto hier erschienenen Theater-Kritik vor einiger Zeit ausgesprochen, und will sie hier näher ausführen. Auch die tiefste Weiberstimme, Alt oder Contra-Alt, erreicht nie die Tiefe des Tenors; der natürliche Umfang beider ist ungefähr folgender: Alt . . . . . g a h c' d' e' f' g' a' h' c'' d'' e''Tenor H c d e f g a h c' d' e' f' g' a'der Unterschied beträgt also etwa 4–5 Töne, welche der Tenorist unten, die Altistinn oben mehr hat, und daher kommt es, daß, wie ja Hr. W. selbst recht bestimmt sagt, das, was bey einem Tenoristen hoch, bey der Altistinn tief klingt – weshalb es denn auch immer einem Theile der Zuhörer vorkommt, als sänge Mad. S. tiefer als Tenor, weil nämlich das, was sie singt, für Sie weit tiefer ist, als für den Tenoristen, der es eigentlich singen sollte – das heißt wol mit andern Worten: tiefer als es klingen sollte – und daß auch die Ungelehrtesten finden, es klinge anders als wenn es ein Tenorist sänge, – folglich doch eigentlich nicht so, wie es klingen sollte. Die äußersten Töne jeder Stimme besitzen, eben weil sie Extreme sind, ein eigenthümliches Timbre, den Karakter größerer Kraft-Anstrengung und leidenschaftlichen Ausdruckes, weshalb eben der Tonsetzer sie nur als Bravour gebraucht, und zum Ausdrucke leidenschaftlicherer Stellen aufspart; sonst aber in der Regel jede Stimme sich größtentheils in ihren Mitteltönen bewegen läßt. Eine Altistinn aber, die da Tenor-Rollen singt, muß sich im Ganzen immer außer ihrer natürlichen Mittel-Sphäre, (a bis a') in den Tenor-Mitteltönen (e bis e) also in unbequemern, für sie tiefern, Regionen, zum Theil in Extremen aufhalten, da wo der Komponist, der für eine Tenor-Stimme schrieb, an keine Extreme dachte; sie muß: „Dies Bild, o wie bezaubernd schön!“ in der Tiefe brummen. – Sie singt ferner da, wo eine Tenorstimme durch ihre höchsten leidenschaftlichsten Töne g' a' b', einschneiden sollte – in ihr bequemen Mitteltönen. – Sie muß die tiefsten Tenor-Töne geradezu auslassen, und z. B. in der Bravour-Arie des Achilles den Lauf von b' bis B in der Mitte entzwey brechen, und durch einen Sprung oder sonst entstellen, – Sie muß endlich ihre höchsten Töne, b' c'' d'' e'' beynahe ganz brach liegen lassen, weil sie in Tenor-Partieen nicht vorkommen. Freylich haben Alt und Tenor mehrere Töne mit einander gemein, eben so wie Fagott und Flöte die Töne d' e' f' g' a' b'; allein hat Hr. W. je ein Fagott-Solo, welches etwa nur diesen Ton-Umfang hatte, darum auf der Flöte vortragen lassen, weil die Flöte dieselben Töne eben so ungezwungen angeben kann? – gewiß nicht, und zwar darum nicht, weil, was auf dem Fagotte hoch, auf der Flöte tief klingt; weil die Ton-Quantität (Zahl der Vibrationen) zwar dieselbe wäre, nicht aber dieselbe Qualität. Das häufige Tenor-Singen der Mad. S. möchte folglich nur als Nothbehelf, bey dem Mangel an bedeutenden Alt-Rollen in unsern modernen Opern, zu entschuldigen seyn. Allein dann sollte sie sich wenigstens die einzeln stehenden Arien um zwey oder drey Töne transponiren, und überhaupt lieber ihre ganze Partie, mit möglichster Beybehaltung des Karakters, etwas umschreiben lassen, welches immer noch besser wäre, als das erzwungne, ihrer prächtigen Stimme frühes Verblühen bringende, Beybehalten der Tenor-Lage, welches Letztere immer ein eben so arger Mißstand ist, als wenn ein Tenorist in Weiber-Kleidern Alt-Rollen geben wollte. – Ja – so sehr auch Hr. Wagner dagegen eifert – lieber als Tenor-Rollen sollte sie Baß- oder Baritono-Partieen im Alt singen, welches, da Alt und Baß sich eben so korrespondiren wie Sopran und Tenor, wenigstens ein weit geringerer Mißstand, und eben so natürlich wäre, als wenn eine Sopranistinn Tenor-Arien singt, oder umgekehrt; eben so natürlich als wenn, wie wir täglich hören, die Tenor-Partie des Sargino von einer Sopranistinn gesungen wird. Daß eine Altistinn die Baß-Partie um eine Octave höher gibt, würde nur wenige Abänderungen in der Stimme nöthig machen, (da der Baß-Sänger in Arien, Duetten u. dgl. selten eigentlich Baß, sondern immer Melodie zu singen hat), und, diese nöthigen Abänderungen vorausgesetzt, wollte ich dann Mad. S. weit lieber, z. B. einen Don Juan, einen Figaro, geben hören, als – einen Tamino, Loredan, oder Samori. Ob das Tenorsingen der Mad. S. darum kein musikalischer Mißstand seyn könne, weil sie dabey eine schöne körperliche Haltung beybehält, (welches Argument Hr. W. als entscheidend zuletzt anführt) lasse ich unberührt. Hingegen finde ich den Eifer gerecht, womit er gegen den frühern Korrespondenten zu Felde zieht, welcher will, daß die Altistinn sich auf Baßrollen „beschränke“; ich selbst habe denselben schon öffentlich darüber zu Recht gewiesen. Mannheim im October 1811. Gottfried Weber.