## Title: Amadeus Wendt: Ueber Weber’s Euryanthe. Ein Nachtrag, BAMZ, 1826, Teil 3/6 ## Author: Amadeus Wendt ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031683 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Ueber Weber's Euryanthe.(Fortsetzung.)Der Eindruck, welchen Eglantinens verstellte Klagen auf Euryanthe machen, die Entdeckung des düstern Geheimnisses ist in dem meisterhaft karakterisirenden Recitative, welches nun folgt, enthalten. Die hierher gehörige Stelle, in welcher Emma’s Worte angeführt werden, darf nicht zu langsam genommen werden, um nicht zu ermüden. Ob nicht der Tonsetzer nach dem Ausruf Eglantinens: gewichtige Kunde! des Effekts wegen das Orchester gar zu stark einsetzen lasse und die Farben hier zu stark auftrage, kann man fragen; gesetzt auch, dieser Ausruf wäre hier schon vollkommen dramatisch motivirt, was er offenbar nicht ist. Beiläufig will ich bemerken, dass die Deklamation: BAMZ, 1826, Nr.4, S.26, links nicht ohne Anstoss ist. In dem nun folgenden Duett zwischen Euryanthe und Eglantine, welches mit einem ausgehaltenen Tone des gut gewählten Fagotts eintritt, scheint mir sowohl die „bange Ahnung“ zu stark, ich möchte fast sagen massiv ausgedrückt – da ja bei solcher Aeusserung die Ahnung nicht mehr Ahnung bleibt, *)*) Die Dichterin lässt Euryanthe, freilich mit einem Widerspruche, sagen: „bange Ahnung sagt es laut.“ – als auch den gegenseitigen Freundschaftsversicherungen durch einen ausgeführten Satz voller Terzen-Passagen zuviel Gewicht gegeben zu sein, da ja diese bei Euryanthe nur Anflug einer vorübergehenden Wallung, bei Eglantinen nicht einmal aufrichtig sind. Weit zweckmässiger, glaub’ ich daher, wäre der Text dieses Duetts noch im Recitativ behandelt worden; um so mehr, da nun erst noch eine angreifende Arie Eglantinens die Kraft der Sängerin und der Zuhörer in Anspruch nimmt. Wenn nun aber gar, wie bei der ersten Aufführung in Leipzig, wo Dem. Sontag und Mad. Finke dieses Duett vortrugen, die Ueberschrift Allegretto vernachlässigt und das Tempo schneller, als sich gehört, genommen wird, dann weiss man gar nicht, wo der lustige Tanz auf einmal herkommt. Diesen Missgriff, über welchen ich mich gegen die liebenswürdige Sängerin äusserte, fand ich bei einer folgenden Darstellung verbessert. Die grosse Scene Eglantinens, welche nun folgt, führt den Karakter derselben völlkommen aus. Die Schlangenwindungen, welche wir schon früher in der Begleitung Eglantinens hörten, gehen fast durch das ganze Stück hindurch. Die tiefern Töne der Flöte und das Fagott sind auch hier herrlich benutzt, z. B. nach den Worten: „mit Vernichtung zahlen.“ – Ich weiss aber nicht, ob ich recht habe, wenn ich sage, dass der melodische Gang der Singstimme: BAMZ, 1826, Nr.4, S.26, rechts im Allegro vorgetragen, für die Worte: „o der Gedanke löst mich auf in Wonne und vor Entzücken ist die Seele trunken,“ zu leicht klingt, Der Ausdruck der langsamer genommenen Worte: „nur einen, einen Augenblick an seine Brust,“ welcher in dem nachfolgenden Flötensolo seinen Nachhall findet, ist unübertrefflich, so wie der ganze Schluss des Recitativs[.] Dagegen kommt mir die Phrase, welche im zweiten Satz (Allegro fiero überschrieben) das Ritornell ausmacht, zu gewöhnlich für diese Stelle vor. Der Uebergang von dem Schlusse dieser Arie in das fröhliche Finale ist in umgekehrter Art eben so ansprechend, als das rührende Verhallen des Tanzes im Freischützen. In dem tanzmässigen Einleitungssatze, der durch die Trompeten so feierlich angekündigt wird, ist die Wirkung dieser Instrumente sehr artig, welche eine kleine, leichte Figur einzuwerfen | haben, die den Rythmus um so markirter macht. DieFlöte aber nimmt hier die muthigste Fröhlichkeit an. Die Melodie zu dem Gesange; „Muth erfrischt das Herz des Kriegers,“ die einen so kräftigen Kontrast bildet, ist vortrefflich angewendet; weniger passend ist die folgende Strophe der Landleute untergelegt, wo es lautet: BAMZ, 1826, Nr.4, S.27, links Es folgt, nach einem lauten Lebehoch, Euryanten gebracht, ein, zuweilen in das Recitativ übergehender Satz (Andantino grazioso) in welchem Euryanthe den Ritter Lysiart bewillkommnet, Lysiart den (vorgeblichen?) Auftrag des Königs, sie zum Feste zu geleiten, mit schmeichelnden Worten berichtet; und Euryanthe ein freudiges Beben bei dieser Nachricht empfindet. So kurz hier Alles gehalten ist, so dass es fast abgebrochen erscheint, so zweckmässig ist das Einzelne. Aber am Schlusse dieses Satzes wird man der vielen Uebergänge und Abwechselungen der Rythmen und Melodien müde. Der Chor: Allegretto, „fröhliche Gesänge“ mit dem lieblichen Flötenritornell, und dem angenehm hinabrollenden Solo Euryanthe’s in der letzten Hälfte des Satzes versöhnt damit wieder in Hinsicht auf Melodie. Mad. Devrient in Dresden singt dieses Solo in sehr schnellem Tempo ohne ein Wort fallen zu lassen; Dem. Sonntag singt diese Passage sotto voce, ebenfalls sehr rund und äusserst wohltönend, ändert aber dabei die untergelegten Laute. Es ist ein heiterer Glanz im Ganzen und diese Koda wirkt um so mehr, je weniger die Sängerin sich dazu sichtbar vorbereitet. Der zweite Akt beginnt mit einigen kräftigen Nachtstücken, auf welche Adolar’s Gesang folgend, einen tröstenden Eindruck macht. Das Duett desselben mit Euryanthe zeigt die Wonne der Liebenden auf ihrem höchsten Gipfel, von welchem sie denn durch die mächtigen Einwirkungen des Finales schnell wieder herabgestürzt wird. Diess ist das Verhältniss der einzelnen Stücke dieses Akts zu einander. In der ersten meisterhaften Scene (Lysiarts) wird das bewegte Gefühl eines Menschen geschildert, der einen schwarzen Plan in seiner Seele trägt und mit sich selbst uneinig, bald an dem Gelingen verzweifelt, und von dem Anblicke reiner Weiblichkeit gerührt ist, bald wiederum durch den Gedanken an den Beglückten zu Wuth und Rache entzündet wird. Diese Uebergänge wogender Gefühle und der Reflexion in einander drückt schon das Ritornell (C-moll) vernehmlich aus. – Sehr geschickt weiss Weber die Instrumente zum Ausdruck jener Uebergänge zu benutzen, und auf diese Weise oft (wie hier, wo die Instrumente nach der ruhigern Tonart G-moll überleiten) die einförmigen Ausgänge des gewöhnlichen Recitativs zu vermeiden. In dem Andante: „Schweigt glüh’nden Sehnens wilde Triebe“ – wirkt die Verdoppelung der Oberstimme in der Begleitung durch die tiefere Oktave äusserst gut und giebt der Musik einen ernsten, sinnenden Karakter. Das dramatische Talent Webers erkennt man auch hier in der feinen Benutzung der Formen; man höre nur z. B., wie die Behandlung des Gesanges und der Worte, schon lange, bevor das eigentliche Recitativ wieder eintritt, zu dem Recitative sich hinneigt. Nur kommt mir die einzige Deklamation: BAMZ, 1826, Nr.4, S.27, rechts, oben störend vor, die auch in der Folge mit einer fast entgegengesetzten vertauscht wird: BAMZ, 1826, Nr.4, S.27, rechts, mitte worin ich zwar Absicht finde, aber nicht billigen kann. Durch einen Trugschluss kehrt die Harmonie dahin wieder zurück, wo sie schon vor einigen Takten war, und es folgt der etwas gekünstelte Satz in C-moll, den man überhaupt missen könnte, und in welchem die Folge: BAMZ, 1826, Nr.4, S.27, rechts, unten sich nicht günstig ausnimmt. | Der letzte Satz der Scene (ebenfalls in C-moll und nur durch ein Viertel auf der Quarte eingeleitet) ist vollkommen der wiedererweckten Stimmung angemessen, wenn auch Einige sich dadurch an die Arie des Kaspar im Freischütz erinnert finden. Der Uebergang der Musik von dieser Gemüthsstimmung zu der Situation Eglantinens, welche angstvoll der Gruft entflieht, wo sie den Ring von der Hand der Todten abgezogen hat, ist eben so dramatisch. Die rauschenden Töne der vorigen Arie verhallen allmählig; die Modulation schreitet unter einer wiederholten Figur der Violinen fort und man hört, dass etwas Neues, Schauervolles vorbereitet wird. Eglantine tritt schnell auf (Agitato assai) und die Empfindung der Angst und Unruhe mit ihr (in der nach E-moll flüchtenden Modulation). Das folgende Gespräch im Recitativ zeigt wieder in der Deklamation und Modulation manches Auffallende. Das Duett, welches mit mächtigen Posaunenstössen eintritt (H-dur C) hat, besonders in dem erstern Satze, Proben trefflicher karakteristischer Auffassung, z. B. das Wiedereintreten der Posaunen, mit gehaltenen Noten bei dem drohenden Versprechen: „in dem Staub’ muss ich ihn sehen, der zu Sternen hob sein Haupt“ – und bei dem mit Unisono anfangenden Ausrufe: „dunkle Macht du hörst den Schwur.“ Aber in dem zweiten Satze (con strepito) wird es doch ein wenig zu kraus; die Stimmen schlagen oft misstönend an einander und die Sänger ringen mit der doppelten Schwierigkeit sicher zu treffen und den Strepitus der Instrumente zu durchdringen. Man vergleiche nur die beiden Gesangpartieen mit einander und man wird finden, welche Schwierigkeiten durch die immer wechselnde Modulation in dieselbe gekommen sind. Es wird kaum einen Zuhörer geben, der von diesen Anstrengungen des Ohrs nicht auszuruhen wünscht. Dieser Wunsch wird befriedigt durch die folgende Kavatine Adolar’s: „Wehen mir Lüfte zu (As-dur ¾) in welcher zwar ebenfalls viel – aber sanfter modulirt wird. Bei Weber bemerkt man oft einen Einfluss der Deklama tion auf die Melodie; diess ist auch in dieser Kavatine der Fall. Man spreche sich den Text richtig vor und vergleiche ihn mit der Melodie, so wird man sehen, wie weit es der Komponist darin gebracht hat, logisch richtige Deklamation mit Melodie zu verbinden. Diess gilt von der Frage in der ersten Zeile; und von der Zusammenschlingung der zweiten und dritten Zeile zu einer Frage. Wie schön wird dabei auch der bange Schmerz durch den trüben Septimenakkord mit dem verdoppelten Fes ausgedrückt! Aber die Wendung der Stimme auf den Worten: „süssestes Lied,“ wo die Stimme zuletzt auf dem Grundton eines zwei Takte hindurch aufgehaltenen Septimenakkordes einen Takt lang verweilt, klingt mir immer, melodisch betrachtet, unbefriedigend. Man wird sich davon leicht überzeugen, wenn man die Melodie ohne Begleitung singt. Die Ausfüllung der Melodie in der Stelle: BAMZ, 1826, Nr.4, S.28 ist dagegen mehr dem Instrumente eigen. Die Steigerung im folgenden: „Glaube wie wankst du nicht?“ u. s. w., das Ahnungsvolle der abgebrochenen Flötentöne im Allegrosatze (von dem Ausrufe: „er ist mir nah!“ der süsse Vorgenuss der Erwartung (in der bewegten Stelle: „o Seligkeit, ich fass’ es kaum“) und wie der Ausdruck immer bestimmter und sich’rer wird mit der Wiederholung, und am höchsten steigt in dem Schlussruf: „sie ist mir nah“ (fortissimo); dieses alles ist eben so tief gedacht, als empfunden und will es auch von Seiten des Zuhörers sein. Euryanthe naht wirklich. Die Orchestermusik leitet die hier entstehende Situation ein, indem sie mit immer beschleunigterm und verstärkterm Vortrage dieselbe Figur über stets wechselnden Akkorden bis in die höchsten Lagen der Töne fortführt, dann einzelne Akkorde in synkopirten Noten anschlägt, in das reine C-dur durchbricht und eilends im Stakkato herabfliegt, um den Zuruf der Stimmen: „hin nimm die Seele mein!“ – einzuleiten. Hier steht die Ueberschrift: | Allegro animato. Ich beziehe dieselbe auf den Ausdruck, nicht auf grössere Schnelligkeit; ja ich glaube, dass die Melodie BAMZ, 1826, Nr.4, S.29, links, oben durch sehr schnelle Bewegung sogar gemein wird, und damit zugleich die vorige Einleitung ihren Zweck verfehlt; dahingegen, wenn der erste Theil dieses Satzes wieder etwas langsamer genommen wird, die Melodie und die psychologische Wahrheit, beide gewinnen, indem sich die Eile hier beruhigt im Genusse der Gegenwart, und die Empfindung sich gleichsam sammelt, um aus vollem Herzen in diesem Zuruf auszuströmen. Zweckmässig kann dann bei der Stelle: BAMZ, 1826, Nr.4, S.29, links, unten eine neue Beschleunigung eintreten. Mir ist dagegen der zu grosse Abfall des Zeitmaasses bei der Stelle, wo die Flöten eine wehmüthige Melodie einleiten und der Komponist überschrieben hat: ritenuto ma poco, bei einer Aufführung auf der Leipziger Bühne sehr unangenehm aufgefallen – aber diess war natürlich, weil man das Allegro animato vorher übertrieben hatte. Der letzte Theil dieses Duetts, mit der tief eindringenden Modulation, gehört zu dem Empfindungsvollsten, was Weber geschrieben hat. (Fortsetzung folgt.)