## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hofkirche: „Missa sancta Nr. 1“ mit Offertorium von Carl Maria von Weber am 24. März 1818 (Teil 1 von 2) ## Author: Wendt, Amadeus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A032961 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Schreiben eines Reisenden an den Herausgeber des Kunstblatts.(Das Kunstwesen in Dresden betreffend.)Sie erinnerten mich, als wir uns noch am Thore unserer gemeinsamen Vaterstadt trennten, und mein Postillon seinem zerknitterten Instrument schon einige heisere Töne entlockte, die Mittheilung über den ausgezeichneten Kunstgenuß, der meiner in dem deutschen Florenz warte, nicht schuldig zu bleiben. Ich versprachs; doch kann ich nicht läugnen, daß es mir schwer wird, mein gegebenes Wort zu halten. Denn noch bin ich so voll von alle dem, was ich in der herrlichen Osterzeit gesehen, und vorzüglich gehört habe, daß es mir fast unmöglich ist, die Erinnerung meines, diesmal kurzen Aufenthalts daselbst, der durch freundschaftliche Verbindungen und durch die immer heitere Laune unsers Freundes S. zu dem genußreichsten geworden ist, in einem klaren Bilde zusammenzufassen. Am Besten wird es also seyn, wenn ich in diesem Berichte der chronologischen Ordnung folge, welche mir mein Tagebuch darbietet. Möge das Wenige, was ich Ihnen hiermit gebe, die Leser Ihres Blattes eben so, wie hoffentlich Sie, interessiren. So wie mir am heiligen Osterabend zuerst der Anblick der katholischen Kirche mit ihren ehrwürdigen Gestalten auf dem Wege von Meissen entgegentrat, so war die Anhörung der kirchlichen Musik in derselben der erste Kunstgenuß, welcher mir in Dresden zu Theil ward. Hierhin zog mich die strömende Menschenmenge nach Begrüßung der Freunde gegen 5 Uhr des Abends. Fast vergaß ich die oberflächliche, und an mehrern Stellen mit weltlichem Putz verbrämte Composition des Oratoriums von Paer (il santo sepolcro), welches, wie mir mein Textbuch sagte, im J. 1811 zum ersten Mal aufgeführt worden war, über den herrlichen Eindruck des Orchesters. In der That kann man dieses Steigen und Fallen, dieses Anschwellen und Abnehmen, diese Fülle der Tonschattirungen in den Graden und Arten des Tons bei einer solchen Tonmasse, diese Gleichheit des Bogenstrichs, und diese Uebereinstimmung der Instrumente, die sich gleichmäßig dem Gesange unterordnen, kaum irgendwo vollkommener finden. Nicht so günstig kann man von dem Vocalchor dieser Kirche urtheilen, dessen höhere Stimmen, größtentheils von den Kapellknaben besetzt, dem Ohre nicht wohlthun. Als Sopranosolosänger dominirt noch immer der wirklich geniale Sassaroli, dessen Portament und gehaltener Vortrag für die Kirche, wie für den affectvollen italienischen Theaterstyl ein schönes Muster bleibt, und der in seinen Verzierungen eine seltene Mannigfaltigkeit und Rundung besitzt. Einige Abnahme seiner physischen Kraft bemerkt man nur bei langgehaltnen hohen Tönen. Bei der Auferstehungsfeier donnerte Hasse's einfaches und doch prachtvolles Te Deum durch die beleuchteten Hallen, wie ich es schon öfters bei diesem Feste gehört; in der That eine würdige Belohnung des längst entschlafnen Meisters, der diesem Tempel seine herrlichsten Werke widmete. Von seiner Composition hörte ich auch am ersten Ostertage, wie mir nach englischen Berechnungen versichert wurde, acht Tage zu früh, eine glänzende Misse, ihrem eigenthümlichen Charakter durchaus angemessen vorgetragen. Den rauhen Tag vergütete mir ein traulicher Abend im unterhaltenden Gespräche mit einem geistreichen Meister der Tonkunst. – Am zweiten Osterfeiertage olgte in der katholischen Kirche eine Misse von Naumann, diesem nie die Würde der Kirche verletztenden, und am Besten in der Kirche zu verstehenden Componisten. – Still und feierlich lief der Tag ab, und am Abend ersetzte uns ein angenehmer Cirkel das allgemein vermißte Bühnenspiel. Hier wurde uns durch die Güte eines literarischen Freundes ein interessantes Bruchstück aus Grillparzers neuem Drama Sapphovorgelesen, welches uns von dem Ganzen viel erwarten ließ. | Der dritte Osterfeiertag verschaffte uns C. M. von Webers neue Misse zu hören. Dieses wahrhaft geniale Meisterwerk ist eben so voll von tiefer religiöser Andacht und heiliger Begeisterung, als es in Hinsicht seines Styls groß, und herrlich durchgearbeitet ist. Es umfaßt die zartesten, wie die prächtigsten Effecte, und ist mit großer Kenntniß der Localwirkung geschrieben, welche bestimmmte Modulationen und größere, breite Tonmassen verlangt. Es ist, obwohl originell in seiner Anlage und Ausführung und frei von den herkömmlichen Phrasen des Missenstyls, doch ohne Ueberladung der Gedanken und Modulationen, und namentlich durfte man sich des schönen fließenden Gesangs erfreuen, der so viel mir bekannt ist, in den Compositionen dieses genialen Meisters zum ersten Male in dieser Reinheit und Ausbildung erscheint. Das Kyrie ist ein Flehn aus der Tiefe des andächtigen Herzens, größtentheils im piano gehalten, mit Chor und Solo abwechselnd; das Gloria voll Pracht und Majestät, ohne aus den Gränzen des Kirchenstyls zu treten. Das größte Stück in Hinsicht der originellen Anlage und meisterhaften Ausführung scheint mir das Credo, welches mit einem feierlichen Einklange des Chors beginnt, worauf die einzelnen Stimmen, canonisch-abwechselnd, die fast recitirende Melodie übernehmen, u. den ernsten Text weiter führen. Dazwischen kehrt in verschiedenen Tonarten das Credo im Einklang wieder. Einen schönen Gegensatz bildet der an die Passion erinnernde Mittelsatz, worauf sich das canonische Thema um so herrlicher hervorhebt, und in der prächtigen Fuge endet. Das Ganze ist, ohne alle Eile und Ueberladung, wie oft das Credo erscheint, in immer fluthender Bewegung, welche bei der herrlichen Dämpfung und Anschwellung der begleitenden Instrumente ganz vorzüglich wirksam ist, und das Thema um so eindringlicher macht. – Zum Offertorium dieser Misse, welche der Meister Sr. Majestät dem Könige an seinem Namenstage überreichte, hatte er die beziehungsvollen Worte: Gloria et honore coronasti eum etc. gewählt, und diesen Text zu e nem glänzenden Sopransolo benutzt, dessen heitere Pracht sich in der verständlichen Melodie allgemein erfreuend aussprach, und unwillkürlich der Erinnerung einprägte. Mir war es dabei besonders rührend, in des trefflichen Sassarolis Anstrengung, der, wie ich hörte, damals unwohl war, zugleich das Bestreben, den würdigen Fürsten und Herrn, zu dessen Ruhm sein schönes Talent geblüht, mit erhöhter Kraft zu feiern, erblicken zu können, und mir fiel, als sein Gesang durch das Gewölbe der Kirche hallte, die sangreiche Nachtigall ein, die unter den Gipfeln des Hains, in der Lust des Gesangs wetteifernd ihr Leben aushaucht. – Die tiefste Demuth und Andacht erweckend, begann das Sanctus. Habe ich den Sinn desselben recht verstanden, so rufte es allen Hörenden zu: Fallet in den Staub ihr Sünder, und betet mit kopfenden Herzen den Hochheiligen an! Diese mächtige Wirkung hatte der Componist vorzüglich durch fortgehend schwache Schläge der Pauken mit pizzichirtem Contrabaß hervorgebracht, und ich nahm die Stille und Aufmerksamkeit der Versammlung erst dann wahr, als bei dem stark eintretenden fugirten Osanna, diese Wirkung, mir zu schnell, verschwunden war. Das Benedictus steht mir weniger lebhaft im Gedächtniß, so wie ich denn überhaupt in diesem Berichte nur kurz berühren kann, was die Fülle der Gegenwart zur Reflexion gelangen, und was bei einmaliger Anhörung eines so tiefen Werks sich eben sagen läßt. Der Ton des Benedictus schien mir im Charakter ernster, als es sonst wohl genommen wird. In dem Agnus aber, womit die Misse schließt, weht eine wahrhaft heilige Ruhe. Es ist hier ein Gebet um Frieden, bei welchem den Bittenden schon der Gottesfriede umweht; nicht wie das Kyrie das Flehen des Bekümmerten, tief empfunden, fließend im Gesange, ein würdiger Schluß, der die gedrängte Versammlung mit Erbauung entließ. (Die Fortsetzung folgt.)