## Title: Julius Rietz an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin. Dresden, Donnerstag, 1. September 1870 ## Author: Rietz, Julius ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A043567 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Sehr geehrter Freund. Unbegreiflicherweise fällt es mir erst heute ein, daß es wohl schicklich wäre Ihnen den Empfang Ihrer schönen Weber-Bände anzuzeigen u. mich für die prompte Expedirung u. Erfüllung meiner Bitte schönstens zu bedanken. Halten Sie es dem Drange der Ereignisse u. vieler Arbeit zu gute, daß es nicht früher geschah. Ich selber habe mich gleich über die Sachen hergemacht und schon eine beträchtliche Anzahl kleiner Musikstücke kopirt. Der Kopist aber, welcher mir die größern namentlich die beiden Klavierkonzerte abschreiben soll, ist auf kurze Zeit verreist und kann sich erst nach seiner Rückkehr con furia auf die Arbeit werfen; er ist geschickt u. gewandt u. es wird nicht lange damit dauern. Selbstverständlich erhalten Sie aber alles das, was Sie für Ihren höhern Zweck nothwendig gebrauchen, augenblicklich zurück, sobald Sie mir einen kleinen Fingerzeig geben. Die in Ihren Bänden befindlichen Musikstücke sind mit recht zahlreichen Fehlern u. Fehlerchen geziert oder verunziert. Sie werden es nicht übel nehmen, wenn Jemand in Ihrem Garten von Blumen u. Früchten Raupen u. Blattwanzen entfernt; nehmen Sie mir es auch nicht übel wenn ich mich zarter Bleistiftstriche bedient habe um mich Ihren falschen Noten etc. möglichst feindselig zu zeigen. Dabei bin ich aber auf einen Gegenstand von importanterer Bedeutung gestoßen. Als ich mich nämlich anschickte die nachkomponirte Arie zu Oberon zu kopieren u. sie durchlas, machte mich dies u. jenes, was garnicht Weberisch in der Instrumentirung war, stutzig; dies häufte sich so, daß in mir gegründete Zweifel aufstiegen u. ich zu der Überzeugung kam, diese Instrumentirung sei nicht die originale Webersche. Glücklicherweise erfuhr ich, daß unser Freund Fürstenau sich von dem im Besitze der Kuntzeschen Familie befindlichen Autographe eine Kopie für die Königliche Musikaliensammlung habe machen lassen; ich ließ mir diese kommen u. sah nun mit Staunen und mit Grauen, daß man Sie nicht allein hinsichtlich des Preises der Kopie auf unerhörte Weise übervortheilt — sondern Sie auch mit einem Falsum, einer Instrumentirung nach dem Klavierauszuge von irgend welcher fremden Hand betrogen habe. Es stimmt nichts vom ersten bis zum letzten Takt mit dem Original überein u. bei dem wenigen, was übereinstimmt, war es nicht möglich anders zu instrumentiren, denn der erbärmlichste Instrumentirungsschächer wird Stellen, wie: Notenbeispiele etc in die Saiteninstrumente legen u. nirgend anderswohin. Es ist mir schmerzlich Ihnen diese Mittheilung machen zu müssen, da ich Ihren eigenen Schmerz über den Frevel innigst mitfühle. Diesen letzteren aber zu lindern, habe ich ein sicher Mittel. Ich werde Ihnen das Original der Arie im Format Ihrer Bände schön kopiren lassen — Sie nehmen das wohl von mir an, ich bitte wenigstens darum — u. es bliebe dann nur der Geschicklichkeit Ihres Buchbinders überlassen, das Falsum zu entfernen u. das Verifikatum zu interkolliren, weshalb ich Sorge tragen werde, daß dieses das gleiche Volumen von jenem hat. Was die Variationen über Notenbeispiel betrifft, so ist deren größerer Theil buchstäblich oder nötlich in das Potpourri aufgenommen worden. Daß Weber die pikanteste Notenbeispiel davon ausgeschlossen hat, liegt wohl darin, daß inzwischen die 6 Klavierstücke zu 4 Händen geschrieben wurden, wo sie vorkommt. Oder widerspricht die Chronologie dieser Annehme? Daß das Thema von Danzi ist, darf kaum bezweifelt werden, da es auch in dem Geburtstags-Gratulations-Scherze für Danzi wiederkehrt. Nun gehts aber auf Mitternacht. Dresden ist heute in Folge der neuern Siegesnachrichten wieder sehr mobil. Mich freuen sie auch sehr, wenn aber nebenbei der Straßburger Münster zu Grunde gehen sollte, so würde mich das aufs tiefste betrüben. Einstweilen bin ich so glücklich eine erweiterte Leber zu besitzen, stehe allerhand Schmerzen aus, bin auf schmalste Kost gesetzt u. empfehle mich Ihnen in alter Freundschaft als Ihr ergebenster Julius Rietz. Dresden den 1ten September 1870.