## Title: Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertor-Theater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 3. November 1821 ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031552 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Notitzen.Schauspiele.(K. K. Hofoperntheater nächst dem Kärnthnerthore.) Der Freyschütz, Oper in drey Aufzügen, von Kind, mit Musik von Carl Maria v. Weber. Diese Oper wurde in diesem Jahre am 18. Juny, dem Jahrestage der Schlacht von Waterloo, zum ersten Mahle in Berlin aufgeführt, und erfreute sich einer allgemeinen Theilnahme. Gegen die Dichtung ließe sich Manches einwenden; doch zeichnet sie sich in der Form vortheilhaft gegen andere Dichtungen ähnlicher Art aus. Der Stoff ist der Sagen-Welt entnommen, welche auch den Bedingnissen einer Oper völlig zusagt. Da wir annehmen dürfen, daß die Grundzüge des bedeutungsvollen Mährchens jedem Leser durch frühere Überlieferung, oder mindestens durch deren neuere Bearbeitung (von Apel) bekannt sind, so wollen wir weder das anatomische Zergliederungsmesser gebrauchen, noch die kritische Scheere anlegen, sondern uns auf die Bemerkung beschränken, daß – nach unserer Ansicht – in dem Resultate der Sage selbst, welche die warnende Wahrheit bekräftigen soll: ein einziger Schritt zum Bösen könne zu unabwendbarem Verderben führen – ein wirksamerer Schluß liege, als in der Wendung, die hier bloß deßhalb genommen ist, weil ein tragischer Opernschluß aus dem gewöhnlichen Geleise ginge. Jene, durch die Handlung selbst endlich in allen theilnehmenden Personen, zum Gefühl werdende Wahrheit könnte aber immer noch zu einem erhebenden Schluß helfen und würde die Farbe des Ganzen, die Schauerlichkeit, auf den Höhepunct führen. Dieß möchte denn auch die Halbheit von uns abwenden, mit der Träume und Ahnungen nur eben so in Erfüllung gehen, daß man wohl bemerkt, der Dichter habe um des Opern-Styls willen dem Himmel und der Hölle nur ein Etwas von dem Preise und der Schuld abgehandelt. Der Tod der Agathe bedurfte in diesem Gebiethe keiner poetischen Rechtfertigung, da das frühe Hinscheiden des Schuldlosen, nach unsern religiösen Begriffen, als Wohlthat gilt. – Noch hätten wir gewünscht, das Motiv, weßhalb Kaspar eben den Max zum Verderben führt, deutlicher bervorgehoben zu sehen. Der Tonsatz des tieffühlenden, denkenden Compositeurs dieser Oper, imponirt uns Allen auf eine ziemlich wunderbare Weise, weil er die im jetzigen Modegeschmack herrschenden Lieblingsformen als bloßen Schlendrian verachtet und seine Melodien aus seiner eigenen schöpferischen Kraft hervorruft: Crimen laesae majestatis! Wer kann in unserer consequenten, gefühlvollen Zeit – d. h. in welcher man sich aus Bequemlichkeit eine gewisse Norm des Empfindens, einen Terminus ad quem, bis wie weit man sein Gefühl wirken lassen könne, und eine Art von Instinkt angewöhnt hat, um das geistverwandte Object immer mit gleicher Ahnung zu suchen, als prädominirend anzuerkennen und alles andere, sey es nun kurz, dick oder lang, durch eine schon sanctionirte Idolenz zu | verwerfen: – wer kann in einer solchen Zeit sich unterfangen, dem vor Lust schäumenden Strome des Gefallens sich entgegen zu stellen, den Schaum durch seine Felsenbrust zu theilen und nach einer anderen Richtung hinzuweisen – als ein selbstständiger Geist, dem seine Ansicht von der Kunst heiliger ist, als anderer Leute Absicht auf die Kunst? Wenn ein solches Verfahren schon eine gewisse Dreistigkeit verrieth, mit welcher man der hergebrachten Gewohnheit zu denken und empfinden, sich ordentlich entgegenstellt, so verrieth es zugleich eine gewisse Ignoranz im Fache der Psychologie, welche doch als einen wichtigen Grundsatz aufstellt, daß die Seele sich gern gegen alles Neue sträubt, besonders wenn sie dadurch in ihrem Siebenschläfer-Humor der Alltäglichkeit, des Hergebrachten, nur einiger Maßen gestört wird. Auf der andern Seite muß auch gesagt werden, daß zu solchem dem Zeitgeschmacke schnurstracks entgegen arbeitenden Bestreben auch gewisser Maßen eine etwas harte Brust, ein mehr eiserner Panzer gehört, um den Andrang der Wogen aushalten und standfest bleiben zu können. Es scheint aber ganz, daß der edle, muthige Carl Maria von Weber aus diesem Gesichtspuncte zu beurtheilen sey. Seine Melodien sind im ganzen Sinne des Worts auf Harmonien gebaut, d. h. auf harmonische, welche zusammen klingen, und auch zusammenklingen dürfen. Ja es findet sich sogar der Fall vor, daß die Melodien bisweilen der Gewalt der Harmonien untergeordnet sind. Noch mehr: wenn schauerliche Scenen durch die darstellende Kraft des Orchesters zu schildern sind, so hat sich der Compositeur gewöhnlich beykommen lassen, solche Schauererregende Bewegungen der Instrumente zu suchen und nicht selten die Singstimme so zu behandeln, als ob sie hier nicht einen wollüstigen Sinnenreitz hervorbringen, sondern ordentlich das Herz des Hörenden in Furcht und Grauen versetzen sollte; daß dieß schon ein Verbrechen gegen die Zeit ist, weil zwar das Rechte geschieht, aber auf eine Art, daß man neben dem Schauder vor der Geisterwelt auf eine süße, angenehme Manier, durch hübsche, niedliche Singweisen unterhalten werden kann, mit einem Worte, auf eine Art, in welcher nicht zugleich alle Rechte und Gesetze der dramatischen Tonkunst befriedigt und doch die eben nicht strengen Anforderungen des Zeitgeschmackes auch hübsch geschmeichelt werden – dieß wird doch Niemand läugnen? – So könnten z. B. Wolfsgrubenscenen mit einer gewissen Anmuth behandelt seyn, damit man doch etwas liebliches darin wahrnehmen könnte, da die Wölfe eigentlich auch nicht so gar fürchterlich sind, z. B. wenn sie todt und zu Winterpelzen verschnitten sind. Könnte nicht leicht der Held in seiner menschlichen Furchtsamkeit erst sehr effectvoll zittern und beben, und doch gleich darauf eine Fermate machen und – was wär's denn? – eine Polonaise singen, da besonders die Wölfe in diesem Dreyvierteltact auch nicht eben so ganz unbewandert sind, vorzüglich in der Gegend von Warschau und Krakau? – Könnte nicht die Tiefe des Gefühls in einer reinen und frommen, von der Liebe entflammten Menschenbrust sich recht kräftig aussprechen, und seine ganze ahnungsvolle Sehnsucht aushauchen, und doch das Ganze so gehalten seyn, daß man mehr das Portamento, das Staccato, das Crescendo, das Decrescendo der Singkunst und überhaupt die graziösen Verzierungen der Methode darin wahrnähme, als die bloße Tiefe der Seele und Macht der Empfindung? Dieß scheint ein Hauptgrund – den nur der Psycholog auffinden kann – warum der Freyschütz bey der ersten Aufführung weniger Beyfall hatte, als bey der zweyten und dritten. Denn man fand nach und nach den Reichtum der Ideen, die wirklich vorhandene Kunst der musikalischen Charakteristik und die durch das Ganze gewebten heiteren Lichtpuncte fingen an, mehr Einfluß auf uns zu äußern und unserer Pupille wohlthätiger zu werden. Die im echten Geschmacke erfundene Ouverture thut gleich Anfangs den wahren Musiker kund und zeigt, daß er seinen Satz so organisch verweben, so schön und frey halten und doch so nothwendig verbinden könne, als die neuere Zeit nicht viel solche Proben aufzuweisen hat. Aber es zeigte sich eine ganz besondere Öconomie der Instrumente darin, welche, ohne eben einen Satz von zwey Tacten hundertmahl im Crescendo zu wiederhohlen – doch sehr großen Effect hervorbrachte. Die geniale Besonnenheit des Meisters war damit beurkundet. Wirklich keck und doch gelungen ist der Effect der neben einander liegenden, in der Singstimme gestoßenen Secunden in dem Chor, welcher das Hohnlachen einer Menge Menschen neu und treffend charakterisirt. So gut executirt muß dieser Chor aber auch werden, als hier von dem braven Personale geschah. Die Wirkung ist wahrhaft komisch. Welchen großen Contrast biethet der Chor der Unsichtbaren in der Wolfsgrube, der mit allen Farben des Schreckens wirkt und durch das Schroffe seiner Form um so mehr imponirt, als die vorhergehenden Scenen des jungen Max mit Agathen wirklich viel tiefes Gefühl an den Tag legen. Beyde Rollen wurden von Hr. Rosner und Dlle. Schröder nicht allein gut gesungen, sondern auch durch passendes Spiel ausgezeichnet. Der grelle Contrast, welchen der Tonsetzer und Dichter im Kaspar aufgestellt haben, wirkt mächtig in dem ganzen Bilde. Diese Rolle war sehr gut vom Darstellenden gehalten. Er trug sein wildes Trinklied und seine Arie trefflich vor und imponirte besonders in der Scene in der Wolfsgrube. – Recht künstlich ist das Duett zwischen Agathen und ihrer Freundinn, obwohl hier einige Mahl das Gezwungene des Styls unangenehm hervortritt. Die Arie Agathens wurde von Dlle. Schröder brav gesungen und doch war bey ihr immer noch Kraft genug für das Terzett vorhanden. Sehr lieblich erschien uns das Brautlied und doch von einem Hauche des Gräßlichen, was folgen sollte, schon ahnungsvoll berührt. Das ganz treffliche Jägerlied ist unstreitig das effectvollste Stück, und ganz besonders muß die Stellung desselben auf diesem Punct gelobt werden, da dadurch das ahnende Gemüth ordentlich wieder vorsöhnt und das hereindrohende Schrecken des Schicksals ein wenig verschleyert wird. Das Chorpersonale sang diese hohe Parthie mit ausgezeichnetem Glück und erntete enthusiastischen Beyfall ein. Der Chor mußte wiederholt werden. Der Schlußchor ist voll Kraft und religiöser Empfindung. Hr. Weinmüller (der Förster) und Hr. Vogel (Herr des Gaues) wirkten in ihren Nebenrollen trefflich zum Ganzen mit. Das Orchester war außerordentlich brav. Besonders wurden die oft heraustretenden Harmonieparthien mit einer Frische und Kraft gegeben, die äußerst imposant war. Die Oper wurde beyfällig, an einigen Stellen mit Enthusiasmus aufgenommen. Bey der zweyten und dritten Vorstellung stieg noch das Wohlgefallen des Publicums. Dlle. Schröder und Hr. Rosner wurden gerufen.