## Title: Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater, 29. Mai – 3. Juni 1814 ## Author: Anonymus ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031710 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Ständisches Theater in Prag.Am 3. Jun. trat Hr. Mattausch als Baron Wiburg in stille Wasser sind tief auf. Ref. hatte diese Darstellung vor mehreren Jahren schon von ihm in Berlin gesehen; das Andenken jenes schönen Genusses schwebte noch immer vor seiner Erinnerung, er konnte jetzt den Künstler mit sich selbst vergleichen, und Fort schritte wahrnehmen, die seine Künstlerbildung in einem Zeitraume von 18 Jahren gethan hatte. Damals überströmte jugendliches Feuer seine Darstellung, und die blöde Rolle ward stärker und komischer aufgetragen, als in dem männlichen Spiele des vollendeten Künstlers, mit dem er heute den Kenner erfreute. Denn es war in den Scenen des blöden Brautwerbers nichts für das Publikum, sondern alles für die Baronin berechnet, die zwar einen, ihrem Willen unterwürfigen, schwachsinnigen, blöden Gemahl, aber keinen ungelenken, aller äußern Sitte beraubten, blödsinnigen Tölpel für ihre Absichten wünschen konnte. Ehre daher dem denkenden Künstler, der sein Spiel so zu veredlen verstand! Männlicher und festgehaltener führte Hr. M. die Umwandlung des Charakters bis zur Selbstständigkeit fort, und trat nun mit zauberischer Kraft vor die verirrte Gemahlin, den Triumpf der Wahrheit an ihrem gewonnenen Herzen zu feiern. Die Darstellung dieser Scenen giebt der Künstler mit einer hohen Wahrheit und Innigkeit, die seinem Talente nur zu erreichen möglich ist, und er erscheint hier – nach allen Vergleichungen des Ref. – als Meister auf der deutschen Bühne, denn der Eindruck, den er auf jedes fühlende Herz macht, ist tief und unauslöschlich. – Mad. Schröder gab die Baronin im wahren Geiste des Dichters, als Weltdame, die irrige Begriffe von Unahängigkeit zu einer thörigten Wahl verleiteten, die aber Selbstständigkeit und Reinheit der Gesinnung, die jene leidenschaftlichen Absichten des Fürsten verschmähte, im entscheidenden Augenblicke rettete. Ihre Darstellung hatte daher alles das Anziehende, womit uns eine denkende Künstlerin zur steten Entfaltung des Charakters fest hält, und die Scene ihrer völligen Rückkehr zur Frauenwürde gab sie mit hoher Innigkeit. – Mit origineller, trockener Laune trat der gutmüthige Avanturier Wallen aus seinem Feenpallaste, in dem Spiel des Hrn. Liebich auf die Scene; jeden Verlust der Glücksgüter verschmerzte sein Leichtsinn, nur jenen des Weinkellers nicht, und dem Zecher mußte der wehmüthige Ton ans Herz gehen, mit dem er jedesmal über die zu entbehrenden Flaschen jammerte: Trefflich gab Hr. Liebich die Scene im fünften Act, wo er zum zweitenmal in seinem Wahne bethört, Besitz von fremdem Eigenthume nehmen wollte. Das Zuhauseseyn, die Zuversicht, mit der er sichs komode machte, war äußerst drollig, so wie der Uebergang zur Besinnung und Resignatione die Grundlage seines, nur durch Verhältnisse verschrobenen Charakters offenbarte. – Mad. Brunetti gab die Antonette mit schlauer Gewandheit, doch mit jener weiblichen Decenz, die wir oft in dem Spiel dieser Rolle von minder gebildeten Schauspielerinnen vermissen. – Die sentimentale Therese eignete sich weniger für das Talent der Dem. Brand, aber sie gab durch ein ruhiges und inniges Spiel den Beweis ihres Kunstfleißes. – Hr. Reineke spielte | den Oncle Friedheim mit der Leichtigkeit und Gewandheit des Mannes von Stande, und mit der Herzlichkeit des Familienvaters. – Der geschmeidige Kammerjunker (Hr. Wilhelmi) der biedre Haupmann Dornfeld (Hr. Löwe) und der mit seinem vielen Gelde zum Convenienz-Hunger gebrachte von Rehberg (Hr. Allram) belebten durch ihr charakteristisches Spiel die Nebenparthieen der Scene ungemein, und die Vorstellung des Ganzen war sehr beifällig. – Am 29. Mai wurde von der hiesigen Gesellschaft Theaterfreunde zum Besten des Prager Armenhauses in böhmischer Sprache zum erstenmal aufgeführt: Die Befreiung des Vaterlandes, oder Die Kärnthner in Böhmen, neues vaterländisches Originalschauspiel aus dem dreizehnten Jahrhundert in 5 Aufzügen von Stiepanek. Die Darstellung dieses, durch einen gedrängten historischen Stoff, und erschöpfende Dialogen in den ersten Acten, schweren Stücks, wurde mit vielem Fleiße gegeben, der sich bei einer Wiederholung desselben mit noch mehr Leichtigkeit über das Ganze verbreiten wird. Die komischen Scenen verfehlten ihre wohlthuende Wirkung nicht. Durch ein charakteristisches Spiel zeichneten sich Hr. Ruscheck als König Heinrich, der Kärnthner, Hr. Nigrin als Johann, Kaiser Heinrichs Sohn, Hr. Swoboda als Graf Auffensteiner, Hr. Kaupowsky als Johann von Wartenberg, Hr. Klitzpera als Reimund von Lichtenberg, Hr. Pleskot als Hofcaplan Berenger, Hr. Haklik als Fleischer Jacob und Hr. Brincke als Fleischergeselle Hanns aus. Madem. Schwamberg war als Dobruschka ganz auf ihrem Platze, und spielte mit vieler Anmuth. – Der siegreiche Einzug der Befreier Böhmens im fünften Act war äußerst imponirend. Die drei Heerführer erschienen an der Spitze des Zuges zu Pferde. Bei dieser Gelegenheit brachte der Zufall eine sonderbare Ideenverbindung zu Wege. Bekanntlich wurde der Plan des berächtigten General Vandamme Böhmen zu unterjochen, und die Hauptstadt zu bedrängen, durch die Tapferkeit der verbündeten Truppen vereitelt, und der gefangene Vandamme durch Prag nach Siberien abgeführt. Seine Equipage fiel in die Hände der Sieger und seine Reitpferde wurden in Prag an die Meistbietenden verkauft. Unter diesen ward das Leibpferd des Generals das Eigenthum eines hiesigen Bürgers, der es zu dem heutigen Stück, das die Befreiung Böhmens feierte, auf die Bühne lieh. Statt also den Unterjocher des Vaterlandes im Triumpf auf seinen Rücken durch die Straßen der Hauptstadt zu tragen, mußte es heute dem Spiel seiner Befreiung dienen, und durch ein unaufhörliches Schnauben schien es gleichsam den Mißbrauch seiner heutigen Bestimmung andeuten zu wollen.