## Title: Aufführungsbesprechung Hamburg: „Oberon“ von Carl Maria von Weber am 15. Januar 1829 (Teil 1/4) ## Author: Anonymus ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031919 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Hamburgische Theater-Zeitung.Stadt-Theater.Am 15. Januar wurde nun auch am hiesigen Stadt-Theater Carl Maria von Webers vielbesprochene, berühmte und beschriebene Oper „Oberon“ aufgeführt, nachdem man sie bereits seit zwei Jahren in einigen andern Städten Deutschlands gehört, und ihr mehr oder minder Beifall gezollt hat. Es waren über das Verspäten der hiesigen Aufführung vielerlei Klagen, Fragen und Beschwerden zu vernehmen! – Solchen, die es nicht wissen sollten und die doch malcontent sind, wollen wir zum Troste erzählen, daß auch in Wien, Darmstadt, München, Braunschweig, Carslruhe, Manheim und zehn kleineren Städten, Oberons Horn noch nicht erklungen, und daß sich alldort gleichwohl Jung und Alt noch recht wohl befinden und sich des Lebens freuen. Das ist nun allerdings etwas kurios, weil die Theater-Institute der genannten Städte sich bedeutender Hofunterstützungen erfreuen, was hier nicht der Fall ist, und weil es dort viel mehr Leute giebt, die nichts zu thun haben, also viel leichter große Musikliebhaber und Musiker erstehen können, als hier, wo Alles um das liebe tägliche Brod arbeiten muß. Nun sehe ich schon alle Malcontenten auf mich losstürzen und schreien: „Ja, aber auch in Bremen, auch in Frankfurth, auch in Breslau!“ – Sachte, sachte, meine Herren; es ist wahr, genannte Städte haben keinen Hof, also auch keine Unterstützung (Frankfurth ausgenommen, wo die Logenbesitzer alle Jahre einige Tausend rothe Kreutzer zuschießen sollen), aber haben Sie auch schon berücksichtigt, daß jene Theater alt und förmlich eingerichtet sind, zu den Reisen in den Himmel und die Hölle, zu Wind, Wolken, Wetter, Wasser und Luftspuk! und daß unser Theater erst neu erstanden, zu dergleichen Allotriis erst practicabel gemacht werden mußte? Haben Sie schon erwogen, daß jene Theater nicht zur Hälfte so groß sind, als das hiesige, und daß sich ein kleines Rad leichter um die Achse dreht, als ein großes; daß man auf hundert Ellen Leinwand mehr Farbe pinseln muß, als auf funfzig? und daß hiezu Zeit gehört? Haben Sie, meine Herren Malcontenten, dieß alles schon bedacht, so bitte ich Sie, noch den Frankfurther und Bremer Oberon mit dem hiesigen zu vergleichen – dann schweigen Sie schon von selbst mäuschenstill! – doch „Nach so viel Leiden Folgen Himmelfreuden.“ – Und wir Hamburger freuen uns nun auch recht herzlich über unseren Oberon. Ich habe das Opernbuch dieses Oberon aufmerksam durchgelesen und weiß nun noch nicht, wem ich den Preis der Fürtrefflichkeit zuerkennen soll: dem Herrn Uebersetzer Theodor Hell, oder dem englischen Scenenflicker J. Planché! Dieser hat freilich nur daran gedacht, aus Wieland’s Oberon einige Fata zusammen zu reihen, um dem Maschinisten des Coventgarden Theaters in die Hand zu arbeiten, und mußte auf Weber’s Verlangen die böse Aufgabe lösen, der alten Wranitzkyschen Oper auszuweichen; er ist also gewissermaßen zu entschuldigen, – sollte er übrigens wirklich Dichter seyn – denn er stand zwischen zwey Feuern. – Aber was in aller Welt kann Herr Hell zu seiner Entschuldigung aufbringen, daß er solche Verse gemacht hat? – Verse, so holpricht, unverständlich, unsangbar und steif, wie ich außer Kriegsraths May Cortez – nichts Schlimmeres in dieser Art gelesen habe! Der Knüppeldamm von Gyougyos nach Nadjibanya in Ungarn ist ja eine linealgerade Spiegelfläche gegen diesen Operntext, und wären Decorationspracht und Maschienenwesen nicht da, als captatio benevolentiae, ich wüßte nicht, ob das Publikum im Allgemeinen sich die Mühe nähme, dergleichen Texte so gnädig aufzunehmen, und so geduldig zu interpretiren, wie es hier der Fall ist! Denn weit bessere Bücher und eben so gute Opern sind in Deutschland leider schon unbeachtet vorübergegangen, und so zu sagen durchgefallen, man denke nur an Cherubini’s „Medea,“ an Spohr’s „Zemire und Azor,“ an Weigel’s „Daniel,“ an Weber’s „Euryanthe,“ die wahrlich alle ein besseres Schicksal verdient hätten als ihnen geworden ist! – Der Herr Uebersetzer wird mir aber erwiedern: „Der Erfolg war glücklich, und Oberon hat Furore gemacht“ – und dann hat er noch die Lacher auf seiner Seite! – Nicht so ganz! – Rossini’s „Corradino,“ „Zelmira,“ &c. haben in Wien, in Mailand Furore gemacht, – anderswo sind sie verhöhnt worden, wo die Sänger nicht das Ausgezeichnete leisten konnten; also die Sänger haben das Glück der Oper gemacht. Ungefähr so Oberon! – Wir wissen hier recht wohl – obgleich wir diesseits der Elbe liegen – daß diese Oper in Prag, Hannover und Frankfurth keinen großen Succes gehabt hat, und selbst die effectreiche Musik Weber’s nicht durchgreifen konnte, eben weil dort die Ausstattung nicht so außerordentlich war. Also die Augenherrlichkeit, die Schaupracht, der Maler, der Maschinist haben den Zulauf hervorgebracht, und Oberons Glück bereitet. Die Musik Webers soll es erst begründen. Der Erfolg ist es nie, der eine schlechte Sache gut, eine gute schlecht macht, – und niemals darf der wahre Beurtheiler sich von demselben irre leiten lassen, – wie falsch würde sonst Webers ausgezeichnete Oper Euryanthe taxirt werden? Wenn aber „Oberon“ wirklich in Deutschland gefallen hat (und das hat er) so ist man, denke ich, mit mir darüber einverstanden, daß Herr Planché zu London und Herr Hell zu Dresden ganz unschuldig daran sind. Wir wollen also bei Vater Wieland uns für die schönen Phantasiebilder bedanken, die er unseren Buchschreibern geliefert hat, und nun die Musik Weber’s betrachten. – Dieser ausgezeichnete Componist hat, nachdem der Erfolg seiner „Euryanthe“ in Wien klein, in Berlin nicht bedeutend war, sich sogleich wieder auf jenes Feld postirt, wo er den Sieg mit seinem Freischützen erfochten, auf das Feld der Popularität! Und auf diesem war er groß, er wußte fast immer den rechten Fleck zu treffen, und beurtheilte Publikum, Zeitgeist, Gedicht, Theatereffect höchst richtig, treffend und scharf. Im Sommer 1825 schrieb er in Dresden und dessen Nähe in ländlicher Stille am schönen Elbufer diesen „Oberon“ und berücksichtigte mehr England als Deutschland, für welches er, nach eigener Aussage, Veränderungen zu machen versprach. Leider kommt der Zuschauer kaum dazu auch Zuhörer zu seyn, denn das Auge ist zu viel beschäftigt durch Decorationspracht, Verwandlungen, durch das Textübersetzen (denn der vorliegende muß aus dem Hellschen ins Deutsche übertragen werden) und das Ohr muß nebst der Musik Webers, auch das Commando-Wort des Theatermeisters mit in den Kauf nehmen. Hätte der Componist früher gewußt, daß die Musik durch scenischen Prunk erdrückt werden würde, so hätte er sich schwerlich herbei gelassen, eine so fleißige Musik zu schreiben, die in den ersten Vorstellungen kaum erkannt und beachtet werden kann, wie es auch wirklich in London der Fall war, was den braven Weber tief gekränkt hat. (Die Fortsetzung folgt.) Heute Montag, den 19. Januar, zum zweiten Male: Oberon, König der Elfen. „Nach so viel Leiden Folgen Himmelfreuden.“ –