## Title: Aufführungsbesprechung und Theaterbericht Königsberg: „Preciosa“ von Carl Maria von Weber am 29. Oktober 1826 (Teil 2 von 2) ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A032479 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ (Beschluß) Preciosa, das liebreizende Zigeunermädchen, die wundervolle Sibylle, die in stolzer Haltung, dem Fluge der Ideen, in edler Jungfräulichkeit, in der feinsten Laune in jedem Augenblick selbst ahnet oder ahnen läßt, daß sie aus dem Blute eines stolzen Granden entsprossen – wurde am heutigen Tage von Madame Henne vertreten. Ob diese Knospe, ob die aufgeblühte Rose vom Dichter gemeint ist, vom Zuschauer erwartet wird, ob ihre Deklamationen in dem Flötenklange der erwachenden Sehnsucht, der auf keimenden Liebe des 18jährigen Mädchen oder in der Glockenstimme, der mehrere – auch tiefere Octaven – zu Gebote stehen, zu geben sind, diese Fragen sind zwar nicht für die Entscheidung zweifelhaft, für eine öffentliche Erklärung aber zu delikat, als daß wir ihre Erörte rung nicht ganz dem eigenen Urtheil, der Madame Henne anheim stellen sollten. Der erste Reiz des jungen Frühlings – des goldenen Morgentraums der Natur kann wohl nicht durch die Farbengebung des Spät-Sommers ersetzt werden: das Colorit des jugendlichen Feuers ist nicht durch die Illumination selbst der feinsten Koketterie zu erlangen. Die Deklamation war im Ganzen richtig – aber nicht frisch genug: das Geberden-Spiel lebhaft, aber nicht jugendlich unbefangen: die Haltung mehr fürstlich stolz, als in dem Gefühl der innern Würde königlich erhaben. Es blieb zweifelhaft, wie Preciosa ganz Spanien bezaubern konnte: – Preciosa, die holde Sängerin? Preciosa, die ätherische Tänzerin? Ob ihr liebender Alonzo, in ihr seine Preciosa nicht erkennen wollte, ob er selbst sich nur mehr der äußeren Gaben des minnedurchglühten Ritters | erfreute, ohne den südlichen Feuerbrand der Leidenschaft in seinem Busen entzünden zu können? – kurz erinnerte dann und wann an nordisches Eis: und in seiner Deklamation – ob wohl sie meistens malerisch genug, oft blühend klang – vermißte man mehr als einmal kunstfertige Gewandheit, die auch die so schönen Formen, auf die Herr Stölzel mit Recht eitel sein mag, zuweilen verließ, und an einen Marmor-Adonis erinnerte. – Der Zigeuner-Hauptmann, Herr Piehl, laborirte an Gedächtnißschwäche. Die Tirade über das Zigeunerleben, war das Echo des Soufleurkastens, und wurde holperich gesprochen. – Die Wortführerin und Zigeunermama, Mad. Kroseck, schien mit Mad. Schulz zwar dasselbe Vorbild zu verfolgen: aber ihr Gelingen erreichte ihre Vorgängerin nicht: sie erschien nicht so abgefeimt, so kalt und ruhig, nicht die im Hintergrunde lauernde Kreuzspinne, die hämisch den Schmetterling betrachtet, der sich in ihren Netzen fing. – Der kleinen Rolle der Donna Clara wußte Mad. Kupfer eine recht ansprechende Seite abzugewinnen. – Dem Herrn Vio, als Pedro, stand wie immer vis comica zu Gebot: und diese wird ihm selbst von denjenigen nicht abgesprochen, die heute etwas mehr „von der Grundgewalt,“ der Weinkehle des spirituösen Invaliden erwarteten: er muß, um sich in dieser Rolle zu vervollkommnen, öfter die Commandos des nahen Exerzierplatzes beobachten und copiren. Don Francesco und Don Fernando waren in Tracht und Spiel weit von Spanischer Grandezza entfernt: und wenn Herr Tannhoff wohl schon bewiesen hat, daß sein Wille ihn auf eine höhere oder niedere Stufe zu stellen vermag, so ist Herr Fromm in allen Rollen, die wir von ihm gesehen, viel zu sehr identisch, als daß er auf das Lob eines guten Schauspielers Anspruch machen könnte. – Der Schluß – danken wir es der Erfahrung und dem Verdienste eines thätigen und erfahrenen Maschinisten – versetzte uns in einen bezaubernden Feengarten. Blumengewinde verschlungen in aufstrebende Pappelzweige bildeten die lieblichste Perspektive: das Gold der Hesperidischen Aepfel glühte im frischen Laube und spiegelte sich wieder in den bunten Wasserstrahlen der sprudelnden Cascaden und Fontainen. Dieser Anblick konnte in Preciosens angstvoller Brust den goldnen Lebensmorgen wieder zurückrufen, die Erinnerung an die Jugendzeit erwecken und die Ahnnungen laut werden lassen, welche schon längst mit dunkler Stimme ihr Inners durchtönten. Der Schöpfer wurde gerufen, aber nur die Schöpfung erschien.