## Title: Aufführungsbesprechung Leipzig, Neues Theater: „Die drei Pintos“ von Carl Maria von Weber am 20. Januar 1888 ## Author: H. ## Version: 4.13.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A032695 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ „Die drei Pintos“Nach besonders sorgfältiger Vorbereitung gelangte gestern die von Maria von Carl Weber fragmentarisch hinterlassene, und von dem hiesigen Capellmeister, Gustav Mahler, bearbeitete Oper, „Die drei Pintos“, im hiesigen neuen Stadttheater zur ersten, und, wie ich gleich hinzufügen will, höchst erfolgreichen Aufführung. Im April 1820 brachte Theodor Hell, ein Freund Carl Maria von Weber’s, dem damals schon an seinem „Freischütz“ arbeitenden Componisten, das Textbuch zu einer, in Spanien sich abspielenden komischen Oper: „Der Brautkampf“. Weber, der sich zu jener Zeit durch die Vorlesung Tieck’s für spanische Literatur besonders lebhaft interessirte, erklärte sich nach kurzer Beschäftigung mit dem Hell’schen Libretto zur Composition desselben bereit und erwarb das Buch für zwanzig Dukaten. Den schwerfällig klingenden Titel „Der Brautkampf“ änderte er in den einer komischen Oper gemäßeren: „Die drei Pintos.“ Bis zum Schluße seines Lebens – vom 27. Mai 1820 bis zum 5. Juni 1826 – hat ihn die Arbeit an dieser komischen Oper begleitet, zu der er sein Bestes zeigen wollte. Leider war es dem unsterblichen Tondichter nicht vergönnt, diesen Wunsch auszuführen, denn ein früher Tod raffte ihn hinweg, bevor er „Die drei Pintos“ fertig componirt hatte. Der erste Act dieser Oper fand sich in seinem Nachlasse vollständig entworfen vor, vom zweiten jedoch nur eine einzige Nummer: ein Duett in G-dur (2/4). Die von Weber herrührenden sieben Musiknummern des ersten Actes bestehen aus: Introduction (Chor und Soli), F-dur-Arie („Wonnig süßes Hoffnungsträumen“) mit vorhergehendem Recitativ, Duett, Es-dur-Terzett, Duett in C-dur („Wir, die den Musen dienen“), Terzett in H-dur („Also frisch“) und Finale in D-dur („Auf das Wohlsein unsrer Gäste“). Das Textbuch zu „Die drei Pintos“ gieng verloren und da man sich seit jeher mit dem Gedanken trug, die vergilbten Skizzenblätter Weber’s, statt sie einem Museum zu übergeben, lieber auf die Bühne zu bringen, hat sich der Enkel des Componisten (und Sohn des gewissenhaften Weber-Biographen: Max Maria von Weber), Hauptmann Carl Weber, der Aufgabe unterzogen, einen völlig neuen Text dazu zu schreiben. Die Handlung desselben ist folgende: Zwei spanische Edelleute, dir fern voneinander wohnen, Jugendfreunde, haben, der eine einen Sohn, der andere eine Tochter. Der Vater des Sohnes sendet nun diesen zu dem Jugendfreunde mit einem Briefe, in welchem er dem Wunsche Ausdruck gibt, daß durch die Heirat der Kinder das alte freundschaftliche Band zwischen den Alten erneuert werde. Also Pinto reist ab. Er ist ein dicker, dem Falstaff ein wenig ähnlicher Geselle, geräth in die Gesellschaft von Studenten, mit denen er sich bezecht. Ein flotter Bruder Studio, der die reiche Erbin selber erringen möchte, nimmt ihm den Brief heimlich weg und macht sich spornstreichs auf die Brautschau. Da haben wir nun also Pinto Nr. 2. Aber dieser Student – selbst ein hübscher Edelmann – findet bei seinem Erscheinen das Herz des Fräuleins nicht mehr frei. Sie liebt einen jungen Cavalier, der wie sie über die Heiratspläne der beiden Pinto-Väter ganz verzweifelt. Der Geliebte des Mädchens spricht sich gegen den vermeintlichen Don Pinto (also gegen Pinto Nr. 2) offen aus: was nützt Euch, verehrter Herr, eine Braut, die an Eurer Seite niemals glücklich werden könnte? Seht, wir lieben uns treu und fest, tretet zurück von Eurer Werbung und Ihr habt zwei Glückliche gemacht. Don Pinto Nr. 2 überlegt, daß das Abenteuer eigentlich in keinem Falle für ihn ein günstiges Ende nehmen könnte, er spielt sich auf den Großmüthigen: „Meine Einwilligung sollt Ihr Liebesleute wohl haben. Was nützt Euch aber diese? Der Vater gibt Euch, schönes Fräulein, nur einem Pinto …… hier, edler Don, habt Ihr meine Beglaubigung beim Vater des Fräulein, er kennt Euch nicht, da Ihr ja nur heimlich werbt, und wird Euch als Pinto freudig aufnehmen.“ Der Brief geht also in die Hände des überglücklichen Liebhabers, der nun den Pinto Nr. 3 darstellt. Er gefällt dem Vater ausnehmend. Und als endlich der wirkliche, dicke Pinto schnaufend angewankt kommt und mit Stentorstimme wüthend schreit: Hier sei Betrug, denn er sei der wahre Pinto, Jener (Pinto Nr. 2) habe ihm die Legitimation entwendet, wird der arme Teufel selbst als Betrüger hinausgeworfen. Pinto Nr. 2 findet es jedoch für angemessen, einzulenken und redet dem Vater ins Gewissen; freilich sei jener Cavalier, der die Hand der Tochter in der seinen halte, nicht ein geborener Pinto, so wenig wie er es sei. Der Abgewiesene ist der wirkliche Don Pinto. Aber das Glück seiner Tochter wird doch höher stehen als eine alte Dankespflicht unter befreundeten Vätern (Pinto sen. hat nämlich einmal dem Vater des Mädchens das Leben gerettet). Das Fräulein liebt diesen schmucken Edelmann – vergeßt es, daß er kein Pinto ist. Und Väterchen vergißt es: die Beiden dürfen sich heiraten. Der Vollständigkeit wegen fügen wir noch hinzu, daß Pinto Nr. 2, der übermüthige Student, einen derb-komischen, drolligen Diener hat und die vielumworbene Schöne eine verschmitzte Zofe, was sich eigentlich fast von selbst versteht. Die Musik wieder herzustellen hat, wie sich leicht denken läßt, keine geringe Mühe verursacht. Der junge Capellmeister Mahler, der seine Studien im Wiener Conservatorium bei den Professoren Epstein und Krenn gemacht, hat sich vortrefflich in den Weber’schen Compositionsstyl eingelebt und vertieft, so daß die Oper nun als völlig einheitlich erscheint. Das ganze Werk ist übrigens Weber’s Original, unter Zuhilfenahme kleinerer verschollener oder weniger bekannter Compositionen des Meisters, tadellos compilirt mit bewundernswerthem Fleiß und Geschick. Am wirkungsvollsten erwies sich der erste Act, der ja, wie bereits erwähnt, bis auf die Instrumentirung nahezu vollständig von Weber selbst entworfen wurde. Köstlich ist darin vor Allem der reizende, fein humoristische Studentenchor, das wundervolle erste Terzett, in welchem der dicke Pinto, der Student Don Gaston (Pinto Nr. 2) und dessen Diener berathschlagen, wie ersterer es anzufangen habe, einer Schönen mit Erfolg den Hof zu machen, und das ungemein charakteristische Finale des ersten Actes, das voll schalkhaften natürlichen Humors ist. Auch die F-dur-Arie, das Es-dur-Duett und das zweite Terzett (alle im „Freischütz“-Jahre 1821 componirt), ferner der entzückende Walzerrefrain waren allein schon werth die Oper zu rekonstruiren. Der zweite Act erzielte, in Folge einiger Längen im Texte, geringere Wirkung. Der dritte (letzte) Act erregte jedoch wieder starken Enthusiasmus bei dem das Theater bis auf’s letzte Plätzchen füllenden Publicum. Um die des größten Lobes werthe Aufführung machten sich in erster Linie der mit Umsicht und Schwung dirigirende Capellmeister Mahler und Director Staegemann verdient, der die Oper glänzend inscenirt hatte, und von den Darstellern Frl. Baumann (Donna Clarissa), die ehemalige Schülerin des Wiener Conservatoriums, Frl. Artmann (Laura), und die Herren Grengg (Don Pinto), Hedmond (Don Gaston) und Schelper (Ambrosio). Zum Schluße, nachdem die Darsteller unzählige Male gerufen waren, hob sich die Gardine und man sah die mit Kränzen reich geschmückte Colossalstatue Weber’s inmitten der Bühne. H. Leipzig, 21. Jänner 1888.