## Title: Johann Gottfried Kunstmann an den Magistrat der Stadt Chemnitz. Chemnitz, Freitag, 16. Januar 1824 ## Author: Kunstmann, Johann Gottfried ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A045435 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ An E. E. Magistrat zu Chemnitz Hochgeehrteste Herren! In welch’ einen höchst traurigen Zustand sich seit vielen Jahren die öffentliche Musik in hiesiger Stadt befindet, ist bekannt. Chemnitz, das sich so mancher schönen Einrichtung erfreut, das seiner Bevölkerung nach den Rang als dritte Stadt im Königreich mit Recht einnehmen kan, steht rücksichtlich der öffentlichen Musik offenbar den kleinsten Nachbarstädten nach. In eben dem Grade, nach welchem die Instrumental Musik überal Vorschritte machte, hat sie seit langer Zeit, hier nur Rückschritte gemacht. Als Beweis dieser meiner Behauptung darf ich nur auf die wahrhaft gräßliche Musik hinzeigen, mit der so oft im Theater und andern öffentlichen Orten immer, und noch neuerlich jedes Ohr zerfleischt wurde. Wie viele totale Umwürfe, und musicalische Skandale sind vorgefallen! Eine Kirchenmusik hätten wir trotz allem Eifer unseres fleisigen Cantor Wolf längst nicht mehr, fände er nicht willige Unterstützung unter den Dilettanten. Selbst unsere Tanzmusik ist zu der traurigen Berühmtheit gelangt, weit und breit die schlechteste zu seyn. Mit welcher Herzensangst der unterzeichnete sich bey den Concerten des MusikVereins an der Spitze eines Orchesters befindet, welches, wenige Dilettanten ausgenommen, meist aus Leuten besteht, | denen es ganz einerley ist, ob die Musik gut oder schlecht geht, ob umgeworfen wird, oder nicht, ob das Publikum zufrieden ist, oder nicht – ist demselben am besten bekannt. Die Ursachen dieses immer fortschreitenden Verfalls der hiesigen öffentlichen Musik sind nach meiner, und gewiß nach jedes Musikverständigen Meynung hauptsächlich in der bisherigen Einrichtung zu suchen, zufolge welcher hier: Sechs Stadtmusici, mithin 6 Herren angestellt sind, eine Einrichtung, die in andern Städten längst, als dem Fortschreiten der Kunst nachtheilig erkannt, und daher mit Recht abgeschafft worden ist, wogegen man einen, aber tüchtigen Mann als Stadtmusicus anstellte, der Gesellen hält, und Lehrlinge lernt, wodurch nicht nur immer junge Leute heran gezogen und gebildet werden, sondern die Subsistenz eines solchen Mannes auch leichter möglich wird, als die von 6 Familienvätern. Dem natürlichen Gange der Dinge gemäß werden aber bey der bisherigen Einrichtung die Leute mit zunehmenden Jahren bequemer, unempfänglicher für die weitere Ausbildung. An ein Zusammenüben ist nicht mehr zu denken. Jeder ist froh, wenn er sein Instrument aus der Hand legen kann. Das Bewußtseyn, daß man ihre Musik, sie sey so schlecht sie wolle, nehmen und anhören müße, macht sie träge, und unempfindlich für Lob und Tadel. An andere Orte kommen sie nicht, wo die Musik mehr cultivirt ist, und lernen natürlich die Fortschritte derselben nicht kennen. Eine zweyte, wesentliche Hauptursache des Verfalles der hiesigen öffentlichen Musik ist ohnfehlbar in dem Umstand aufzusuchen, daß dem Corps der 6 Stadtmusici seit vielen Jahren ein tüchtiger Director, ein Mann fehlte, der durch Überlegenheit seiner | Kenntniße den übrigen zu imponiren, Fehler und Nachläßigkeiten zu rügen, dem Ganzen Geist einzuflößen, und dadurch das Ganze zusammen zu halten verstand. Soll es mit der Musik hier beßer werden, welcher Wunsch gewiß so allgemein, als verzeihlich ist, so thut es vor allem Noth, daß ein Mann hieher berufen werde, der die zu einem Director erforderlichen Eigenschaften und Kenntniße besizt, denn unter den noch vorhandenen Stadtmusicis ist nach innigster Überzeugung des unterzeichneten keiner, der sich zu einem solchen Posten qualifizirt. Weit entfernt von der Anmasung diese meine Behauptung als competent aufzustellen, rufe ich getrost den Ausspruch des Cantor Wolf so wie des Tertius Schmidt herbey. Unerwartet günstige Umstände vereinigen sich jezt, um einem so lange und so lebhaft gefühlten Mangel abzuhelfen. Durch den Tod des alten fleisigen Maecke, ist die Stelle eines Chefs der Stadtmusiker erledigt. Eine zweite Stelle wird offen durch den nächste Fastnacht bestimmt erfolgenden Abgang des Thürmers Zoelner, der bey seinem Sohn in Oschatz sein Leben beschließen will. Würden diese zwey Stellen in eine verschmolzen, so lieferten sie hinlänglich die Subsistenzmittel eines anzustellenden Stadtmusik Directors, der dann zu nöthiger Complettirung des erforderlichen Personales Gesellen und Lehrlinge annehmen könnte. Die Einnahme der noch bleibenden 4 Stadtmusiker bliebe pro rata dieselbe, wie bisher. Alle öffentliche Musik stünde aber unter der Leitung des Musikdirectors. Daß diese ganz gehorsamste Vorstellung mir nur vom Eifer und Liebe für die gute Sache in die Feder dictirt worden ist, bedarf wohl kaum einer Erwähnung, so wie ich fest überzeugt bin, daß nur auf diesem Weg eine, von jedem Musikfreund lange gewünschte Verbeßerung der hiesigen Musik zu hoffen ist. | Gewiß aber wird ein hochverehrter, erleuchteter Magistrat, an den ich diese Vorstellung zu richten, mich erkühne, eine so günstige, lange erwartete Gelegenheit, den Musik Zustand hiesiger Stadt zu verbeßern, und dadurch das Vergnügen seiner gebildeten Bürger zu befördern, nicht ungenüzt laßen. Ein Mann, der alle Eigenschaften zu diesem Posten in sich vereint, der als Musikdirector eines der besten Corps in der Königℓ: Sächß: Armee rühmlich bekannt ist, dem die Zeugnißen des gefeierten Königℓ: Capellmeisters Carl Maria von Weber, so wie aller Musikkenner von Dresden zu Gebote stehen, ist bereit um die vereinten Stellen förmlich anzuhalten, sobald sich ihm Aussichten eröfnen, daß er keine Fehlbitte thun werde. Möge es E. E und hochweisen Magistrat gefallen, diese meine gehorsamste Vorstellung einiger Beachtung zu würdigen. Mit gröster Hochachtung habe ich die Ehre zu seyn E. E. Magistrats zu Chemnitz ganz gehorsamster Johann Gottfried Kunstmann Chemnitz den 16t Januar 1824.