## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Pflicht um Pflicht” von A. Wolf und plastisch-mimische Darstellungen von F. Flor am 4. Januar 1818 (Teil 1 von 2) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030227 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Am 4. Januar. Pflicht um Pflicht von A. Wolf und plastisch-mimische Darstellungen von F. Flor. Das kleine Schauspiel, womit in diesem Jahre die Bühne eröffnet wurde, ein Lieblingsstück des hiesigen Publikums, erwarb sich auch diesmal durch die vollendete Rundung, womit es gegeben wurde, verdienten Beifall. Herr Julius, der nach seiner Kunstreise nach Wien heut zum erstenmale wieder auftrat, empfing beim Eintritt und bei bei der meisterhaft durchgeführten Erzählung die lauteste Anerkennung. Unterrichtete Zuschauer wünschten ein neues Stück desselben Verfassers (Regisseurs im Trauersspiel bei der Berliner Bühne) Treue rettet aus Liebesnetzen, welches uns als ein Seitenstück zu Pflicht um Pflicht angekündigt wird, kennen zu lernen. Die mimisch-plastischen Vorstellungen, womit hierauf das schaulustige Publikum erfreut wurde, gewährte durch Wahl der Gegenstäde und Präcision in der Ausführung den Zuschauern eine mannigfaltige und sehr ergötzliche Unterhaltung. Herr Flor bewieß durch Anordnung und eigne Theilnahme ein unverkennbares Talent zu dergleichen Schaustellungen, wurde aber auch von dem ausgezeichneten Künstlerverein unsrer Bühne, wovon wir hier nur die Schauspieler Hellwig und Burmeister und die Schauspielerinnen Schirmer, Vohs, Christ, Schubert und Zucker mit Dankbarkeit nennen wollen, so unterstützt, daß ohne vervielfältigte Vorübungen und Proben sich doch alles anmuthig gruppirte und rundete. Lobenswerth ist der Tact, womit der Anordner im ersten Theil durchaus nur Allegorien darstellte. Einige hätten bestimmte Gemälde aus unserer großen Gallerie gewünscht, wie dergleichen in Berlin und Wien mit großem Aufwande und Ruhm dargestellt worden sind. Allein gerade diese strengen Nachbildungen der malerischen Licht- und Farbeneffecte in plastischen Formen, laden den, durch seine Künstlichkeit ganz zu entfernenden Vorwurf einer das Leben versteinernden Zwittergattung, oder eines geputzten Wachsfiguren-Cabinets am stärksten auf sich. Dagegen leidet es keinen Zweifel, daß bei allegorischen Gruppirungen, wie sie uns diesen Abend erschienen, die Figuren als Nachahmungen jener buntfarbigen Bildnerei des Alterthums (sculpture polychrome nennt sie Quatremére de Quincy in seinem archäologischen Hauptwerke darüber), als wirkliche Statuen-Vereine gedacht werden können. Und sieht man nicht auch Marmor gern bei der Fackelbeleuchtung? So hat uns stets unter den plastischen Darstellungen der Frau Hendel-Schütz die bekannte Niobe-Gruppe am meisten angesprochen. So würde der herrliche, pyramidalisch aufsteigende Statuen-Verein am Grabmal der Erzherzogin Christine in der Augustinerkirche in Wien, Canova's vielgepriesenes Meisterstück, recht gestellt und beleuchtet, auch in einer solchen Nachahmung seine Wirkung nicht verfehlen. Daher kam wohl auch das allgemeine Wohlgefallen an der vierten Gruppe, die Theaterschule möchten wir sie am liebsten nennen, wo die Ethik (Moral), auf dem Throne in der Mitte, die Lehrerin der sie umschlingenden Kindergruppe, den Spiegel emporhält, aus dem uns das Leben und Thun der Menschheit zurückstralt, und wo in wohlvertheilten Gruppen links die Muse des Lustspiels, welche den Dichter witzigt, rechts die Muse des Trauerspiels, (von Mad. Vohs sehr würdig dargestellt) die dem personifizirten Laster den Fuß auf den Nacken setzend, die sich bescheiden neigende Tugend kränzt, einen wohl berechneten Eindruck machte. Denn Füger in Wien, nach dessen Skizze unser Prof. Matthäi das Vorbild entwarf, unser Hoftheatermaler Winkler aber vor 9 Jahren den neuen Theatervorhang für Schröder in Hamburg malte, dachte sich diese ganze Allegorie als einen Verein von Marmorbildern griechischer Kunst auf dem Parnaß, nicht als lebende Gestalten. Aus eben diesem Grunde und nicht bloß aus patriotischem Gefühle mochte die zur glücklichen Vorbedeutung sehr geistreich gedachte Komposition in der fünften Gruppe gar wohl gelobt werden. Auch sie war plastisch gedacht und würde mit nöthigen Abänderungen in einem Jahre, das für unser Vaterland das höchste Fest umschließt, eine weit dauerhaftere Ausführung erhalten können. Es war die von vier edeln Repräsentantinnen, Gerechtigkeit, Wohlstand, Kunst und Wissenschaft umgebene Saxonia (von Dem. Christ in mildem Ernst schön dargestellt). Nur würde Füger, hätte er auch hierzu die Skizze angegeben, den Genius der Gegenwart seinen Kranz der Saxonia, über ihr stehend (schwebend), den Kranz über das mit einer goldenen Mauerkrone geschmückte Haupt haltend, nicht aber das Wappenschild, daß ja schon so ein einem Kranze erscheinen muß, kränzend vorgestellt haben, welches theils die Pyramidalgruppe vollendet, theils dem Genius eine bestimmtere und anmuthigere Handlung gegeben haben würde. Ueberhaupt war zwar der Gedanke, die drei Zeiten, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durch drei Knaben oder Genien vorzustellen sehr zu billigen. Nur liegt das Entschlummert-seyn auf den Waffen einer argen Mißdeutung offen; warum konnte nicht das Vergangene anzeichnend oder aufrollend vorgestellt werden? Sehr vergnüglich war der aus dem halbgeöffneten Schleier hervorlauschende Genius der Zukunft. Solche und ähnliche Betrachtungen würden gewiß von den sehr lebhaft aufgeregten, zahlreichen Zuschauern noch weit häufiger angestellt und auf der Stelle ausgesprochen worden seyn, wäre nur Zeit zur Besinnung da gewesen. Dieß entschuldige den Wunsch, daß, sollten wieder einmal Darstellungen der Art beliebt werden – und wir wünschten sie am Schlusse oder Anfange jedes Semesters erneuert zu sehen – doch jede einzelne Darstellung sogleich, nachdem der Vorhang gefallen, noch einmal unsrer Schaulust vorgeführt werden möchte. Man denke sich diese Allegorie als Sinnspiele zur Erweckung und Schärfung unsers Urtheils. Es ist also damit wie mit einem sinnreichen Räthsel. Erst wird es der Gesellschaft vorgetragen. Nun wird die Lösung ausgesprochen. Nun wird es noch einmal wiederholt. Jetzt erst der wahre Vollgenuß in der Vergleichung. Es ist nicht möglich, daß in dem auf oft weniger als zwei Minuten beschränkten Zeitraume besonders die malerischen, also zahlreicher componirten Gruppen auch von dem aufmerksamsten Beschauer erst ganz und wieder im Einzelnen erfaßt werden können. Die armen Zuschauer sitzen bei schnell verschwindenen Schaugerichten da, wie dort Tantalus bei den untern Mächten. Man kennt ja die Fabel aus der Odyssee: Fruchtbare Bäume neigten um seinen Scheitel die Zweige – Aber so bald sich der Greis aufreckte, die Früchte zu pflücken, Wirbelte plötzlich der Sturm sie empor zu den schattigen Wolken. Nur daß hier die schattige Wolke, der neidische Vorhang, sich plötzlich herabläßt. Ist der Vorhang das erstemal gesunken, so theilt man ja wohl rechts und links seine Genüsse oder Zweifel schnell mit. Jetzt rollt er noch einmal auf. Nun wird alles klar, der Genuß verdoppelt, das Urtheil gesichert. Das: noch einmal! Rufen, ohne vorausgegangene Verabredung mit den Bilderstellenden wäre zudringlich und vielfach verwirrend gewesen! (Der Beschluß folgt.)