## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater und Linkesches Bad: 17. bis 18. Juli 1818 (Teil 1 von 4) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030277 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Freitag, den 17. Juli. Auf dem Bade: Die Hussiten vor Naumburg. Sonnabends, den 18. Juli. Im k. Theater in der Stadt, zum erstenmale: Sappho, Trauerspiel in 5 Akten, von Grillparzer. Wiederholt den 23. Juli. Das alte Sprichwort der Griechen: Viele sind Thyrsus-Schwinger, doch wen'gen erscheint Dionysos! mag eine vielfache Anwendung auch da leiden, wo von dem Wagestück die Rede ist, die Sappho auf die Bühne zu bringen. Die Verherrlichung, die diesem Stück in Wien durch den Dreiklang dreier Künstler, die dort die drei Hauptrollen spielten, so standhaften Beifall erwarb, mag ihm, so wie es jetzt mit den meisten unserer Bühnen bestellt ist, in solcher Vollendung nirgends weiter zu Theil werden. Wir wissen es allen, die zur Ausführung dieses mit Recht belobten Drama's auf der Dresdner Bühne beitrugen, großen Dank, daß sie mit besonnener Scheu dennoch das Unmöglich-Scheinende möglich machten. Die Ausführung blieb hinter keiner billigen Erwartung zurück. Vollendete Rundung kann es erst durch häufige Wiederholung erhalten. Es wäre ein schlimmes Zeichen, wenn der wahrhaft gebildete Theil unsers Publikums diese vollendende Wiederholung nicht selbst herbeizuführen verstünde. Die Kritik hat schon vielfach ihr Richteramt an dem Stücke selbst verwaltet. Mit ungewöhnlicher Begeisterung sprachen bekannte Blätter in Wien und Berlin, wo Sappho nur vier Tage früher aufgeführt wurde, als in Dresden, von dem Zauber dieses Stücks. Die Opposition hat ein bekannter Dichter, der selbst Meister in der Kunst auch sein Wort von Rechtswegen zu sprechen befugt ist, in mehrern Zeitschriften zugleich streng verwaltet. Sie kann nur belehrend und heilsam seyn. – Wir verweisen unsere Leser aus voller Ueberzeugung auf die dramaturgische Unterhaltung, die wir in der sachreichen, seit dem April dieses Jahrs von den Herren Bernard und Kuffner redigirten Wiener Zeitschrift für Kunst, Theater und Mode (Nr. 39. und 61.) aus C. A. West's Feder lesen. Hier spricht mit umsichtiger Besonnenheit der Mann, der das geniale Erzeugniß unter seinen Augen entstehen sah. Nach der heftigsten Controvers wird man immer, wo nicht der hartnäckige Haberecht sein Wesen treibt, auf West's Urtheil zurückkommen. Die hier so zweckmäßig gebrauchte Form des Dialogs, wo Rede und Gegenrede zwischen Männern und Frauen so feinsinnig fortgeleitet wird, ist, recht gehandhabt, hier einzig angemessen für so vielseitige Erörterung. Nenne man das Stück immer ein liebenswürdiges Mittelding von Idylle und Tragödie, es entzückt nicht bloß durch die poetische Form und jenen dem Ganzen angehauchten frischen Zauber der Fantasie; es genügt auch durch die strenge Befolgung der drei Einheiten (die im Tode der Sappho so häufig verkannte Einheit der Handlung ist doch wirklich vorhanden) und durch die meisterhafte Handhabung eines der Verwicklung nach höchst einfachen und hier doch durch 5 Akte, in welchem so auch nicht Eine Scene fehlen durfte, da alles nothwendig bedingt scheint, geistreich und effectvoll ausgesponnenen Stoffes. Wo das alles so zusammentrifft, da ist wahrlich der Beifall, der ihm in Wien und Berlin gleich unbedingt gespendet wurde, der fantasiereichen, kunstgerechten Schöpfung selbst, nicht bloß der bestechenden Verkörperung im Spiele zuzuschreiben. Die besten Schauspieler werden hier bei aller Anstrengung noch immer Schuldner des Dichters bleiben. – Nur Eins dürfen wir nicht unberührt lassen Man hat dem Dichter häufig den Vorwurf gemacht, sein Stück sey eine Modern-Antike. Es fehle ihm durchaus der ächt hellenische Character. Das Meiste, genau angesehen, verschwebe in die neuere Romantik. Wir geben gern zu, daß vieles vor dem unerbittlichen Richterstuhle der Philologie und Alterthumskunde die Probe nicht aushalten wird. Es bedarf ja nur eines Blicks in Barthelemy's Anacharsis, um zu wissen, daß die Frauen bei diesem heiligen Spiele zu Olympia, die einzige Priesterin der Ceres ausgenommen, nicht einmal zuschauen durften. Sie wurden während der fünf Tage, in welchen die Wettkämpfe fielen, aus Elis und der Umgegend förmlich über den Alpheus ausgetrieben, und ließ sich eine Neugierige auch nur verkleidet ertappen, so wurde sie ohne alle Barmherzigkeit vom Felsen Typäos in den Abgrund gestürzt. Wie ungedenkbar ist's also, im antiken Sinn die Sappho als Siegerin im Lyraspiel – das so überhaupt nur zu Delphi statt fand – bei den Olympischen Wettkämpfen zu erblicken, wohin höchstens Prinzessinnen zuweilen ihre Wettrenner schickten? Damit wäre also die ganze Fabel dieses Stücks schon auf eine Unmöglichkeit gegründet. So mag auch der Dolch in der Hand der Griechin kaum zu rechtfertigen seyn. Die ihn gegen ihre Kinder brauchende Medea ist selbst darum eine Barbarin. Griechinnen verwandeln die Stacheln an den Agraffen ihrer Gewänder zu Werkzeugen der Rache. So würden wir, wenn wir nicht mit Recht den Vorwurf der Pedanterei befürchteten und es überhaupt hier darauf ankäme, noch manchen andern Verstoß gegen das Uebliche anführen können. Allein wir gestatten aus vollgültigem Grunde dem wahren Dichter diese Abweichung im Drama und wir erbieten uns, selbst in der allbewunderten Phädra von Racine nicht viel geringere Verstöße gegen das Alterthum anzugeben. Das Ganze hat, das mag kein Unbefangener in Abrede stehn, gerade so viel alterthümliches Colorit, als zur Täuschung für uns nöthig ist. Es war nicht so. Aber es könnte so gewesen seyn! (Die Fortsetzung folgt.) *) Wir verweisen die Liebhaber, die hier tiefer einzugehen wünschen, auf des großen Alterthumskenners Balkenaere's Anmerkung zu Theokrits Adontazufen. T. II. p. 28 – 35. der Heindorfischen Ausgabe.