## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Sappho” von Grillparzer am 18. Juli 1818 (Teil 4 von 4) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030280 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Sappho.#lb#(Beschluß.)Wir müssen es Hrn. Julius aufrichtig Dank wissen, daß er die schwierige Rolle des Phaon übernahm, und in ihrer Darstellung durch Kunst ersetzte, was seinem reifern Alter an lebenslustiger Frischheit und Unbesonnenheit eines hellenischen Jünglings in Aristippos Denkart abzugehen schien. Mit vieler Kunst hatte er sich verjüngt, wozu sein ernstes Costüm malerisch beitrug. Zart und gefällig gab er im ersten Akt die unentschiedene Befangenheit, die über sich selbst noch nicht im Klaren ist. Sehr gut wurde gleich die erste Erzählung seines Verhältnisses zur hohen Frau im süßen Verschmelzen der Erinnerung mit der Gegenwart gesprochen. Er war ja nur in einer ästhetischen, nicht sinnlichen Liebe zur ruhmgekrönten Dichterin befangen. Verständig sah er also auch bei der ersten Hälfte der Erzählung die Sappho selbst nicht an, sich erst dann zu ihr wendend, als er fortfährt: wie Du nun sangest u.s.w. Der wahre Liebhaber hätte vom Anfange seinen Augenstern nicht aus den Augen gelassen. Phaon's Verliebung in Melitta ist Etourderie, Aubrausen einer Leidenschaft, Schlürfen aus dem heute bekränzten Pokal, Schaum, Dunst. Der Dichter nimmt es freilich selbst etwas zu ernst mit dieser Liebe. Doch hier muß und kann auch der Künstler durch absichtliche Oberflächlichkeit zu Hülfe kommen. Eben so ist es offenbar des Dichters Schuld, wenn in den zwei Hauptscenen, wo Phaon die ihm alles opfernde, so hochgestellte Frau so schnöde mißhandelt, dies alle Zuschauer empört. Hr. Julius spielte in der Intention des Dichters. Wer mag dies tadeln? Aber es bleibt doch eine Frage, ob nicht manche Milderung wohlthätig gewesen wäre. Das Wie weit? darf einem so einsichtvollen Künstler wahrlich nicht erst vorgezeichnet werden. Das entscheidende Traumwort: Melitta, hätte viele Anwesende noch lauter zu hören gewünscht. Der Rückschlag auf Sappho tritt dadurch noch stärker hervor. Sehr wahr wurde die frohmüthige Laune und arglose Heiterkeit in der darauf folgenden Scene mit dem naiven: „ich bin Dir gut!“ gespielt, wo Phaon der Schmerzlichbewegten seine Treue aufdringt und gar nichts von den Stacheln ahnt, die in jener Brust wühlen. Das Eingreifen in die Dolchscene ging bei der zweiten Vorstellung weit rascher und wirksamer von statten. Sie hängt, wie die frühere beim Rosenpflücken, nur zu sehr von Aeußerlichkeiten und glücklichem Zusammenspiel ab, und gelingt nur nach vielen Proben. Die schwierigste Lage ist, wo Rhamnes ihn mit zerknirschender Rede hämmert. Da zeigt sich's, aus welchem Metall der Phaon ist. Hr. Julius erprobt sich hierbei als wahrer Künstler. Nur muß vor allem ausgemacht seyn, ob er bewegliche Ungeduld oder das Eingewurzeltseyn des Angedonnerten (attonitus) geben soll? Sehr brav und tiefergreifend sprach er die letzte sühnende Bitte: „Den Menschen Liebe und dem Gotte Ehrfurcht!“ – Die zarte Melitta ist die gelungenste, aber auch die schwierigste Partie des Ganzen. Wird sie statt kindlich-heiter kindisch-weinerlich gegeben, so ist Phaons Liebe ein Laffenstreich. Nur Kammerdienerseelen können ein Kammermädchen in ihr wittern. Aber auch eine vollendete Künstlerin mag dies idylli sche Wesen, diese Chloe aus Longus Hirtenroman, der auch in Lesbos spielt, ganz fassen und darstellen. Mit Jugendlichkeit allein ist's nicht gethan. Durch Amors Hauch entpuppt sich die unbeholfene Chrysalide vor unsern Augen zum Purpur-beschwingten Tagfalter, der aber in Demuth nicht auffliegt. Dem. Tilly, mit jugendlichem Liebreiz ausgestattet, leistete, was in ihrer Kraft stand. Ausrufungen, wie die: „Nehmt mich hinauf zu Euch!!!“ vermochte sie freilich nicht zu erschöpfen. Einzelnes war aber sehr gewinnend. Nur Eins noch zur Bemerkung: Wie weit stärker muß sich da ihr gekränktes Gefühl aus Liebe in dem Augenblick aussprechen, der sie mündig macht, wo sie zu Phaon sagt: „Was willst Du von der Sclavin, Herr!“ und nun mit einer von Thränen erstickten Stimme das alte: „Nehmt mich hinauf!“ wiederholt! Die fast muthwillige Eucharis wurde bei der zweiten Vorstellung von Dem. Christ noch munterer gegeben und ihre Doppel-Erzählung angemessen, die erste scherzhaft, die zweite hastig gesprochen. Daß die strafende Rede an Phaon im 5ten Akt ihr volles Recht erhielt, versteht sich wohl von selbst, wenn wir sagen, daß Hr. Burmeister diese Rolle übernommen hatte. Sie wurde als Auflodern einer in Altersschwäche verglommenen Flamme mit verständiger Kraftaufspannung gesteigert und durch rauschenden Beifall anerkannt. Aber das stumme Zuspiel im Anfang des 4ten Akts, wo Sappho seine Gegenwart vergessen zu haben scheint, bietet auch einen dankbaren Spielraum. Ueber der Scenerei, die wir dem würdigen Hoftheatermaler, Hrn. Jentsch verdanken, und über die Abwechslung der Tageszeiten, so wie über die Gruppirung der Statisten mag bei einer andern Veranlassung die Rede seyn. Manche Anordnung wurde hier durch die Lage der königlichen Loge bedingt. Ob die jungfräulichen Säulen Caryatiden aus dem Pandroseum seyn können, mag der Berliner Kunstareopag entscheiden. Wir hätten hier statt der dorischen, ionische Säulen gewünscht. Ist doch die ganze Säulenhalle in dieser Privatwohnung etwas Bedenkliches. Davon können wir uns nicht überzeugen, daß statt der hinter dem Theater sich erhebenden Cymbel- und Flötenmusik das Orchester den Reihen leiten, und daß der Zuruf: „Heil, Sappho, Dir!“ opernmäßig gesungen werden müsse. Noch bleibt für die Einrichtung der Acte durch angemessene Musikstücke ein Wunsch unbefriedigt. Aber es verdient mit lautem Dank anerkannt zu werden, daß wir hier so früh mit einem Stück vertraut gemacht wurden, das, wäre auch alles gegründet, was im 90. Stück der Berliner Vossischen Zeitung ausgesprochen wurde (unter allen Tadeln der bündigste, aber der ihn aussprach, dichte uns doch selbst eine Sappho!) doch, so wie es mit wahrer Dichtergluth durchdrungen, alles mit sich fortreißt, stets ein Stolz der deutschen Bühne bleiben wird. Bei der ersten Aufführung in Berlin erschallte dem bescheidenen Dichter selbst ein Beifallsjubel, der ihm Wohlklang am Casteyner Genesungsquell werden möge! Auch unser Dresden stimmt gern in diese Anerkennung des mit Liebe gefeierten Dichters. Wir wünschen, daß die jährliche Bestellung nicht blos vom K. K. Hoftheater, sondern von allen tüchtigen Bühnen Deutschlands an ihn gelangen und von ihm erwiedert werden möge!! #lb#Böttiger.