## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater vom 14. bis 17. Juli 1819: “Sappho” von Grillparzer (Teil 1 von 3) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030626 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Am 14. Julius. Le cantatrici villane. Am 16. Julius. Aschenbrödel. Sonnabends, den 17. Julius. Sappho. Trauerspiel in 5 Aufzügen, von Grillparzer. Letzte Gastrolle von Mad. Schröder. Man hat es oft gesagt, Grillparzer habe seine Sappho für die Schröder gedichtet. Ein schlechter Lobspruch für Dichter, wenn Schauspiele, wie Kleider, an den Leib gemessen werden und nicht, wie Herrscher-Seelen, sich den Leib anbilden. Ein solcher Stümper ist Grillparzer nicht. Etwas kann indeß doch an der Sache seyn. Dem wahren, plastischen, nicht declamatorischen, Dichter treten alle Fantasiegebilde am Ende ganz verkörpert vor's innere Auge. The poet's peuturns them to shape, sagt Shakspeare. Nicht gut, wenn er in diesem Verkörperungsproceß sich nur vor die Bühnen setzt, seine Gestalten nur spielen sieht. Als Göthe seinen Tasso dichtete, sah er Fürstinnen, nicht Schauspielerinnen in seiner innern Welt. So auch Schiller bei allen seinen historischen Dramen. Dazu eben die langen geschichtlichen Vorstudien! Sind's nun aber reine Fantasieschöpfungen, wie unsere Sappho; so ist's fast nicht zu vermeiden, daß der Dichter, dem doch die Bühne die kleine Welt ist, sich die Körper für seine Gestalten von den ihn zunächststehenden Schauspielern und Schauspielerin[n]en erborget und sie dann nur mit dem Schatze seiner Fantasie ausschmückt und umkleidet. Ein besonderer Fall ist, wenn er selbst mitspielt. Sophokles, das wissen wir aus dem Alterthume, war selbt Antigone im Trauerspiele dieses Namens. Da konnte er sich freilich am lebhaftesten hinein denken. Johnson meint, Shakspeare habe die meisten seiner Theaterschöpfungen in der Fantasie zuerst selbst gespielt. Es mag eine große Wahrheit darin seyn, aber auch eine gewaltige Fantasie dazu gehören. Wo das nicht eintritt, muß dem Dichter schon gestattet seyn, seinen Geschöpfen aus den ihm am meisten bekannten, tüchtigen Repräsentanten auf der Bühne die allgemeine Körperlichkeit zu geben. Grillparzer hatte Recht, wenn er bei seiner Sappho an die Schröder dachte. Aber das ist himmelweit von dem unterschieden: er schrieb sie für diese Schauspielerin. Und nun ist Mad. Schröder auch wahrhaftig Grillparzer's Sappho. Auch auf unserm Theater wurde sie von einer wahren Künstlerin sehr geistreich aufgefaßt, durchdacht dargestellt, und wir nehmen auch heute nichts von dem zurück, was wir in diesen Blättern (1818, Nr. 186 ff.) über die hohe Anmuth und Würde ihrer Gestalt und über das Tiefgefühlte, kräftig zur Erscheinung gebrachte ihres Spiels gesagt haben. Mad. Werdy wird uns auch, nachdem wir die Wiener Meisterin darin bewundert haben, in ihrer eigenen mehr idealisirenden Originalität, eine treffliche Sappho seyn. Den Character der Sappho, wie ihn der Dichter dachte, hat uns aber die Schröder wiedergegeben. Diese Sappho giebt ihr unter allen Rollen, die wir von ihr sahen oder auch sehen konnten, den weitesten Spielraum zur lebendigsten Darstellung von allem, was hinschmelzende Liebesglut in einem der Matrone schon nahestehenden Alter (also mit aller Reife und Erfahrung einer Frau, die Liebe gelernt hat) bis zur Selbstaufopferung und was die Qualen der verschmähten, gemißhandelten Liebe und der schärfste Stachel der Eifersucht rührendes und erschütterndes nur immer darbieten kann. Hätte also diese in Uebermaß gepriesene und getadelte Idyllen-Tragödie, die alles eher als antik ist, auch nur das einzige Verdienst, daß sie der größten jetzt unter uns lebenden tragischen Schauspielerin zu einer solchen Entwicklung den dankbarsten Stoff darbot, so wäre die Lyra um der Lyraspielerin willen doch gar sehr willkommen. Doch sie hat warlich in Erfindung und Behandlung eines so einfach rührenden Stoffs seltene Schönheiten. Nichts aber ist lächerlicher, als die Frage: ist dieß die antike Sappho? Uns erscheint sie so. Und vor bald 2000 Jahren, als Ovid seinen Heroiden dichtete, erschien sie auch der Römer- und Griechenwelt schon so. Denn Ovid dichtete nach griechischen Vorbildern. Im Spiele der Schröder hat Sappho nie aufgehört, auch den Undankbaren, den Verräther noch zu lieben. Ja selbst der tödtliche Sprung wird im tiefern Hintergrunde nur durch die Unmöglichkeit, den Phaon zu besitzen, hervorgebracht. Sie täuscht sich über sich selbst. Sie geht unter, weil sie sich nicht gefunden hat. Wir wissen wohl, wie sehr dieß der gerühmten tragischen Selbstaufopferung zuwider sey, und wie dieß die Kritik gegen den Dichter selbst, sollte er's so gemeint oder doch veranlaßt haben, benutzen könne. Aber romantischer, rührender im modernen Sinne werden dadurch auch die zwei letzten Akte gewiß. Dadurch tritt vielleicht vieles in dieser Sappho erst in's rechte Licht und ergreift den sich willig hingebenden Zuschauer gewaltiger. Daher ist der dreimalige Ruf Phaon! bloß süßklingend; daher die neue Fassung, in der sie nach dem Anblick der Kußscene mit den Geliebten spricht; daher das stete Zurückkommen auf alle mögliche Entschuldigungsgründe mit der schmelzendsten Weichheit vorgetragen; daher die oft (mißverstandene Erduldung) aller Schmähungen und das trefflich gegebene Entsinken des Dolchs aus ihrer Hand, als des Jünglings Rede selbst zum Doch wird; daher endlich das alles aufschließende: wehe mir! im fünften Akt, als ihr Blick, da sie bisher mit niedergehefteten Augen da gestanden, nach der Berührung auf ihn fällt – denn ein Blick auf ihn erneue[r]t allen Zauber – und darum auch der weiche, gar nicht zürnende Abgang, den bloß die kindliche Melitta wegen des Stillschweigens mißversteht. Darum will sie nicht mehr angerührt seyn. Darum die fast gebrochene Stimme beim Einsegnen. Das ist das Nippen aus dem Lebenskelch. In Eifersucht bricht sie nur aus, wenn Phaon nicht da ist. Sie muß ihn wieder haben! darum das mit unnennbarem Schmerz ausgesprochene, was zu dem Bestgesagten im ganzen Stück gehörte: – schafft mir den Mann, Daß ich die Augen bohren kann in seine, Und fragen kann, was hab' ich dir gethan.(Die Fortsetzung folgt.)