## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Maria Stuart” von Schiller am 10. Juli 1819 (Teil 2 von 3) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030760 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Maria Stuart.(Fortsetzung.)Unsere Künstlerin sagt sie freilich der Marie nicht in's Angesicht – das wäre allerdings nur einer Dame aus den Hallen würdig; – aber sie spricht sie auch nicht dem Leicester zu, in welchem Falle, nach der einmal angenommenen Theaterconvenienz und Hörferne auf dem Proscenium von der Stuart, welcher doch dadurch der Todesstachel in die Brust gedrückt werden soll, sie gar nicht gehört haben könnte. Aber sie spricht sie, so viel Dolche als Worte, gerade vor sich hin. Als nun der furchtbarste Giftpfeil, der Bastard, von Mariens Zunge abgedrückt ist, da leidet im Augenspiel und in der Geberde allerdings Dorat's Vers auf die tragische Dumesneil seine vollkommene Anwendung: Son geste est un éclair, ses yeux lancent la foudre.Erst ein wahrer Starrkrampf in allen Gliedern der Elisabeth, der nur noch ein convulsivisches Zusammenziehen in den Fingern – nicht Ballen der Fäuste, wie unedel wäre dieß! – zuläßt. Nun wendet sie sich mit einem furchtbar drohenden, ganz junonischen Gest schnell um zum Abgang. Dieß Einziehen der Schultern, dies stolze Zurückwerfen des Nackens, dies Verschlingen des Opfers mit den blitzschießenden Augen, wird niemand vergessen, dem dieser Anblick zu Theil wurde. Sehr bedeutend zuckt und juckt es ihr wohl noch manchmal in den Händen. Als der Jammermensch Davison sie durchaus nicht verstehn und von ihr nicht ablassen will, da soll sie nach des Dichters eigener Vorschrift mit dem Fuße stampfen. Natürlich wäre dieser Ausbruch der Ungeduld allerdings. Aber auch edel? Nun für unsre Elisabeth bedarf es keines solchen Zeichens. Sie reibt sich bloß die Hände. will jemand dabei an den Backenstreich denken, den die Empörte den Grafen Essex einst hinwarf, wer mag's verwehren. Ueberhaupt unterbrach ihre übrige festgehaltene Ruhe doch oft ein leiseres oder vernehmlicheres Fingerspiel. Sie schob zuweilen, wo sie ganz auf ihre innere Welt zurückgeworfen zu seyn schien, den Handschuh an die Finger zurück, ein gewöhnliches Spiel derer, die im Nachdenken versunken sind. Hier, wo alles so sehr aus dem Innern wahr hervorquillt und der Darstellung indivitualisirt, wird zum Lobe, was bei andern als üble Angewohnheit gescholten werden würde. Da wo sie sich erst von Leicester, dann von Mortimer getäuscht findet, blitzt wohl Ingrimm aus ihren Mienen, aber ihr Zorn zeigt sich nur durch einen Griff der krampfhaften Hand an dem zuckenden Arm. Das heuchlerische Aufschlagen der Augen, wo sie sich mit Gott berathen will und wo sonst von Gott die Rede ist, vollendet übrigens das Gemälde der Gott und Menschen und am Ende sich selbst belügenden Staatskünstlerin. Daß eine solche Künstlerin genau weiß, was aus einen Monolog zu machen ist, wie ihr Schiller beim Unterschreiben des Todesurtheils giebt, ver steht sich von selbst. Wie irrten die Schauspielerinnen, welche in ihrem Spiel noch einige Zuckungen des bessern Selbst erblickenden sie auch den Zuschauern vorspiegelten! Die grundlose Schlechtigkeit hat's ja nur mit der Berechnung des Scheins zu thun. Das geht aus allem hervor, was uns nun auch die Künstlerin nirgends vorenthält. Anfangs ungemein ruhig nach Außen zu, nur langsam hin und herschreitend. Trefflich wurden die Worte declamirt: „so steh' ich kämpfend gegen eine Welt, ein wehrlos Weib!“ Sie betonte beide gesperrten Worte, zwischen jedes eine Viertelpause hauchend, ganz gleich, so wie sie im Anfange des zweiten Akts, wo sie dem französischen Abgesandten einem nach alter Sitte über den Handschuh angesteckten Ring übergiebt, die Worte: „es ist – noch – keine – Kette!“ mit jener plastischen Kraft, die nichts mit Eintönigkeit und schleppendem Zuzählen zu thun hat, auch jedem einzelnen Worte ihren eigenen Accent aufprägt. Erst als sie das Stuart-Gespenst erblickt, verdoppelt sie ihre Schritte. Wie furchtbar malte sie durch zuckendes Händespiel, ohne doch – was wahrhaft kindisch gewesen wäre – nachzublicken, das fallende Haupt der Feindin. Auch die Höllenschlange ward weder durch abwehrende Hände, noch zurückschauderndes Kniebeugen, sondern bloß durch einen alles sagenden Blick mit leise gesenktem Knie und Nacken – dargestellt. Beim Unterschreiben selbst nicht die geringste Beklemmung oder Zweifel. Schiller schreibt ja einen festen Handzug vor. Aber nach dem sie geschrieben, führt sie den ganzen Monolog in dreifacher Steigerung in einer langgehaltenen Pause uns noch einmal grausenhaft stumm vors Auge. Nur das Unvermögen der Schauspielerin, welcher die undankbar gescholtene Rolle der Elisabeth oft zu Theil wird, konnte den heillosen Irthum begründen, als sey die Schlußscene mit der Elisabeth überflüssig und so den Frevel an der bühnengerechtesten Tragödie veranlassen, daß man mit dem famosen procumbit humi bos den Vorhang fallen ließ,*)*) So characterisirt bekanntlich Müllner das Niederstürzen des Schauspielers, der den Leicester zu spielen hat, wenn damit alles aus ist, und nennt einen solchen unsinnigen Schluß einen bos, einen Ochsen. Berliner dramaturgisches Wochenblatt. IItes Halbjahr. S. 53. und durch Wegschneiden der letzten Scene Schillers zürnenden Manen Hohn sprach. Man muß eine Schröder dieses Verstummen und Eingewurzelt-stehn spielen sehn, um nicht etwa, wie Klingemann (in Kunst und Natur am ang. O ) meint, erkältet sondern erschüttert zu werden. Geschieht nur der Absicht des Dichters, warum er diesen Schluß schuf, volle Gnüge, es bedarf dann keiner Erscheinung der Rachegöttin, wie sie Ramberg in der Gallerie zu diesem Stücke nach dem Rath des Verfassers dieser Beurtheilung kräftig genug darstellte. **)**) In der Minerva von 1815. (Der Beschluß folgt.)