## Title: Besprechung neu erschienener Literatur (Teil 1 von 2) ## Author: Böttiger, Karl August ## Version: 4.10.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030996 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Deutsche Sprache. Lieder- und Romanzengesänge.Wer von dem beweglichsten und regsamsten Ameisenhaufen, von der Leipziger Büchermesse kommt, findet doch immer etwas Neues zu verkündigen, auch wohl nach jenem bekannten Prolog von Göthe, zu: was wir bringen einen willkommenen Nachtrag, und wo nicht Goldkörner – denn die Goldameisen treiben ja mit den bösen Greisen zugleich ihr Wesen nur in Indien – doch einige frisch aufgespeicherte Weizenkörnchen. Ich habe mir vorgenommen, eine kleine Ausbeute in einzelnen Lieferungen oder Ueberblicken, so gut ich's vermag und eben habe, redlich mitzutheilen, leiste aber dabei eben so gern auf Vollständigkeit, als auf jene kritische Wurfschaufel Verzicht, die Spreu und Flughaber in alle Winde auswirft und zerstreut. Meine Ameisen tragen nur gute Körner ein! Die Grundveste unsrer Literatur und der Urborn, aus welchem alles Heil für sie fließt, ist unsre reine, unverfälschte Ursprache. Alles was zu ihrer tiefern Erforschung, festern Begründung, sorgfältigern Reinigung, wahrhaften Bereicherung geschieht, ist ein gutes Weizenkorn aus dem Aehrenkranze der Eleusinischen Göttin, deren Menschen-entwildernde Feier nach Schiller's unsterblichen Hymnus, eben jetzt nach 20 Umrissen von J. M. Wagner, von Ruschweih in Rom gestochen, unter uns in Umlauf gekommen ist. Von dem, was zur Förderung unsrer Muttersprache zuletzt ins große Publikum eingetreten und von mir mit Freude bemerkt worden ist, sei also zuerst die Rede. Hier kann nicht mit Lob genug das Verdienst des unermüdeten Sagen- und Liederforschers, des wackern Bibliothekars Jacob Grimm in Cassel, anerkannt werden, welches sich dieser jedes Geschäft mit höchstem Ernst betreibende Mann durch eine deutsche Grammatik zu erwerben angefangen hat, deren erster Theil, die Frucht eines zehnjährigen unablässigen Studiums, vor kurzem (bei Dietrich in Göttingen) erschienen ist. Noch dachten mit Prof. Radlof in Bonn, Bibliothekar Docen in München, nur wenige daran, daß eine deutsche Sprachlehre, wie sie seyn soll, nur auf historischem Wege durch sorgfältige Aufspürung und kritische Sichtung der frühesten Sprachüberreste aller germanischen Dialecte gewonnen werden könne. Grimm läßt hier mit bewundernswürdiger Gelehrsamkeit und tiefer Kenntniß des in Handschriften und Druck aufbewahrten Urschatzes unsrer Sprache die frühgeschiedenen germanischen Mundarten, aus welchen sich bald neue Sprachen bildeten, sämmtlich vor uns vorübergehn und gelangt so erst zur eigentlichen Sprachlehre, bei deren paradigmatischem Theile er aber wieder alle Hauptdialecte, so viel ihnen noch abzugewinnen ist, nach ihren abweichenden Biegungen und Idiomen neben einander auftreten läßt. Wie vieles wird nun erst deutlich, was uns bisher nur im Nebel und Zwielicht dämmerte. Und alles ist urkundlich begründet, nicht auf den Treibsand der Etymologie und willkührlicher Ableitung erbauet. Nichts billiger also, als daß ein wackerer Amtsgenosse Grimm's, der Bibliothekar Beneke in Göttingen, einen herrlichen Fund, der in einer fast gleichzeitigen Handschrift in Bonn gethan wurde, das vorher noch nie gedruckte Heldenlied Wigalois ihm zueignete, wodurch unsere Literatur um ein Gedicht aus der schwäbischen Periode reicher wird, welches unter den ersten einen Ehrenplatz einnimmt und von einem ächten, treuen Bergmann in den Schachten usrer Alterthumskunde sogleich für gediegenes Erz erkannt werden wird. Gute Wörterbücher sind nach tüchtigen Sprachlehren das dringendste Bedürfniß. Es macht Freude zu erfahren, daß durch den Verkauf der alten Verlagsrechte der Breitkopf-Härtelschen Handlung in Leipzig, der nur Gemeinnütziges unternehmende Buchhändler Reimer in Berlin in den Stand gesetzt wurde, an eine zeitgemäße neue Ausgabe des großen Adelungischen Wörterbuchs zu denken, wobei ohnstreitig die im Besitz des Schulrathes Koch in Stettin befindlichen Papiere Adelungs selbst befragt werden dürften. Während dieß vorbereitet wird, während das längst erwartete kritische Stammwörterbuch der gesammten deutschen Sprache von ihren Ur- und Stammwörtern und ganzen Familien vom Professor Radlof seiner Vollendung entgegeu reist, erhalten wir durch die verständige Arbeit des Prof. Heinsius in Berlin, eines um die deutsche Sprachlehre und Literatur vielverdienten Mannes, ein wahrhaft brauchbares Wörterbuch, welches als Sprachrathgeber in den Verhältnissen des bürgerlichen Lebens alle gangbare Wörter nach dem besten Schreibegebrauche mit Weglassung aller gelehrten Forschung, aber mit zahlreichen Beispielen verdeutlicht, Volksthümlichkeit und Vollständigkeit mit Erkäuflichkeit durch einen billigen Preis verbindet. Der zweite Theil dieses Wörterbuchs (wodurch ein lang gefühltes Bedürfniß gut befriedigt wird) ist so eben (Hannover, in der Hahnschen Handlung) erschienen. Das Ganze konnte schwerlich enger gefaßt werden. Dieß volksthümliche Wörterbuch der deutschen Sprache (so der Titel) wird, in vier Großoctavbänden vollendet, gewiß bald in allen Händen seyn, die ein zwischen dem Zuviel und Zuwenig in der Mitte stehendes Werk der Art schon oft zum Hausgebrauch sich wünschten. Luthers Bibelübersetzung ist das Palladium aller deutschredenden Völkerschaften. Es ist wohl auch in einem gewissen Sinne, wie jene Palladien einer frühen Vorwelt, vom Himmel gefallen. Denn solche Kraft und Gediegenheit konnte Luthern nur in einer Art von himmlischer Begeisterung über das Evangelium, das nun auch allen Armen und Einfältigen aufgeschlossen seyn soll, in seinem Zeitalter zukommen. Aber ohne uns eines abergläubischen Steifsinnes schuldig zu machen, können wir nicht jeden veralteten Ausdruck, jede Wendung mehr verstehn, noch das Unstatthafte vertheidigen. Dieß fühlte selbst die Ber | liner Bibelgesellschaft und gab ihre Bibel durch den sprachkundigen Marheineke mit den nöthigsten Abänderungen und Verbesserungen heraus. Mit Achtung und Dankbarkeit verdient aber in derselben Rücksicht eine Bearbeitung des lutherischen neuen Testaments von dem gemüthvollen und frommen Johann Friedrich von Meyer in Frankfurt am Mayn erwähnt zu werden, welche selbst den edlen Rost in Luthers Uebersetzung, ja seine treuherzige Armuth ehrend, mit großer Sparsamkeit nur das Anerkannt-Bessere an die Stelle des Fehlerhaften setzt. Ein gewaltiges Wagestück, aber mit großer Vorbereitung und Bedachtsamkeit ausgeführt, von welchem hoffentlich nicht bloß in den theologischen Jahrbüchern die Rede seyn wird, wiewohl der damit verbundene Commentar ganz eigentlich nur vor ienen Richterstuhl gehört. Bekanntlich gab der edle ungarische Dichter und Sprachforscher, Johann Graf Mailath, mit seinem Freunde Johann Paul Kössinger schon im Jahre 1817 eine Sammlung altdeutscher, über 50,000 Verse starker Gedichte unter der Benennung des Koloczaer Codex heraus (Pesth, bei Hartleben, 1817), welche einst zur berühmten Bibliothek des Matthias Corvinus gehörte und von einem unermüdeten Forscher, Martin Georg Kovachich, in der Kapitel-Bibliothek zu Kaloczka aufgefunden worden war. Derselbe Graf Mailath hat nun aus diesem Codex einige der vorzüglichsten Gedichte ausgewählt und sie so umgedeutscht, daß er den altdeutschen Geist so wenig als möglich verletzen möchte und die altdeutschen Wörter und Redeweisen, die er gern überall beibehalten wollte, in untergesetzten Glossen erläuterte. Von allem, was hier mitgetheilt wird, dürfte wohl das zweite Stück, Crescentia betitelt – so heißt bekanntlich die afrikanische Königstochter, deren Abentheuer, wundersame Rettung und Rechtfertigung hier erzählt werden – als eine der herrlichsten Blüthen altdeutscher Dichtkunst die meisten Leser und die gemüthlichste Aufnahme finden. Wer hat nicht einmal eine österreichische Tanzwese, ein Volkslied in ächter Mundart jenes Landes gehört? Selbst große Tonsetzer, selbst Mozart und unser treffliche Maria v. Weber haben aus ihrer Tonfülle neue Weisen dazu gedichtet. Es war also ein sehr erwünschter Gedanke, daß zwei Wiener Liederfreunde, Franz Ziska und Julius Max Schottky, letztrer auch schon durch einige scharfsinnige Beiträge zu den Wiener Jahrbüchern der Literatur gekannt, eine Sammlung österreichischer Volkslieder und ihrer Singeweisen herausgaben und diese der Berliner Gesellschaft der deutschen Sprache, deren Mitglieder sie sind, zueigneten. Es sind nur Feld- und Alpenblumen wie sie's bevorworten, aber in jener malerischen Gebirgskette, die sich um Wien im Halbkreise lagert, in jenen lachenden Thälern, wohin die deutsche Vorzeit aus schmalen Burgfenstern herabblickt, in den Schluchten der Brühle und Sulze bis an die Ebenen Ungarns hin, durch 18 Monate lang fortgesetztes Suchen und Forschen mühsam zusammengetragen und ohne eigenmächtiges Eingreifen in ihren unverkümmerten Naturwuchs mit den dazu gehörigen Tonsetzungen und Wörterbuche redlich mitgetheilt. Da es der erste Versuch ist, diese Mundarten in Schriften wieder zu geben, mußte der Sammler nach des sprachkundigen Radlof's Vorgange für das zwischen a und o fallende a und für das Nasen-n Schriftzei chen anwendne, wodurch man aber, wer nur einige Mühe anwenden will, die wahre Aussprache bald begreifen lernen wird. Wir müßten uns sehr irren, oder es erblühet in diesen schmucklosen Alpenblümchen unserer Sang- und Scherzlust ein neuer Kranz und manches Gesetz'l eines treuherzigen, österreichischen Liád'l Dicht, wird auch in unsern Kreisen, durch den rechten Mann eingeführt, sein Glück machen. Der berühmteste aller deutschen Meistersänger, der wackere Schuster Hans Sachs in Nürnberg, ist unter uns weit mehr belobt, als gelesen. Die Schuld liegt zum Theil in der Seltenheit der Ausgaben seiner Werke. Viele haben sich daher das Verdienst erwerben wollen, eine neue Ausgabe seiner poetischen Schwänke und Lieder zu veranstalten und dadurch Göthe's poetische Sendung des ehrlichen Meistersängers – wer kennt nicht dieß geniale Gedicht in der alten Reimweise – erst ganz wahr zu machen. Es ist aber immer nur bei Einzelnen geblieben. Bis nun auch zu einer sammlung unserer sämmtlichen altdeutschen Sänger eben so ein Verein zusammentritt, als jetzt für die altdeutschen Annalisten im Werke ist; müssen auch ausgewählte Werke eines Kerndichters, wie Hans Sachs, willkommen seyn. Von einer Sammlung der Art ist so eben der zweite Theil erschienen, unter dem Titel: Hans Sachs ernstliche Trauerspiele, liebliche Schauspiele, Schwänke und Possen, herausgegeben von D. Büsching (in Breslau), mit Titelkupfer und mehren kleinen Bildern zwischen den einzelnen Gedichten (Nürnberg, Schrag). Schon der Name des um unsre alte Literatur und Kunst sich täglich neue Verdienst erwerbenden scharfsinnigen Verfassers muß für die Zweckmäßigkeit der Auswahl bürgen. Es ist fürwahr eine gar ergötzliche und durch Vergleichung alter und neuer Zeit vielfach nützliche Sommer- und Badelektüre. Als Anklang an Würtenbergs schönere Heldenzeit haben vor kurzem die, in Geist und Lederbund längst vereinten Dichter Uhland und Gustav Schwabe, jener den Herzog Ernst in einem noch viel zu wenig gewürdigten Trauerspiele, das schon seit einem Jahre unter uns aufgetreten ist, dieser das Jugendleben des hartgeprüften, von seinem eigenen Vater verstoßenen, in schmerzlichen Irrsalen verstrickten Herzogs Christoph von Würtenberg in 36 Romanzen, welche von Christophs Geburt bis zu seiner Vermählung seine schwarzen und weißen Stunden, viele Dornen- wenige Rosenstücke, im ächten Romanzenton und Sylbenmaaß, gar erbaulich und herzergreifend vorsingen, mit großer Lebendigkeit uns vors Auge gebracht. Wir achten diesen so eben (bei Cotta) erschienenen biographischen Romanzenkreis für einen wahren Gewinn unserer romantischen Literatur. Jene frühere Heldenzeit hat den Dichter wirklich berührt. Man kann seine Manier ermüdend, seinen Vortrag ungeschmückt und alles Glanzes entbehrend nennen. Aber es ist nichts fantastisches in diesen reinen Nachklängen einer begeisternden Vorzeit. Die den Liedern beigefügten geschichtlichen Belege würden auch ohne die dichterische Ausstattung Belehrung und Unterhaltung so vereinigen, daß die muntere Erscheinung selbst dem ernsten, trocknen Geschichtsforscher ein beifälliges Lächeln entlocken könnte. Böttiger. (Die Fortsetzung folgt.)