WeGA, Rezeptionsdokumente, Digitale Edition Carl Maria von Weber’s Euryanthe. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Oper, von Helmina v. Chezy, geb. Freiin Klencke, 1840, Teil 7/9 Helmina von Chezy Veit, Joachim Stadler, Peter Übertragung Charlene Jakob

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Helmina von Chezy über die Entstehung der Euryanthe, Teil 7/9 Dr. Robert Schumann Neue Zeitschrift für Musik R. Friese Leipzig 7 13 9 29. Juli 1840 33-35 Fraktur

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Carl Maria von Weber’s Euryanthe. (Fortsetzung.)

Weber hatte im Reisewagen vieles aus der Euryanthe componirt. Wir sprachen nun über den neuen Umsturz, dessen Nothwendigkeit ihm beim Componiren deutlich geworden. Ich hatte einen versöhnenden, durchaus heitern Schluß, zwar kam die scheintodte Euryanthe, die sich Weber durchaus nicht nehmen ließ, doch an ihrer Bahre knieeten reuig und bekennend Lysiart und Eglantine. Euryanthe erwachte und den Frevlern wurde verziehen. Das Quintett bei diesem Schluß hatte Weber'n Anfangs recht angeregt und erfreut, nun aber kam er wieder auf den ersten Gedanken zurück, daß die Zwei zu Grunde gehen müßten. Ich schalte hier seinen Brief über diesen Gegenstand ein:

Siehe Brief Carl Maria von Webers an Helmina von Chézy vom 9. April 1822

Ich versprach Alles, was Weber wollte, und eilte mit meinen Söhnen nach der sächsischen Schweiz, um ungestörter zu dichten. Wir gingen über Ostrawitz, bei des Meisters ländlicher Wohnung vorüber, und besuchten ihn dort. Schönes, freundliches Land, klarer Elbstrom! wie wonnevoll umfängt mich in diesem Augenblick euer Bild, und die Lieblichkeit jenes Tages! Ich hatte schon bittere Tropfen vom Lebensbecher geschlürft, aber die Hefen lagen noch tief im Grunde, ich kannte noch keinen hoffnunglosen, ewigen Schmerz!

Ich sehe es noch vor mir, das friedliche, kleine, dicht umgrünte Haus mit seinen einfach eingerichteten, weißgetünchten, ländlichen Zimmern; in dem einen stand, unweit des Fensters, Weber’s Clavier; die hohen Baumwipfel grüßten säuselnd hinein, ihre Aeste voll zwitschernder, singender Vögel.

Weber’s wunderschöner Knabe, Max, mit großen, schwarzen Augen, durch lange, glänzende, tiefdunkele Wimpern blitzend, des Vaters ganzes Jugendbild, bleich, aber kräftig und lieblich, sprang um uns her. Wenn er so durch den grünen Rasen, durch die Gebüsche streifte, war mir’s als zögen Melodieen, sichtbar verkörpert, an uns vorüber. Mittheilend war er nicht, vielmehr zurückgezogen, doch geniale Kinder sind nie zuthulich, oder wenigstens höchst selten, und kaum findet es jemals Statt, daß eine überreiche Natur sich bei ihrem Entfalten der Außenwelt hingebend nähert. Meine Blicke folgten unablässig den Bewegungen des Kleinen, und dem zuckenden Blitz seiner Adleraugen. Weber war an jenem Tag unaussprechlich heiter und mittheilend. Er erzählte uns seine ganze Jugendgeschichte mit der liebenswürdigsten Hingebung und ganz hinreißend lebendig und feurig. Ach, ich habe sie vergessen, sie liegt versunken im Flusse Lethe, aber nicht in dem Arme des Stromes, der durch Elysium wallt. Ich weiß nichts mehr, als daß sie mich ganz entzückte. Wir sprachen über den Freischütz. Er war wiederum, ich weiß nicht mehr wo, mit großer Pracht der Ausstattung gegeben worden.

„Ja“, sagte Weber, „auf die Ausstattung wenden sie schon was, das Alles wird uns abgeknapst!“

Was ich Weber’n von dem Eindrucke, den die Musik in der Wolfsschlucht auf mich gemacht, aussprach, ergriff ihn, und er rief: „Wenn nur Jemand solche Worte drucken ließe, wenn ich nur sähe, daß alle verstehen, was ich gewollt!“

Ich versprach ihm über den Freischütz zu schreiben. Erst 1824 in Wien hielt ich Wort, der Aufsatz steht in der Abendzeitung, 1824.

Einen Jägerchor muß ich haben!“ rief mir Weber noch vor dem Hause beim Abschied zu. Im anmuthvollen Elbthal, bei Schloß Tetschen (dem Wohnsitze der edlen Gräfin von Thun, geb. Gräfin Brühl) wurde das Dichten leicht; Strom, Felsen und Waldungen riefen mir den Jägerchor mit tausend Stimmen in die Seele. Ich eilte, ihn nach Ostrawitz zu senden, er kam hochwillkommen, und wurde auf der Stelle componirt. Nicht lange darauf kamen wir zurück, und im Vorbeigehen zu Weber; er empfing uns herzlich, wie immer, und bezeigte mir seine Freude über das Gedicht. Doch zwei Sylben, sagt‘ ich, sind hart: „Hoch schwillt die Brust, des Siegs bewußt“ —. Soll ich sie ändern? „Ja! doch — nein! Lassen Sie’s, ich will die Stelle recht kräftig halten, so wird sie eben durch die Härte noch schöner!“

Er spielte und sang uns den Jägerchor. —

Liebes Haus im Buchengrün, wie schnell verstummt sind in dir die süßen Klänge, wie still magst du jetzt trauern — aber ein Glanz umgibt dich für und für, denn der Genius weilte in deinen Räumen.

Ich war noch nicht lange von Tetschen zurück, als ich Nachricht bekam, daß die Gattin des unglücklichen Fonk, den die ruchlose, aberwitzige (und dennoch sein Leben vergiftende) Bezüchtigung eines Meuchelmords in den Kerker gebracht, in Berlin angekommen sei. Ich wollte die Schwergeprüfte kennen, trösten; ich nahm Rücksprache mit Fonk’s feurigstem Vertheidiger, Hofrath Bischoff, er lobte meinen Entschluß und gab mir Aufträge an die fromme Dulderin. Meine Reise war heilbringend, durch die mit Fr. Fonk genommene Rücksprache konnte ich dem Hofrath Bischoff Maßregeln angeben, deren Ausführung zum Ziele führte.

Berlin fand ich gegen sonst wenig verändert — doch es hatte nun einige Gräber mehr — Caroline v. Berg, geb. Gräfin von Häseler, die ich, wie meine Mutter, nur „die Himmlische“ nannte, die Freundin und Vertraute der Königin Louise. — O, wie so früh bedeckte sie die Gruft! — —

Mit scharfer Sense mäht der Tod des Lebens Fluren kahl, mit vollen Händen bringt das Leben frisches Blühen, doch unersetzlich bleibt, was das Herz lieb gewonnen, und der Mensch grollt mit dem Himmel, weil er hienieden nicht mit allen seinen Lieben beisammen bleibt. Elise von Hohenhausen, die liebliche Dichterin, längst mir brieflich befreundet, traf ich in Berlin, und gewann die schöne, edle Frau innig lieb. — Wer von uns ahnte Unglück, als ihr Söhnchen so blühend und heiter mit seinen Schwestern um uns hergaukelte?Elise von Hohenhausens psychisch labiler Sohn Carl (geb. 1816) nahm sich 1834 das Leben. — Arme Mutter! —

Ach! und dennoch bist Du die jammervollste der Mütter nicht! — — —

In Elisens Dienstagskreise fanden sich viel geistvolle Männer und Frauen beisammen, deren Erinnerung an die dort verlebten Abende gewiß nicht minder lebhaft ist, als die meinige. Auch grüner Anflug vom jungen Deutschland wurde dort wahrgenommen. Heinrich Heine, mit einem Augenpaar, schwimmend in feuchtem Glanz, wie seine Lieder. Dieser heitere, mild ausströmende, schnell erglühend, alles Herzliche auffassende Heine ist nicht in Paris, ja ich fürchte, er lebt gar nicht mehr. Er kann wohl nichts dafür. Der Cherub mit dem Flammenschwert, der eine solche Natur aus dem Jugendparadiese treibt, ist die Berühmtheit, er treibt nicht weg, sondern er lockt hinaus. Die Pforte schließt sich zu und wird unsichtbar, doch, wer nur recht sucht, wird sich dahin zurückfinden, wer nur rechtes Heimweh hat, dem öffnet sie sich wieder.

Wie könnt‘ ich meiner geliebten Vaterstadt schöne, geistfunkelnde Kreise alle nennen? Dieser Erinnerung sei eine andere Stelle aufbewahrt, ich bleibe bei der Euryanthe stehen, und bei dem, was ihren unsterblichen Meister betrifft. Den innigsten Antheil an dem neuen Werke nahm Graf Carl v. Brühl, und die Familie Mendelssohn-Bartholdy, der deutscher Künstlerruhm so tief am Herzen liegt, deren großartige Bestrebung der Auferweckung alter, echter Kunst in Felix Mendelssohn’s Ruhme so herrliche Früchte getragen. Mein Freund Eduard Hitzig, der sich immer gleiche, der alles geistig Schöne mit Jugendbluth des frischgebliebenen Herzens umfängt, und Hofrath Esperstädt mit seiner werthen Gattin waren es, deren liebevoller Antheil für unser Werk mich zumeist befeuerte, die neue Umschmelzung des zweiten und dritten Acts, die Weber ersehnte, ohne eine Idee für sie zu wissen, nun mit Ernst vorzunehmen.

Noch in ihrer früheren Gestalt hatte ich sie in befreundeten Kreisen vorgelesen, unter andern bei Eduard Hitzig, der auch Rahel zu diesem Abend geladen, Rahel, die schon unsäglich leidend war! Sie schrieb ihm: „Lieber Freund! ich wollte gern kommen, aber Ihr Berlin und mein Berlin liegen so weit auseinander“. —

(Fortsetzung folgt.)