## Title: Etwas über der Reformation Secularfeier zu Dresden am 31. Oktober und 1. November 1817 ## Author: Kuhn, Friedrich ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030203 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Ich war in der That sehr gespannt darauf gewesen, mit welchem Grad des Interesse die Secularfeier der Reformation in Sachsen, das eben der Reformation unstreitig die Hauptzüge danket, welche dieses Land noch jetzt unter den deutschen Stammvölkern charakterisiren, und namentlich auch in Dresden gefeiert werden würde, wo Kirchenandacht in allen Ständen zur häuslichen Ordnung gehört, und wo bei der ungestörten Eintracht zwischen dem Könige und seinen Unterthanen die würdigste Feier dieses Festes ein neuer Beleg des unbeschränktesten gegenseitigen Vertauens seyn mußte. Dennoch kann ich sagen, ist meine Erwartung von der innigsten Theilnahme an diesem Feste, hier noch durch die That übertroffen worden. Schon der erste Gottesdienst früh um 5 Uhr am 31. October in der mit wohl tausend Kerzen und Lichtern erhellten und mit großem Gewinden von Eichenlaub herrlich geschmückten Kreuzkirche, wo der Frühprediger M. Jaspis den Tag mit einer würdigen und zweckmäßigen Rede gleichsam zuerst weihte, war ganz überfüllt, und so sind von da an, während der drei Tage, alle Kirchen zu jeder Tageszeit gedrängt voll gewesen. Es war gleichsam Ein Interesse, aber ein gemeinsames, gleichsam vaterländisches Interesse, was allen Ständen in diesen Tagen vorschwebte, sie alle, wie zu Einer gemeinschaftlichen Angelegenheit ernst und doch freudig zusammenführte, sie alle mit einer Herzensregung erfüllte und den alten Sachsennamen zugleich mit Luthern, unserm Eigenthume, abermals mit einer gewissen Erhebung vor unsern Seelen vorüberführte. – Alles übrige Aeußere entsprach eben so der frommen, würdigen Haltung unserer Stadt in dieser Zeit. Kein rauschendes Vergnügen, das in den ersten Tagen nur irgend eine Seele hätte stören oder ärgern mögen. Die feierlichen Züge nach und aus den Kirchen mit Eintracht, Stille und würdiger Stimmung, alles wie einverstanden über die Art, wie dieses Fest eben gefeiert werden müßte! Am dritten Tage frohe gemeinschaftliche Gastmähler, die Säle überall mit Luthers ewig denkwürdigem Haupte ausgeschmückt, und erklingend von alten und neuen Liedern zu seinem Preise. Kein Verkehr während der drei Tage irgend zu finden; aber um hundert Tische mit wohlgerathenen Abdrücken von dem Luther in Zinn und auf Papier immer neue Käuferreihen gedrängt! Sehr anziehend aber war mir auch der zweite Tag, der Tag der Jugend, für die er, der Mann, so viel gethan hat, als für die Männer aller Zeit; wie denn aller Unterricht, alle Schulzucht, namentlich in Sachsen, durch Luthern erst den Umschwung und den Charakter angenommen hat, durch welchen sich sächsische Erziehung noch jetzt auszeichnet. Die hiesige Kreuzschule, wo der Rektor Gröbel und Conrektor Baumgarten-Crusius, als gelehrte und geistvolle Männer, dem Publikum schon ansonst bekannt, einen ganzen Chor würdiger Lehrer anführen, den der hiesige Stadtrath mit rastlosem Eifer und rücksichtsloser Wahl aus allen Gegenden in unserm Weinberg versammelt hat, – war schon am ersten Tage feierlich in die Kreuzkirche gezogen. Am zweiten Tage war Nachmittags um 4 Uhr ein Schulakt auf dem Gewandhause, da auch das große Schul-Auditorium die Zuhörer aus allen Klassen, über tausend an der Zahl, nicht hätte fassen können, veranstaltet, zu welchem Akte der Rektor Gröbel sehr zweckmäßig in einem Programm, welches eine Menge Kraft- und Kernstellen aus Luthers Werken über Schul- und Erziehungswesen, eingeladen hatte. Am Ende des großen Saals war ein erhöhter Chor für die Musiker aufgeführt, eine Rednerbühne errichtet und mit lebendigen Blumen und grünem Gewinde geschmackvoll geziert; aber über allen andern Schmuck waren die kolossalen Büsten Luthers und Melanchthons, mit Eichenlaub um die Stirnen geschlungen, von Schadow, auf geschmackvollen Postamenten, gleichsam über die ganze Versammlung freudig, ernst hinblickend, – diese Büsten selbst ein Geschenk des Stadtraths und der, überall mit Liebe und Sorgfalt eingreifenden, Schulinspection an die gebildeten Schüler. Nach einer Cantate, welche die Feierlichkeit eröffnete, folgte des Rektor Gröbel lebendig vorgetragener, in leicht sich entfaltender Rede gründlich durchdachter, und dessen, was er wollte, sich tiefbewußter lateinischer Vortrag über den Einfluß der Reformation auf das Studium der alten Sprachen – (dieser große, immer noch frisch und freudig blühende Lorbeerzweig der sächsichen Schul- und Menschenbildung); sodann abermals ein auf diesen Tag gedichtetes und dazu in Musik gesetztes Lied mit Chor; dann Cramers unsterbliche Ode auf Luther – (werth in allen Landen deutscher Zunge noch Jahrtausende am Feste der Reformation gesprochen, gefühlt und in die tiefsten, wärmsten Kammern des deutschen Herzens, wie ein herrlicher Schatz verschlossen zu werden,) – von dem Primaner Schellhorn trefflich vorgetragen, so daß die Welle der Begeisterung alle Herzen ergriff; hierauf Vossens Lied, die Kirche, von Fritzsche gesprochen, und so nun weiter eine Reihe deutscher und zum Theil wirklich römischer Gedichte von den Primanern: Frauenstein, Beck, Starke, Mannfeld, Hofmann, Starke und Hausmann, einer Auswahl der würdigsten Schüler dieser Schule, in allen Sylbenmaßen, selbst dem der verschlungene Octave, sämmtlich gemüthvoll empfunden und gedacht, rein und mit Herrschaft über die Sprache, und doch leicht und ohne einen Anschein von Mühsamkeit hingeworfen, und unbesorgt und fest von den jugendlichen Lippen, in der ganzen Freudigkeit eines unschuldig heraufblühenden Geschlechts, einer Versammlung vorgetragen, in welcher sie, die jungen Redner, mehrere der ersten Civil- und Militairbeamten, unsere Gelehrten und Künstler, mit hunderten von Familienvätern und Familienmüttern zu Einem Zwecke innig verbunden erblickten. Den Schluß endlich bildete ein Gedicht von dem Alumnus Stange verfertigt und von dem Alumnus Seidel componirt, und so bewährte auch diese Composition des jungen, auf der Kreuzschule sich so eben erst ausbildenden Zöglings, durch anmuthige Melodie mit einem gründlichen Satze verbunden, daß der Anstalt auch dieses Lob nicht abgeht. Denn ich darf wohl nicht erst noch hinzufügen, daß alle diese Jugendarbeiten, rein, wie die Schüler sie hervorgebracht, dem Publikum dargebracht wurden, und höchstens nur hie und da in einzelnen Ausdrücken, nach des Rektors Gröbels bestimmter Versicherung, unbedeutende Abänderungen erlitten hatten. In der That aber können auch wohl solche, zum größten Theil gelungen zu nennende Arbeiten von vierzehn- bis fünfzehnjährigen Jünglingen erwartet werden, welche mit Lehrern, wie diese, ihren Terenz und Plautus, ihren Hoarz und Virgil, ihren Sophocles und Euripides ohne große Anstrengung zu handhaben und, wie Schreiber dieses selbst mit angehört hat, – gleichsam als Bürgen auch der künftigen sächsischen Gründlichkeit – im Homer und Plato über abweichende Lesarten Red' und Auskunft zu geben wissen! Bald nach dem beendigten Aktus begann ein feierlicher Umzug der Schule, von mehr als hundert Fackeln erleuchtet, mit Musik und Gesang durch die Stadt, und beschloß unsers Luthers Schulfest mit eben so viel Anstand, als es begonnen hatte. Friedrich Kuhn.