## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Preciosa” von Carl Maria von Weber am 15. November 1823 (Teil 1 von 2) ## Author: Tieck, Ludwig ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A032913 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Am 14. Nov. Preciosa, Schauspiel in vier Aufz. von P. A. Wolff. Dieses anmuthige Schauspiel hat ein sonderbares Schicksal gehabt. Indem es auf allen deutschen Bühnen großes Glück macht und bei öftern Wiederholungen immer noch die Schauspielhäuser füllt, ist es unsern Kritikern auf der andern Seite so sehr ein Stein des Anstoßes, daß man aus vielen Blättern bittere Recensionen, auch von bedeutenden Stimmen gehört hat, als wenn sich alle gute Köpfe das Wort gegeben hätten, ihren Zorn über diese Produktion auszuschütten. Es ist leider nur zu wahr, daß Prunk, Dekoration, Tanz und dergl. was ausserhalb dem Schauspiel und seiner Kunst liegt, durch Sinnenreiz, der oft ziemlich plump ist, das Theater selbst immer mehr vom Theater verdrängen und den recitirenden Künstler fast überflüssig machen; es ist zu loben, wenn die Einsichtvollen dagegen eifern und zu retten suchen, was noch zu retten ist: auch in die Klage jener kann man einstimmen, welche die Delinquentenstücke, oder jene gräßlichen Werke von der Bühne wieder verbannen möchten, die durch noch schlimmern Reiz viele Gemüther verblendet haben: aber, kann man fragen, soll es, einverstanden mit diesen, einem harmlosen, heitern Geiste nicht erlaubt seyn, auch einmal auf unschuldige Weise die Sinne in Anspruch zu nehmen? Es ist nicht noth wendig, daß ein trefflicher Schauspieler ein großer Dichter sey; wenn aber Wolff die Lust an der Deklamation und an Versen, an leichtem Scherz und Musik, an jener Stimmung des Publikums, die so oft das Blendende dem Tieferen vorzieht, benutzt, und es ihm gelingt, ein liebenswürdiges, leichtes Schauspiel zu erschaffen, das uns kein ungeheures Schicksal, keine tiefsinnige Lehre, oder widerwärtige schauderhafte Empfindungen einprägen will, so begreife ich nicht, warum wir eine Gabe nicht in dem Sinne annehmen sollen, in welchem sie uns geboten wird. Eine tiefe, ernste Kritik scheint mir hier überflüssig, weil der heitere Scherz die Anmaßung nie mit sich führt, zu den Werken der Literatur zu gehören, oder das Wesen des Schauspiels in ein höheres Licht zu rücken, wie so manche irregeführte Talente sich bei uns bestrebt haben, bei denen es dann allerdings Pflicht der Kritik ist, sie auf die rechte Bahn zurückzuweisen. Ist es wohl das Pferd oder Maulthier, welches erscheint und den Zorn der Puristen erregt? Schiller erlaubt sich auch dergleichen, und im gedruckten Stücke Wolffs sehe ich keins erscheinen, Preciosa wird am Schluß des zweiten Aktes auf einer Trage fortgeführt: das Maulthier ist also ein Zusatz des Theaters. Und sähen wir doch nur dort keine andern Maulthiere! aber bei manchem recitirenden Künstler, wenn er sich durch tiefsinnige Jamben oder künstliche Trochäen winden muß, fällt uns nur gar zu leicht der Vers unsers Dichters ein: Das Maulthier sucht im Nebel seinen Weg.Ich weiß nicht, ob Deutschland eine Preciosa besitzt, die alles erfüllt, was Dichter und Publikum von ihr fodern dürfen, wo sie gefunden wird, muß ohne Zweifel dieses romantische Spiel mit einer solchen Hauptfigur, den Waldtönen, Scherz und Spaß und heiterer Entwickelung ein reizendes Ganzes bilden. Die hiesige Darstellung ist eben nicht zu tadeln, doch zeigt sich nur Wiarda (Mad. Hartwig) als Künstlerin und ganz im Sinn der Rolle. Daß ich nicht die trochäischen Verse, die meist regellos sind, oft auch ohne Reim, billige, geht schon aus dem vorigen Aufsatze hervor. Es ist unbillig, das Drama zu strenge und nahe mit dem Werke des Cervantes zu vergleichen. Ich habe schon sonst bemerkt, daß es überhaupt eine mißliche Aufgabe sey, aus einer trefflichen Novelle ein eben so treffliches Drama erschaffen zu wollen. Und diese Gitanilla ist vielleicht die Krone unter den Erzählungen des spanischen Dichters. Diesem Zauber der Darstellung und der Sprache wetteifernd nachzuspielen, ist vielleicht ein unerlaubtes, wenn nicht unmögliches Beginnen; ein Lustspiel aus dieser Novelle schaffen, ist nur wie eine annähernde Uebersetzung, oder als eine Nachahmung von Hörensagen zu betrachten. Doch wünsche ich, der Dramatiker hätte sich in Ansehung der Verhaftung des jungen Zigeuners näher an die Erzählung gehalten, das Stück hätte dadurch an Handlung gewonnen. Es hieße doch wohl die Delikatesse zu weit treiben, wenn die falsche Anklage eines Diebstahls ein so schlimmes Licht auf den jungen Edelmann werfen könnte, daß er dadurch den Augen der Zuschauer unerträglich würde. (Die Fortsetzung folgt.)