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Machine-Readable Transcriptions of Texts from the Carl Maria von Weber Complete Edition (WeGA)
Die Publikation in der von Gottfried Weber herausgegebenen Caecilia deutet zunächst auf eine gewisse Authentizität des Brieftextes hin, allerdings lassen die Umstände der Veröffentlichung (Verschweigen des Brief-Verfassers wie auch des Einsenders der Druckvorlage) Zweifel an der Echtheit des Dokuments in der vorliegenden Form aufkommen. Bei dem in der Originalanmerkung genannten Einsender, einem der ausgezeichnetsten Schriftsteller über Musik
, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um fünften Hauptperiode der Tonkunst
wären, wie sie im zweiten Absatz des Briefes Verwendung findet, den Ausführungen von Rochlitz im Bd. 4 seiner Sammlung Für Freunde der Tonkunst (1832, darin S. 210ff.). Auch die genaue Kenntnis der Dresdner Verhältnisse wäre, nimmt man Rochlitz als Schreiber an, nicht verwunderlich, beobachtete dieser als langjähriger Redakteur der Leipziger AmZ das Musikleben in der sächsischen Haupt- und Residenzstadt doch über eine große Zeitspanne, kannte die dortigen musikalischen Vorlieben, wusste um die besondere Bedeutung der Hofkapelle und um das Fehlen von Abonnementskonzerten, wie sie sich in Leipzig längst etabliert hatten. Zudem entspricht die Beurteilung des Dresdner Publikums als ausgesprochen residenzialisch gesinnt
der Leipziger Perspektive, denn die Konkurrenz zwischen der Bürgerstadt Leipzig und dem bezüglich des kulturellen Lebens weit stärker durch den Hof geprägten Dresden bestimmte über lange Zeit die Presseberichterstattung über die beiden sächsischen Metropolen.
Allerdings scheint die Dokumentation des Briefwechsels zwischen Weber und Rochlitz in Webers Tagebuchnotizen und Briefen gegen Rochlitz’ Autorschaft zu sprechen: Am 30. November 1816 erhielt Weber von Rochlitz einen ausführlichen, lieben
, über den er seiner Braut Caroline Brandt und zwar mit recht klaren, ächten Gründen
, wie er sie sich längst selbst vorgelegt habe
. Zu diesem Zeitpunkt stand Webers Berufung nach Dresden, zu der der Briefschreiber am Beginn seinen Glückwunsch
ausspricht, allerdings noch keineswegs fest. Vielmehr hatte Weber dem befreundeten Rochlitz am 22. November weitläufig
schienen. Erst der
Freilich ist zum einen denkbar, dass Weber in den ersten, sicherlich äußerst turbulenten Tagen in Dresden vergaß, einen Brief von Rochlitz im Tagebuch festzuhalten, in dem dieser direkt auf die Bedenklichkeiten
, auf die hier so ausführlich eingegangen wird, bestenfalls angedeutet werden. Auch Webers Vorsatz, in Dresden (wie bereits zuvor in Prag) sein eigenes Wirken beim Aufbau der deutschen Oper mit entsprechenden Presseartikeln zu begleiten, die der Briefschreiber im letzten Drittel seines Schreibens anspricht, spielt in Webers Briefen an Rochlitz erstmals im Februar 1817 eine Rolle (vgl. den was auch andern achtungswerthen Tonkünstlern in mehr oder weniger ähnlichen Fällen zur Beherzigung zu empfehlen seyn möchte
— der Einsender wollte mit dem Abdruck des Textes also nicht nur ein historisches Zeugnis präsentieren, sondern verfolgte eine bestimmte Absicht; in diesem Fall speziell die Mahnung, dass die Einrichtung einer festen Konzertreihe in Dresden mehr als überfällig sei (sie gelang nach kurzlebigen Versuchen 1821/22 sowie 1848/49 erst im Jahr 1858).
Insofern bleiben nicht nur hinsichtlich der Zuordnung von Rochlitz als Briefschreiber, sondern ebenso bezüglich der Authentizität des Textes als Ganzes etliche offene Fragen.
Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe, Sämtliche Briefe
Übertragung folgt den ER der WeGA
Schreiben
an
da er sein Amt als königlicher Kapellmeister in Anm. d. Redact.
So ist es gelungen? und Ihr Hauptzweck bey der Uebernahme dieses ehrenvollen Amtes, so wie eine der Hauptforderungen der Behörde an Sie, die Errichtung einer deutschen Oper? Nun denn: meinen fröhlichen Glückwunsch dazu! Gewiss: in diesem neuerlangten Amte werden Sie erst recht an Ihrem Platze seyn; und da kann es auch kaum fehlen, Sie werden fortan ein beruhigteres, glücklicheres Leben führen. Verlangt dies Amt ja doch nach allem Wesentlichen nichts von Ihnen, als dass Sie fortfahren in dem, was Sie selbst früher aus Bewusstseyn Ihrer Fähigkeiten, aus Neigung und freyem Entschluss sich erwählt, was Sie bisher, meist unter schwierigern, ungünstigern Verhältnissen, versucht, gethan, erprobt haben. Dies Nämliche sollen Sie nur jetzt zunächst einem bestimmten Orte und Publicum zuwenden; es in der Ausführung, so weit die Gegenstände selbst es zulassen, diesem Orte und diesem Publicum anbequemen; wofür Ihnen nun auch noch die Freude wird, sich in Ihrer Thätigkeit sicherer und freyer bewegen und den Eindruck Ihrer Wirksamkeit – einen nicht blos augenblicklichen, sondern bleibenden – weit mehr bemerken zu können, als das bisher auf Ihren vielen Reisen oder in einer Lage, wo alle Ihre Leistungen blos einer zufällig zusammenlaufenden Volksmasse und deren oft so verkehrten Anforderungen oder Launen hingegeben werden mussten, möglich war. Was begründet denn aber die Zufriedenheit und das Lebensglück eines Mannes, der nicht gedankenlos und wüst in den Tag hinein es treibt, wenn nicht eben das es thut? Jaja: Sie müssen durch diese Veränderung auch glücklicher werden; und ich brauche für meine Behauptung nicht einmal geltend zu machen, was mehr das materielle Leben betrifft, darum aber doch wahrlich keine Kleinigkeit ist: eine in jeder Hinsicht gesicherte Existenz, eine sorgenfreye Lage, eine wahre und am Ende jedem Besonnenen erwünschte Heimath u. dgl.; Güter, deren Erreichung dem Musiker, besonders dem Virtuosen, in unsern Tagen ohne Vergleich mit ehedem schwieriger gemacht wird, theils durch die überaus hoch gestiegene Ausbildung vieler vorzüglichen Dilettanten, theils durch noch nie erhörte Verbreitung einiges Musiktreibens niedrer Art unter der gesammten Volksmasse, die aber dadurch eben für solche Musik niedrer Art ein Uebergewicht hervorgerufen, die Handhabung des öffentlichen Urtheils über die Productionen grossentheils an sich gerissen hat, u. dgl. m.
So viel im Allgemeinen: ich komme nun im Besondern auf das, was Sie bey der Nachricht von dieser Entscheidung Ihres Geschicks Näheres äussern; ich meyne vorzüglich Ihre Bedenklichkeiten und Besorgnisse. Sie machen Ihnen Ehre und mir Freude: doch geben Sie ihnen, wie es scheint, zu vielen Raum. Thun Sie das nicht! es würde sonst jetzt Ihre Freude trüben und wohl gar in Ihre Zukunft hineinklingen. Eine Art Wagnis bleibt ja jedes Bedeutende, was wir unternehmen. Ist die Sache recht, gut, und dem angemessen, wie wir sind und was wir vermögen: so müssen wir auch ihr selbst, dem Geschick und den Menschen, mit denen wir es zu thun haben, Etwas zutrauen. Und mit wem haben Sie es denn hier zu thun? Zuvörderst mit einem seinen Diensten sind. Und eines Weiteren bedarf es in solchen Dingen doch eigentlich nicht: ja gar manches Weitere, wo es ist, wenn es von der einen Seite hebend und erfreulich seyn kann, wird gar leicht von der andern lastend und niederschlagend.
Zweytens haben Sie es zu thun mit der Kapelle. Da ich zu einem, auch für die Welt gebildeten und in ähnlichen Verhältnissen erfahrnen Manne spreche, so lasse ich gänzlich unberührt, was aus dem einen Worte hervorgeht: die Kapelle ist Ihnen untergeben; und setze blos hinzu: sie wird gar bald Ihnen auch ergeben seyn. Im Besondern zu berücksichtigen scheint mir hier zunächst Folgendes zu seyn. Diese Kapelle hat von Alters her einen aufgezeichneten Ruf und entschiedenen Credit genossen, weit weniger um einzelner Virtuositäten, als um eines vortrefflichen Ensemble willen; sie geniesst Beydes noch: aber freylich in Hinsicht auf jene Gattungen Musik, die fast allein auszuführen sie Gelegenheit gehabt, und zu welchen nur in letzter Zeit, was die italienische Oper betrifft, einiges Spätere hinzugekommen ist. Hier ist allerdings eine Lücke und
Nun aber drittens – und das scheint, auch nicht mit Unrecht, der wichtigste Punkt Ihrer Bedenklichkeiten zu seyn. – Sie haben zu thun mit dem örtlichen Publicum, wie dies nun eben ist. Da fragt sichs nun zuvörderst: wie ist dies denn? Es ist so, wie es unter den schon angegebenen Verhältnissen seyn kann. Viel Antheil an Musik überhaupt, dort, wie jetzt überall; mehr Bekanntschaft, ja Vertrautheit mit ausgezeichneten Werken der Tonkunst, wahre Achtung und Liebe zu ihnen: aber eben zu jenen Werken und denen, ihrer Art. Ich setze hinzu: Es ist das Publicum einer Residenz, und, wie überhaupt, so auch in Hinsicht auf Musik, mehr als vielleicht jetzt noch irgend eins in Deutschland, residenzialisch gesinnt, gestimmt, gewöhnt. Hiernach will es, was es hat. Gut! denn was es hat, war selbst gut, und ist es noch, wird es, bleibt man gerecht, für immer bleiben: aber gut in seiner Art. Nun aber das Andere, das viele Andere, aus älterer und neuerer Zeit, das gleichfalls gut und in gewissen Richtungen ohne allen Zweifel besser ist! Dies kennt Ihr örtliches Publicum nicht. Dass es dies nicht kennt, muss man bedauern, kann es ihm aber nicht vorwerfen; denn es hat ihm an Gelegenheit gefehlt, es kennen zu lernen. So verhelfe man ihm zu dieser Kenntnis. Aber es ist ihm nicht geneigt, zum Theil wohl auch abhold! Das ist freylich nicht gut. Doch kann denn nicht werden, was noch nicht ist? Es kann und wird; denn Einseitigkeit und Beschränktheit aus dieser Ursache ist ja kein Beweis, und nicht einmal ein Zeugnis für Unfähigkeit oder Unempfänglichkeit für Anderes, wenn man dies nur erst kennen lernt. Auch finden Sie diese gänzliche Unbekanntschaft nur bey einem Theile Ihres jetzigen Publicums, welcher der zahlreichere seyn mag, aber für die Sache im Ganzen nicht der bedeutendere ist: dem andern ist es weder so ganz unbekannt, noch ist er darauf unvorbereitet. Wie könnte das auch anders seyn? er müsste ja nicht mitten in Deutschland, sondern auf einer entlegenen Insel gelebt haben! Auch Sie, mein Freund, waren schon vor Ihrer Ankunft nicht Wenigen in Beste: dies aber nach allen Hauptrichtungen der Tonkunst, den gewohnten, wie den ungewohnten. Geben Sie es ihm auf's Beste. Das Beste, auf's Beste dargestellt, verfehlt seine Wirkung nirgends gänzlich, wenigstens nicht auf die Dauer. Um des Letzern willen: Beharrlichkeit! um des Erstern willen: Geduld! Ohne Beyde erreicht man an einer Menge und von ihr nun einmal nichts von Bedeutung, was es auch sey; wenigstens nichts in Dingen, wo ein Neptunisches Quos ego – ! nicht statthaben oder man nicht
Nun glauben Sie aber auch noch besonderer Hülfsmittel zu bedürfen, um Ihr Publicum für sich und Ihre Leistungen zu gewinnen. Ich glaube das nicht: doch mögen Sie Recht haben, wenn Sie damit früher zum Ziel zu gelangen hoffen. Darum widerspreche ich nicht, sondern theile meine Gedanken mit über das, was Sie zunächst im Sinne tragen.
Sie wollen über die Hauptgegenstände, die Sie einzurichten Willens oder öffentlich auszustellen im Begriff sind, schreiben und in periodischen Blättern drucken lassen. Sie vermögen das sehr gut zu machen: Sie werden es sehr gut machen. Aber versprechen Sie sich nicht zu viel von der Wirkung. Sie kennen die Musiker und ihr Lesen; Sie wissen auch, wie bey weitem die Meisten im Publicum jetzt ansehen, was über Musik geschrieben wird. Selbst die wahren, ja enthusiastischen Freunde dieser Kunst wollen jetzt weit lieber über sie reden, als hören; weit lieber schreiben, als lesen. Und was die übergrosse Anzahl sogenannter Liebhaber betrifft, so will ich nur an das Allgemeinste erinnern; an das, was überall anzuwenden ist, zwiefach aber bey dieser Kunst, die über das Alltagsleben, wie die schön gefärbte Abendwolke über die Erde, hinschwebt vor Allen, aber, wie fern sie Kunst ist, wahrlich nicht für Alle. Was vom Blatte in den Geist, den innern Sinn, und vollends in den Willen eindringen, dort nachhaltig bleiben und wirken soll, das setzt im Geiste, Sinne und Willen schon Verwandtes voraus, woran es sich knüpfen kann; und wo dies noch fehlt und doch Etwas werden soll, da ist ein noch ganz unangebauter Boden besser, als ein von Lolch überwachsener und ausgesogener. Indessen: Sollten Sie es dennoch mit der Feder versuchen, so würde ich wenigstens rathen: Lassen Sie alles aus der höhern Kunstwissenschaft, ja vor der Hand alles blos Lehrende bey Seite. Bey weitem die Meisten ihrer Leute verständen das nicht; die Wenigen, die es verständen, meynten es längst und wohl besser zu wissen; und Beyden machte es jetzt, wo ganz andere Dinge das allgemeine Interesse an sich reissen und festhalten, nur Langweile oder erregte eine gewisse unmuthige Stimmung. So, dächte ich, liessen Sie auch bis auf Weiteres die eigentliche Kunst-Kritik abseits liegen. Wie gründlich, und auch wie behutsam Sie mit ihr hervorträten: es lieset (wie es dort heisst) ein Jeder nur sich selbst herausEpistel (in: Die Horen. Eine Monatsschrift, Bd. 1, 1795, 1. Stück) heißt das Zitat (S. 2f.): es liest nur ein jeder | Aus dem Buch sich heraus
.fühlt und wer will das nicht ganz anders? Und liefe Ihr Widersprechendes gar gegen seine oder seiner Brüder und Gevattern persönliches Interesse: so hätten Sie ihn und diese, mit Allem, was sie vermögen, auf dem Halse. – Sonach bliebe Ihnen kaum Etwas, ausser Historisches. Nun ja: dies, hübsch erzählt, lässt man sich gefallen, und es bringt wohl auch wirklich den Einen und den Andern dahin, dass er auf einen Meister oder ein Werk, von denen er nichts gewusst, aufmerksamer und so dem Vorgetragenen der Eingang erleichtert wird, was allerdings schon Etwas sagen will.
Für ein sichreres, tiefer ein- und viel weiter ausgreifendes Hülfsmittel zu jenem Zweck halte ich aber ein anderes Unternehmen, dessen Sie nicht gedacht haben; ein Unternehmen, wo Sie alles Gute und Schöne, das Sie wollen, freyer, nach eigener Einsicht, Ueberzeugung und Neigung herstellen, zunächst es geltend machen, ohne Anstoss Achtung und Liebe dafür erwecken, leichter auch die Wirkungen beobachten und daraus für sich und Ihre treuen Bemühungen nützliche Maximen ziehen können: nämlich die Stiftung eines feststehenden, im Winterhalbjahr, wenn irgend möglich, jede Woche an ein- für allemal bestimmtem Tage zu haltenden öffentlichen Concerts für höhere Gesangs- und InstrumentalmusikDergleichen Institute sollte es für die Tonkunst in allen Residenzen gerade so und in derselben Absicht geben, wie es öffentlich zugängliche Galerieen für die Malerey und Bibliotheken für die Wissenschaft giebt. Ehemals war es auch so, und was ist damals hierdurch gewirkt worden! Dass es jetzt, und eben jetzt bey so grosser, durch alle Stände verbreiteter Liebe zu jener Kunst, dergleichen Institute nicht mehr giebt, ist eine der Hauptursachen, warum die niedern blos für den augenblicklichen Sinnenreiz bestimmten Musikgattungen – die wir, wenn sie nicht geistlos sind, nicht verwerfen wollen – eine solche ungebührliche Uebermacht, man dürfte sagen: eine Allein-Herrschaft, erlangt haben. Aber die Schwierigkeiten und Mühen, welche die Einrichtung und Führung solch eines Institus macht! die vielen und wahrhaft bedeutenden Schwierigkeiten und Mühen!
Mein Freund: Sie wollen ja auch Vieles und wahrhaft Bedeutendes thun! Sie sind der Mann dazu; die Einsichtigen und Wohlwollenden Ihres Publicums erwarten, heischen es auch von Ihnen! – Kurz: Sie werden mich nicht los mit diesem meinem Vorschlage, bis Sie ihn ein Winterhalbjahr hindurch beharrlich durchgeführt haben. Haben Sie diess gethan und erweislich ohne Erfolg: dann habe ich verloren, nicht aber Sie; denn Sie haben zwar das Verhoffte und treulich Angestrebte nicht erreicht, aber an Hochachtung und würdigem Antheil überhaupt haben Sie gewonnen, überall, wo Männer von Ihrem Thun und Schicksal erfahren: Männer, deren Hochachtung und Antheil wahrhaft ehrt, stärkt, freut und lohnt.