## Title: “Allgemeine Singschule” von Franz Joseph Fröhlich ## Author: Gottfried Weber ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030880 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Allgemeine Singschule, nach den Grundsätzen der besten über die Singkunst bereits erschienenen Schriften bearbeitet von J. Fröhlich (Auszug aus dessen größerm Werke der allg. theor. praktischen Musikschule). Bonn, bey Simmrok. 83 S. fol. (12 Franken.) Lehrbücher, besonders musikalische, werden jetzt dem Publicum so häufig, und unter so verschiedenen, oft den Inhalt und die Tendenz des Buches so vag, oder gar unrichtig ankündigenden Titeln angeboten, daß es beym Erscheinen eines bedeutenden Werkes (und als solches können wir das vorliegende im voraus erklären) vor allem Noth thut, dem Publicum sichre Nachricht zu geben, was es in dem Buche zu suchen habe, was die Tendenz des Verf., und für welche Classe von Lesern es von ihm bestimmt sey. Der Verf., als würdiger Vorsteher des, mit der Würzburgischen hohen Schule verknüpften musikalischen Lehrinstituts längst rühmlich bekannt, und allgemein geachtet, liefert unter obigem Titel ein Werk, bestimmt zum Leitfaden für Musiklehrer beym mündlichen Unterrichte, und für schon bis zu einem gewissen Grad vorgerückte Sänger zum Nachlesen geeignet. Weit entfernt sein Buch entweder als Specificum zum Selbstunterrichte anzupreißen, oder als inviolables Reglement und Leitkette dem Singmeister aufzudringen, und mit dictatorischer Strenge zu verlangen, daß der Lehrer sich an das im Buche vorgeschriebene blindlings halte, setzt er vielmehr überall einen verständigen Lehrer voraus, oder doch einen Sänger, welcher schon zu einer gewissen Stufe musikalischer Bildung vorgerückt ist, überläßt ihnen, ja, macht es ihnen sogar zur Pflicht, seinen Lehrplan jedesmal nach den individuellen Bedürfnissen des Lernenden zu modificiren, diesen oder jenen Zweig des Unterrichts nach Bedürfniß bald zu verlängern, zu erweitern, bald als dem Subject vielleicht überflüssig, flüchtiger darüber hinwegzugehen, oder wohl gar später hinaus zu verschieben (vergl. S. 34, 67 u. a. m.); kurz er will im ganzen einen consequenten Weg, eine systematische Lehrmethode vorzeichnen. Wer unsre ältern Lehrbücher des Gesanges kennt, weiß es, wie unendlich unordentlich dort die Perlen der Gesangslehre durch einander liegen, wie einseitig und oft verworren der Vortrag ist, und wie viel Geld, Zeit und Geduld es kostet, ja, wie richtige (nicht jedem Lehrer eigene) kritische Beurtheilung dazu erforderlich ist, sich die Sammlung jener Fundgruben zusammenzukaufen, den Goldgehalt auszuziehen, die oft goldähnlichen, aber in der That schädlichen Schlacken zu sondern, und das Gute in seinem Kopfe zu ordnen. Diese Mißstände zu beseitigen, mag als Haupttendenz des Fröhlichschen Werkes angesehen werden. Der Verf. hat unverkennbar die Singschulen von Hiller und Schubert benutzt (letztere besonders S. 54–72), auch Voglers Scalenbegleitung (S. 29). Mit klarer Umsicht, in geordnetem Zusammenhange, in reinem, oft blühendem Stile, und nie technisch steif, sondern immer mit Beziehung auf musikalische Aesthetik (S. 3, 18, 66 u. a. m.) trägt er die Lehren vor, auf daß der Lehrer dem Schüler von dem, was er lernen soll, klare und geordnete Ideen mittheile, und der etwa bereits gebildetere das schon erlernte in consequentem Zusammenhang übersehen lerne. Rec. kann, bevor er ins Detail eingeht, im allgemeinen versichern, daß weder Lehrer noch Lernende das Buch ohne Nutzen aus der Hand legen werden. Auf eine kurze Einleitung, Begriff und Tendenz der Tonkunst, und Zweck des Lehrbuches entwickelnd, folgt ein allgemeiner, ohne Zweifel als Einleitung zum vollständigen Werke (der allgem. theor. prakt. Musikschule) bestimmter Hauptabschnitt, unter der Ueberschrift: „Allgemeine Grundsätze der Musik.“ Die hier gelieferten Erklärungen von Rhythmus, von Noten, Schlüsseln, Tonstufen, Tonleitern und Tonarten, dann Erklärung der frequentesten Kunstworte sind leicht-faßlich und richtig. Den Ausdruck „attacca“ verdeutscht Hr. Fr. durch: „falle ein“; näher liegend und wenigstens treuer, und mnemonisch einleuchtender wäre die wörtliche Uebersetzung: „hänge an, attaches“ (S. 17). Dagegen geben wir der Methode vorzüglichen Beyfall, wie der Verf. S. 15 den Schüler die transponirten Tonleitern selbst bilden, und die Tonart eines gegebenen Stückes erkennen lehrt. Vorzüglich gern sahen wir es, daß er zum letztern Zwecke sich mehr auf das Gefühl des Hörenden beruft, denn auf die so allgemein angeprießne, und doch so oft trügliche Regel: die Tonart sey aus der Vorzeichnung und dem ersten, oder doch gewiß dem letzten Accorde des Stückes zu erkennen: eine Regel, welche, wäre sie auch an sich richtig, doch wenigstens nie zum Erkennen der Tonart eines Zwischensatzes, oder eines, in einem größern Stücke vorkommenden einzelnen Perioden dienen kann. Ein Stück gehet aus einem Tone, heißt ja anders nichts, als: ein Dreyklang wird darin als Centrum behandelt um welches sich alle übrigen Harmonieen des Stückes als das Mannigfaltige um ihre Einheit drehen. Welcher Dreyklang dieses sey, muß fühlbar, und eben darum von jedem Hörer leicht, ja gleichsam unwillkührlich, aufgefunden werden können, und dieß kann genügen; es muß genügen, weil ein palpables zuverlässiges Kennzeichen nicht existirt, und das musikalisch-ästhetische Centrum sich nicht wie ein geometrisches mit dem Zirkel abmessen läßt. Den bisherigen, als Vorbereitung zur Erlernung jeder Gattung von ausübender Musik bestimmten Grundsätzen folgt nun der Uebergang zum speciellern, zu den Grundsätzen der Ausbildung eines einzelnen Tonwerkzeuges; hier zur „Singschule“, welche Ueberschrift jedoch S. 18 um mehrere Zeilen zu früh steht, und erst über der 7. Zeile von unten, an ihrem Platze wäre. Die eigentliche allgemeine (d. h. hier: die Grundsätze für jede Art von Gesang und jede Stimmgattung vollständig enthaltende) Singschule beginnt mit der Stimmprüfung, und geht von da gleich zu lobenswerther Sorgfalt für richtige, charakteristische und sonore Aussprache über. Rec. empfiehlt vorzüglich die Regel: den Vocal o dem a zu nähern, welches einen Klang erzeugt, der, ohne die Eigenthümlichkeit des ersten jener Vocale zu verlieren, einen ganz eignen Wohlklang besitzt. Dann die goldne Regel, den, oder die Consonanten, womit eine Sylbe endet, erst in demselben Augenblicke auszusprechen, wo die zweyte Sylbe eintritt, nicht: un – ab – hän – gig, sondern: u – na –bhä – ngig; eine Klugheitsregel, gegen welche der, bey weitem größte Theil der Sänger fehlt, welche z. B. beym Worte „angenehm“, besonders, wenn zwey Töne auf die erste Sylbe kommen, wie im folgenden Beyspiele: 3/4e ⌒ d c | can ge nehmunfehlbar den ersten Ton e auf den Vocal a, den letzten aber, oder wenigstens die größte letzte Hälfte desselben auf n singen, und dem Klang ihrer Kehle ein Sordin aufdrücken werden. Auch von doppelten Vocalen, wie eu, ai, ei &c. wird eine ähnliche Warnung gegeben. Nun folgen Belehrungen über Athemholen, Stellung des Körpers und der Stimmwerkzeuge. Hier hätte das sogenannte Zurückbringen, oder Schließen des Athems, und Vorbringen der Stimme nachdrücklicher empfohlen werden dürfen, so wie auch die, in der Gesangslehre des Pariser Conservatorium 1. Th. 2. Cap. gegebene, so faßliche Bezeichnung des Unterschiedes des Athemholens zum Singen und Sprechen hier zu benutzen gewesen wäre. Ueberhaupt ist im ganzen Verlaufe des Lehrbuches zwar nichts übergangen und vergessen, aber manche Lehre findet sich darin nur mezzo tinto gehalten, wogegen andre mit besonderer Sorgfalt abgehandelt, und ausgezeichnet glücklich gelungen sind. Unter die letztere Classe gehört es besonders, und verdient vorzügliche Auszeichnung, daß der Verf. zugleich mit dem Wohlklange der Stimme auch die Fertigkeit im Treffen der Töne zu erzeugen, und zu erwecken sucht, im Widerspiel gegen die Legion von Gesangslehrern und Lehrerinnen, welche an jenem ersten Zwecke kleben bleiben, ihre Zöglinge reizend gurgeln, trillern, tragen, binden und schleifen lehren, so daß wohl Kenner und Nichtkenner beym Anhören mit Recht entzückt seyn können, welche aber, so wie man ihnen ein fremdes Notenblatt in die Hände gibt, keine Note davon zu treffen vermögen; ein Vorwurf, welcher unter andern Schuberts Lehrbuche und der Pariser Gesangschule nicht mit Unrecht zur Last gelegt wird. Hrn. Fr. Lehrling wird gleich von Anfang und durchgängig unmittelbar neben dem Singen ϰατ᾽ ἐξοχὴν im Selbstfinden und Festhalten der Töne geübt, er lernt zuerst die vier Töne eines von der Dominante zur Tonika aufsteigenden Tetrachords angeben, erst in der seiner Stimme bequemsten Lage, dann um einen halben Ton transponirt u. s. f., seine Scala wird ihm zeitig nach der Voglerschen, oft ausweichenden, und den unsichern Treffer leicht verführenden, den aufmerksamen aber erprobenden Art begleitet, und zwar so, daß der zu singende Ton keineswegs immer zu oberst angegeben werde, sondern bald in der Mitte, bald gar zu unterst, so daß der Sänger seinen Ton nicht leicht verhört, oder nur dem Gehöre nach nachzusingen braucht, sondern sich ihn selbst erst im Gehöre construiren, und darnach angeben muß. So lernt er jede stufenweise Fortschreitung treffen; aus ihr, gleichsam als Element, construirt er sich die sprungweise, die Terz als zwey übereinander stehende Secunden, die Quinte als zwey Terzen, die Quarte als eine Terz und Secunde ec. (Zu allgemein drückt der Verf. die Hülfsregel aus: die große Terz sey Leitton zur Quarte (S. 36), welches auf die große oder übermäßige Quarte nicht paßt). Von den elementarischen sprungweisen Intervallenübungen geht er zu weniger einfachen Uebungsexempeln über, und zuletzt zu contrapunctischen Gesängen. Ueberhaupt ist Rec. mit der gemeinüblichen Methode freylich nicht einverstanden, wornach man den Anfänger von jeder Intervallengattung ganze Reihen nach einander absingen läßt, als: ganze Reihen von Quinten, Septimen, wie: g' d'', a' e'', h' f'', e'' g'',oder: c' h', d' c'', e' d'', f' e'',Der Zweck solcher Reihenübungen oder Uebungsreihen kann als ein zweyfacher betrachtet werden: entweder als Mittel, der Kehle die erforderliche Biegsamkeit zur Ausübung eines Sprunges solcher Größe zu verschaffen, oder dem Gehöre das Intervallenverhältniß einzuprägen, und ihm die Fähigkeit zu geben, von einem gegebenen Tone aus jeden andern denken (mit dem innern Ohre im voraus hören), finden und angeben zu können. Jene Rücksicht mag man die mechanische nennen, diese die musikalische. In der ersten Hinsicht möchte gegen das Absingen ununterbrochener Reihen von Quinten oder Septimen zwar nichts einzuwenden seyn, desto mehr aber in der letztern. Solche zugleich unharmonische und unmelodische Tonreihen, welchen sich nicht einmal fließend und ohne sichtbare Steifheit eine harmonische Begleitung unterlegen läßt, und welche mit oder ohne Begleitung ein schon gebildetes Gehör ohne Widerwillen weder treffen, noch anhören kann, und welche zu setzen dem Componisten sogar verboten ist, sind doch nicht eben vorzüglich geeignet, dem Gehöre des Anfängers aufgedrungen zu werden, zu dessen ersten Uebungen man grade die faßlichsten und fließendsten Tonreihen wählen, und in der Folge erst zu schwerer zu intonirenden Gängen übergehen sollte, nicht aber nöthig hat, ihn gleich anfangs durch Tonreihen der oben ausgehobenen allerbeschwerlichsten Art, welche ihm ja in der Ausübung weder früh noch spät je vorkommen werden, zu ermüden, und sein Gehör durch frühzeitiges Einprägen widerlicher Tonfolgen, wenn auch nicht gradezu zu verderben, doch gewiß eher zu verwirren, als zu bilden, und im guten zu bestärken. Eine Reihe von Quinten- oder Septimensprüngen, wie die oben ausgehobenen, haben, wie jeder gesteht, keinen musikalischen Sinn; und doch sollen sie als Gehörbildungsmittel dienen? Ist es denn also nicht zweckmäßiger, den Schüler, statt durch solche Reihen, lieber durch einzelne Beyspiele zu üben, in welchen z. B. ein Septimensprung im Contexte auf eine Sinn enthaltende Art vorkommt; allenfalls könnte man ja solche Exempel selbst in Reihen verknüpfen, z. B.: g' f'' e'' c'', a' g'' f'' d'', h' a'' g'' e'', c'' h'' f'' d'',oder: g'' | a' g'' f'', f' | g' f'' e'', e' | f' e'' d'', u. s. w.woraus das Gehör des Anfängers sich gewiß eher einen Begriff von dem Sinne eines Septimensprunges wird zu abstrahiren vermögen, als aus: g' f'', a g'', h' a'',da hingegen der, dessen Gehöre, oder vielmehr Kehle, diese letztere Tonfolge mechanisch endlich aufgedrungen worden ist, aus dem so Erlernten wenig Hülfsmittel wird schöpfen können, wenn ihm einmal ein Septimensprung im Contexte und außer der mechanisch erlernten Reihe vorkommen wird. Je lebhafter Rec. von der Wahrheit dieser Bemerkung überzeugt ist, desto angenehmer war es ihm, aus dem vorliegenden Werke zu sehen, daß die Lehrmethode des Verf. ganz dazu geeignet ist, jenen Uebelstand, wenn auch nicht grade zu auszumerzen, doch zu umgehen, und entbehrlich zu machen, indem er seinen Schülern aus einer angeschlagnen Harmonie erst seinen ersten Ton selbst auffinden, und dann durch Calcul den zweyten suchen und treffen lehrt, wodurch das bisherige so zweydeutige Gehörbildungsmittel, das Absingen gehörwidriger Quinten und Septimenreihen, entbehrlich wird; und wenn er auch solche Tonreihen als Uebungsexempel S. 34, 35 und 39 mit aufführt, so deutet er doch schon durch die nach jedem Quinten- und Septimensprung gesetzte Pause deutlich genug an, daß er sie nicht als ununterbrochen zusammenhängende Reihe abgesungen wissen, sondern nur die einzeln zu übenden Quinten oder Septimensprünge in eine Reihe stellen wollte. So wie bey der Lehre von der Stimmbildung die damit verknüpfte Lehre vom Notentreffen besondre Auszeichnung verdiente, so sind im weitern Verfolge des Lehrbuches das Capitel vom Triller, und das vom Recitative die eminentesten. Beym Trillo ist der Verf. vorzüglich Schuberten gefolgt, die Art aber, wie er die Methode erklärt, und begreiflich macht, verräth den hellsten Sinn, und bewährte Geübtheit im Lehrvortrage. Das Recitativ ist zwar kurz, aber im wesentlichen doch entschöpfend behandelt. Der Verf. erklärt die Wesenheit des Recitativs in technischer und zugleich ästhetischer Hinsicht, dringt darauf, daß der Sänger seinen Text erst ohne Gesang declamiren lerne, bevor er ihn musikalisch recitire, und thut überhaupt dem musikalischen Ausdruck, so wie dem poetischen oder rhetorischen Sinne des Textes, gleiches Recht an. Mit der Lehre vom Recitativ schließt das Lehrbuch, durch welches sich Hr. Fr. als Tongelehrter im wahren Sinne des Wortes, beurkundet, und welches verdient von jedem benutzt zu werden, dem es um Fortschreiten in der Kunst und Kunstlehre zu thun ist. Stich und Papier sind gut, der Preiß mäßig. Dieses letztere wird hauptsächlich dadurch möglich, daß der Verf. nur wenige und kurze, aber gut ausgewählte Uebungsstücke mit abdrucken ließ, statt, wie so manche Lehrbücherschreiber, die Käufer zu nöthigen, außer dem belehrenden Texte, um den es ihnen eigentlich zu thun ist, auch noch viele Bogen längst bekannter Compositionen älterer und neuerer Meister, unter dem Titel als Uebungsbeyspiele, mit zu kaufen und mit zu bezahlen. Gottfried Weber.