## Title: Über den Zustand der Musik bei den Ägyptern zu Ende des 18. Jahrhunderts (Teil 1/2) ## Author: Gottfried Weber ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031235 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Ueber den Zustand der Musik bei den Egyptern zu Ende des vorigen Jahrhunderts. Uebersetzt aus einer Denkschrift des Dollmetsch-Sekretärs Digeon– Freilich sind die Künste und Kenntnisse, diese Zöglinge des uralten Egyptenlandes, heutigen Tages daselbst sehr im Verfall, aber doch nicht so ganz und sehr, wie man wohl aus dem bedenklichen Schweigen der Reisenden und selbst derer hätte schließen sollen, die für die genauesten Beobachter galten. Viele hatten in der That bey einem zu kurzen Aufenthalt im Lande nicht den Anlaß, die Kultur des Volkes ganz zu erfassen. Andern mochten vielleicht glauben, daß einige Angaben über die Einzelnheiten egyptischer Ausbildung kaum die Neugier des heutigen Europa’s reizen möchten. Unter den noch heute auf egyptischem Boden blühenden Künsten wird keine so innig und leidenschaftlich geliebt, als die der Töne. Der gemeine Mann hängt daran mit einer Art von Wuth, und die, welche ehrenhalber sich scheuen, davon Geschäft zu machen, überlassen sich doch gern dem Zauber, den die Kunst Anderer hervorruft. Unbekannt mit den Tonleitern, den harten und weichen Klängen, und darin weit unwissender als die Türken, die beides verstehen, übertreffen die heutigen Egypter doch die unwürdigen Eigenthümer des klassischen Bodens der Griechen in der harmonischern, mannichfaltigern Bildung der Weisen. Sie lieben sehr das chromatische Geschlecht; auch gelingt ihnen dieses bey weitem am besten. Ich möchte sagen, sie zeichnen sich darin aus, wenn das nicht für eine so unvollkommene Tonkunst, wie die ihrige, viel zuviel gesagt wäre. Das Psalterion, sie nennen es Kanun; der Rebab, eine Art Lyra; das Tambura; der Miskal, etwas anders, als der türkische; dann eine Flöte, mit sehr schwieriger Ansprache sind die Tonwerkzeuge, mit welchem die Egypter ihre Gesänge am liebsten zu begleiten pflegen. Das Psalterion ist rhomboidal gestaltet; wie die Harfe mit Darmsaiten bezogen. Man legt es zum Spielen flach vor sich auf die Knie, und berührt die Saiten mit feinen, an den Spitzen abgerundeten Rüthchen. Die Töne sind angenehm und zart. Der Rumpf des Rebab ist halb kugelförmig, davon geht ein langer Griff, wie an Mandolinen, aus, aber sehr schmal, darauf sind zwey Haarsaiten gespannt, in Einklang gestimmet. Mit einer Art Geigenbogen, aber gekrümmter und kürzer als die unserigen, auch nicht das Haar daran so scharf gespannt, zieht man gedehnte schwache Töne aus den Saiten des Rebab. Der Finger des Spielenden gibt ihnen die wechselnde Höhe und Tiefe. Das egyptische Tambura, mit kleinerem, schmalerem Rumpf als das türkische, hat einen längern Griff als der Rebab, sonst ihm ähnlich, und mit zwey, manchmal drey Drathsaiten bespannt, in der Quinte gestimmt. Man spielt es wie die Guitarre, und es ist der italienischen Mandoline im Umfange der Töne ähnlich. Der Miskal der Egypter sollte eigentlich nur Panflöte übersetzt werden. Denn das ist er. Mit Wachs und einem feinen Faden werden sieben ungleiche Rohrhalme nebeneinander verknüpft. Die Töne dieser Pfeifen sind durchdringend, doch dabey angenehm, ohngefähr wie die der kleinern Flageolets. Da der Miskal wenig Umfang hat, läßt er sich nur zwischenein im Konzert der andern Instrumente hören, wenn ich anders den eintönigen Zusammenklang verschiedener Instrumente Konzert nennen darf. Denn die egyptischen Tonkünstler kennen keine andere Harmonie als die der Oktave. Die Flöte der Egypter ist nichts als eine einfache Querpfeife, etwas über einen Schuh lang. Alle die ich sah, hatten nur drey Löcher, etwas größer als die auf unsern gewöhnlichen Quer-pfeifen; man modificirt die Töne, indem stärker oder schwächer geblasen wird. Ich finde noch immer in Sitten und Gebräuchen der Kopten und andern Egypter viel Aehnliches mit denen der alten egyptischen Welt; und glaube, jene Flöte sey durchaus noch die näm-liche, deren man sich unter dem eilften Ptolomäus bediente, den man wegen seiner Leidenschaft für dies Instrument den Auletes beinamte. Ein in Stein gegrabenes Bild dieses Fürsten mit seiner Flöte, das mir ohnlängst in die Hände gekommen, dient mir als Zeuge meiner Vermuthung. Es war die Flöte der heutigen Tage; nicht die gekrümmte, alexandrinische, die man sonst gewöhnlich dem musikalischen Könige zu geben pflegt. Genug, die Flöte, wie ich sie beschrieb, ist noch immer das Lieblings-Instrument der Egypter; sie ziehen melodische Töne aus demselben. Ich hörte oft einen Blinden mit Vergnügen, dessen Richtigkeit des Spiels ich bewunderte. Auch der Zumara, ein kurzes Hautbois von herbem Klang ist in Egypten gebräuchlich; ferner die Doppelpfeife, deren Klang minder unangenehm fällt; die Sackpfeife, wie sie bey uns noch auf dem Lande gefunden wird; die einbödige Schellentrommel, die man in Egypten sehr angenehm handhabt; und endlich kreisförmige, hohle Klangbecken, die man wie bey uns in sogenannter türkischer Musik zusammenschlägt. Das letzte Instrument ist das einzige was man bey den feierlichen Umzügen hört, welche von den Scheiks zu Ehren ihrer Santons gehalten zu werden pflegen; eine Ceremonie, gewöhnlich Nachts gefeiert beim Schimmer einer unendlichen Menge Lampen, die symmetrisch in Dreiecken auf Pappendeckel geordnet von der Geistlichkeit vorangetragen werden. In andern muhamedanischen Ländern habe ich niemals ähnliche Prozessionen gesehen. Ist das nicht immer noch der Egypter alte Vorliebe für nächtlich-heilige glanzvolle Feste, wie die, welche sonst zu Ehren der Isis begangen wurden? Das Volk singt und tanzt gern. Da hascht eins die Mohrentrommel, schlägt sie hoch geschwungen, singt dazu und tanzt. Ein anderer sieht’s, präludirt ein Weilchen auf der Flöte und singt zum Tanz; springt zuletzt selbst mit, und hört wieder auf, um die Flöte zu blasen. Der dritte mischt seinen Gesang in die Klänge des Rebab, oder trällert zu den üppigen leidenschaftlichen Bewegungen der Tanzenden. Diese Tänzerinnen heißen die Gazieh’s. Sängerinnen des ersten Ranges tanzen nicht, geben sich auch nicht auf den Straßen zum Schauspiel. Sie heißen Almeh’s. Ihre Stimmen, freilich ohne Zartheit, haben immer einen großen Umfang und viel Geschmeidiges. Dann und wann begleiten sie ihre oft langweiligen Arietten mit der Schellentrommel, deren Ton sie sanft dämpfen. Es gibt kein roheres Pack, als die Männer, die von Profession Sänger sind, und jederzeit Gaukelspieler dabey. Aber sie haben alle ein feines Gehör, und beobachten den Takt des Tanzes wie des Gesanges sehr genau; verlieren ihn auch bey den possenhaftesten, gewaltsamsten, lächerlichsten Sprüngen und Verdrehungen ihres Körpers nicht, womit sie, wie manche Schauspieler, die Stärke der Leidenschaft darzustellen wähnen. Die Weisen dieser Besessenen sind gemeiniglich auch viel lebhafter, als die der bescheidenen Almeh’s. der Schluß folgt