## Title: Aufführungsbesprechung Wien, Hofoper: Der Weber-Cyklus mit “Preciosa”, “Der Freischütz”, “Oberon”, “Abu Hassan” und “Euryanthe”, Dezember 1886 ## Author: Hanslick, Eduard ## Version: 4.13.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A032933 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Der Weber-Cyklus im Hofoperntheater.Ed. H. Karl Maria Weber ist im Hofoperntheater durch fünf Abende mit jener herzlichen Pietät gefeiert worden, auf welche der Liebling des deutschen Volkes ein so willig anerkanntes Vorzugsrecht hat. Es ist in diesen Jubiläumstagen über Weber's Leben und Schaffen, seine künstlerische und nationale Bedeutung so viel geschrieben worden, so vieles Gute und Erschöpfende, daß seine Verehrer literarisch vollauf gesättigt sein dürften. Beschränken wir uns deßhalb heute auf einen Bericht über die jüngsten Weber-Aufführungen und einzelne nicht allzu weit davon abliegende Bemerkungen. Das Schauspiel „Preciosa“ bildete gleichsam den Prolog zu dem Operncyklus. Wo das veraltete Stück noch wirkt, geschieht es durch die lang nachduftende Kraft von Jugend- Erinnerungen und durch Weber’ Musik, die noch frischer geblieben ist, als unsere Jugend-Erinnerungen. Man bedauert nur, daß diese Musik nicht einen breiteren Raum in dem Schauspiele ausfüllt; mit etwas weniger zurückhaltender Bescheidenheit würde Weber die „Preciosa“ nicht nur als Ausnahmevorstellung für Jubiläen, sondern wol für das Repertoire bleibend gerettet haben. Zum erstenmale tritt uns hier die geistvolle Physiognomie, die süße Stimme Weber’s unverkennbar entgegen. Es ließ sich nicht darauf schwören, daß er unmittelbar nachher sich zu einem Werke wie der „Freischütz“ erheben werde, wol aber konnte kein Anderer als der Componist des Freischütz die Preciosa-Musik geschrieben haben. Sie traf übrigens nur in Deutschland auf sympathisches Verständniß. In Paris meldete das Journal des Débats vom 19. November 1825: „Vorgestern gab das Odéon die erste und letzte Vorstellung der ‚Preciosa‘ mit Weber’s Musik. Alles wurde ausgezischt; die Musik ist gemein, das Stück kann nicht wieder gegeben werden.“ Es folgte „Der Freischütz“ mit Frau Rosa Sucher aus Hamburg als Agathe. Das Bedauern darüber, daß die Wiener Hofoper für die Weber’schen Rollen: Agathe, Rezia, Euryanthe, keine eigene Sängerin besitzt, ist zu allgemein und zu begründet, als daß wir darüber schweigend hinweggleiten könnten. Sei es wenigstens eine dringende Mahnung an die Opern-Direction, welche vor wenigen Jahren noch in Frau Dustmann eine so hinreißende Darstellerin dieser Weberschen Charaktere besaß. Glücklicherweise hatte man in Frau Sucher eine classische Sängerin zu Hilfe gerufen. Ihre Rezia (in „Oberon“) und Euryanthe wirkten bedeutend und weit vollständiger als die Agathe, welche nun einmal ohne den Schmelz einer jugendlichen Stimme und das träumerische Helldunkel einer verwandten poetischen Natur nicht nachzuschaffen ist. Die große Arie hob sie durch starke leidenschaftliche Accente und eine tadellos correcte Ausführung des Allegrothemas, das man so selten unverwischt zu hören bekommt. Die Prosa hingegen sprach Frau Sucher in jenem trockenen unnatürlichen Tone, wie er so häufig auf der Opernbühne und doch niemals im Leben angeschlagen wird. Unserer liebenswürdigen Ungarin, Frau v. Naday, macht die Prosa natürlich noch viel mehr zu schaffen; etwas weniger schnell, würde sie wenigstens verständlich sein. Im Spiele etwas zu unruhig, bleibt ihr Aennchen musikalisch musterhaft; die beiden Arietten kann man reiner und flüssiger nicht hören. Herr Schrödter, ein sympathischer Sänger, der lebendig zu spielen und natürlich zu sprechen weiß, ist ein Max ganz nach dem Herzen Weber’s. Auch einen vortrefflichen Caspar besitzen wir jetzt in Herrn v. Reichenberg. Beethoven’s Charakteristik des Caspar: „Der Kerl steht da wie ein Haus!“ fällt uns unwillkürlich ein. Manchen wollte das Reichenberg’sche Haus etwas zu grell und unregelmäßig erscheinen; gegen die allzu bürgerlichen Wohngebäude, die sich früher an dieser Stelle erhoben, hat uns diese verwegenere Architektur wohlgethan. Wie herrlich die Ouvertüre unter Jahn’s Leitung gespielt wurde, ist nicht zu beschreiben. Ein hinreißendes Tonstück; – und doch geht die Freude erst recht an, wenn der Vorhang sich hebt, der Schuß Kilian’s kracht und die Bauern jubeln. Am dritten Abende „Oberon“. Wieder erbrauste nach der herrlichen Ouvertüre ein nicht endenwollender Beifall. Sie ist noch bezaubernder als die zum „Freischütz“. Aber nach ihr hebt nicht, wie im „Freischütz“, die Freude erst recht an, um uns festzuhalten den ganzen Abend. Im Gegentheil, der Himmel, worein sie uns versetzt, schließt sich mit ihrem letzten Accord. Der Ouvertüre folgt ein blendendes Panorama, das in raschem Wechsel bunte, kaum zusammenhängende Bilder an unserm Auge vorüberjagt. Aus der Tragödie ins Lustspiel geworfen, aus dem Elfenreiche in türkische Barbarei, entzückt von dem einen Bilde, leicht angeregt von dem zweiten, ein klein wenig gelangweilt von dem dritten, finden wir im „Oberon“ Alles, nur keine Einheit, keinen dramatischen Kern, keinen im Geiste nachwirkenden Total-Eindruck. Weber’s reiche Phantasie war im „Oberon“, seinem Schwanengesang, keineswegs im Niedergang begriffen, eher im Aufsteigen. Es erklingen da ganz neue, berückende Töne, wie wir sie nie zuvor, auch bei Weber nicht, vernommen. Welch zartes blühendes Leben in den Elfenscenen, welch originelle Kraft in den Sarazenen-Chören! Daneben aber in den ernsten Partien weder der klare goldene Fluß, noch die dramatische Charakteristik des früheren Weber. Und kaum eine der so schön beginnenden Arien unentstellt von altmodischen Bravourschnörkeln. Weber fühlt sich gehemmt, verstimmt durch die aufgedrungene Eile des Fertigmachens, durch die Ansprüche der Sänger und Theater-Directoren, vor Allem aber durch das ganz undramatische Textbuch, das die überreiche Handlung von Wieland's Heldengedicht in drei kurze Acte zusammenpressen will. Ein Stück für Kinder und Engländer; aufgebaut wie ein wacklig glitzerndes Spielzeug, das jeden Augenblick zusammenzufallen droht. Weber selbst hat die Mängel seines Werkes schmerzlich empfunden und dessen Umarbeitung für Deutschland geplant, „damit Oberon den Namen einer Oper verdiene“. Von jeher haben die Bühnen damit ihre Noth gehabt. Nach längerer Zwischenzeit vom Publicum immer wieder neu verlangt, wird „Oberon“ immer wieder neu studirt, neu scenirt, um dann als Ganzes doch niemals recht zu befriedigen. Dem Uebelstand des so maßlos sich vordrängenden gesprochenen Dialogs hat man in jüngster Zeit durch die Wüllner’sche Bearbeitung (mit durchaus gesungenen Recitativen) abzuhelfen gesucht. Damit ist allerdings erreicht, daß wir nicht fortwährend aus der idealen Region der Musik kopfüber in die Alltagsprosa geworfen werden. Leider hat die | Sache auch ihre Kehrseite. Ebenso selten wie redegewandte Opernsänger sind solche, die im Gesange vollkommen deutlich aussprechen. Die gesprochene Prosa im „Oberon“ half wenigstens die sehr verwickelte Fabel verstehen; jetzt, wo die Personen alles Erzählende und Erklärende singen, wird die Dunkelheit der Handlung häufig zur completen Finsterniß. Gleich der erste für die Exposition entscheidende Dialog zwischen Oberon und Puck – wir haben davon in der jüngsten Aufführung kaum das fünfte Wort verstanden. Im Interesse der Deutlichkeit müßten diese Recitative viel einfacher, durchsichtiger componirt sein. Wüllner hat das Alles gewiß sehr schön gemacht – nur zu schön. Seine „Recitative“ sind, streng genommen, keine, sondern ganz eigentlich Ariosos; es fehlt ihnen der schlicht erzählende Ton und die Anspruchslosigkeit einer sich selbstlos unterordnenden Begleitung. Durch die Weber nachgebildete blühende Instrumentirung und die unablässig herbeigezogenen „Leitmotive“ wird die Aufmerksamkeit des Hörers vom Worte abgelenkt. Wir haben Wüllner’s Bearbeitung bei ihrem Erscheinen als eine sehr anerkennenswerthe Reform begrüßt; nachgerade werden uns jedoch ihre praktischen Nachtheile ebenso klar, wie ihr principielles Verdienst. Rücksichten auf das Repertoire vereitelten eine chronologische Anordnung des Weber-Cyklus; sonst hätte „Abu Hassan“, der hier zwischen „Oberon“ und „Euryanthe“ eingeschoben wurde, den Anfang machen müssen. Weber schrieb dieses heitere, einactige Singspiel zehn Jahre vor dem „Freischütz“. Die Grundidee ist gar nicht übel: Ein von seinen Gläubigern hart bedrängter, junger Ehemann und sein Weibchen stellen sich abwechselnd todt, während inzwischen der Eine für den Andern um die Begräbnißkosten betteln geht. Zuletzt liegen sie Beide da. Ein großmüthiger Khalif, wie er ja in keiner arabischen Comödie fehlt, bringt die Todtgeglaubten geschickt wieder zum Leben und straft noch zum Ueberflusse den grimmigsten der Wucherer, der sich mit der Liebe von Abu Hassan’s Frau bezahlt machen wollte. Wie mögen unsere genügsameren Großeltern sich an dem Schwank ergötzt haben! Was heute an dieser Musik veraltet ist, klang damals neu. Immerhin hat „Abu Hassan“ neben altmodischen Anhängseln einige Nummern von liebenswürdiger Frische und Zierlichkeit, aus welchen das Genie Weber’s mit noch halbgeschlossenen Knospen hervorguckt. Herr Müller sang und spielte den Abu Hassan – eine Rolle, die ihn unmöglich begeistern konnte – mit einer Laune und Lebendigkeit, wie wir sie kaum noch an ihm wahrgenommen. Auch im „Oberon“ erntete Herr Müller verdienten Beifall, obgleich Hüon weder zu seinen noch zu irgend eines Tenoristen Glanzrollen zählt – auch nicht zu denen Weber’s. Was darin sangbar ist (wie das Gebet im zweiten Acte), das sang Herr Müller mit inniger Empfindung. Im „Abu Hassan“ lieh Herr Mayerhofer dem verliebten Wucherer seinen immer guten Humor, und selbst Fräulein Lehmann, das Muster einer correcten Sängerin, hatte als Fatime etwas von ihrer berühmten Gleichgiltigkeit abgelegt. Den Beschluß der musikalischen Festwoche machte eine der erfolgreichsten Aufführungen der lange nicht gehörten „Euryanthe“. Das entscheidende Verdienst an dem Gelingen dieser Vorstellung wie des ganzen Weber-Cyklus gebührt Herrn Director Jahn, dessen eminentes Führertalent und künstlerischer Eifer bei diesem Anlasse wieder in vollem Lichte strahlten. Diesmal waren insbesondere die beiden Frauenrollen in den besten Händen. Frau Sucher sang die Euryanthe, eine Partie, die ebenso viel dramatische Energie als Zartheit, ebenso ausdauernde Kraft als Geschmeidigkeit der Kehle erfordert, mit rühmlichstem Erfolge. Das ist eine Sängerin, die ihr Instrument vollkommen beherrscht und handhabt. Ob dieses Instrument einige höchste Töne noch mit der früheren Stärke und Klangfülle hergibt oder nicht, fällt gegen eine so hochstehende Leistung kaum ins Gewicht. Eglantine kennt man als eine der schwierigsten und zugleich unliebenswürdigsten Operngestalten. Frau Materna hat als echte Künstlerin auch diese Aufgabe mit dem Aufgebote ihres vollen Talents erfüllt. In früheren Jahren beeinträchtigte ihre Leistung ein Zuviel des Ausdrucks. Jetzt hat sie zu der früheren Farbengluth die schöne Mäßigung gewonnen. Mit außerordentlicher Wirkung und ohne jegliche Anstrengung sang Frau Materna die dornige große Arie und das Duett mit Lysiart, Stücke die so leicht zur Uebertreibung verleiten. Im letzten Acte brachte Frau Materna Eglantinens bereits mit dem Wahnsinn kämpfende Reue in wohlberechneter Steigerung zum ergreifendsten Ausdruck. Herr Winkelmann, der schon durch seine Persönlichkeit und sein schauspielerisches Talent in jeder Rolle interessirt, hatte auch als Adolar großen Erfolg, obgleich weder sein Stimmcharakter noch seine Gesangsmanier sich dieser überwiegend zarten, lyrischen Partie natürlich anschmiegen. Herrn Winkelmann’s heroisches Organ hat wenig Modulation und kein schönes Piano. Er versteht auch in den beiden zarten Romanzen Adolar’s seine Heldenstimme zu bändigen und zu weichem Ton gleichsam zu zwingen. Aber wer sich des Adolar von Ander oder von Walter erinnert, der weiß, wie das ungezwungen noch ganz anders klingt. An Beck’s Lysiart wollen wir gar nicht denken, wenn Herr Sommer vor uns steht. In dieser schwierigsten aller Baritonpartien bleibt er und heute als Gesangskünstler wie als Schauspieler noch gar viel schuldig; auch fehlt seinen tiefen Tönen die eherne Kraft, welche den Charakter erst glaubwürdig und furchtbar macht. Das Publicum war einsichtsvoll genug, Herrn Sommer’s Lysiart nicht an Beck zu messen, sondern seine fleißige, gewissenhafte Leistung beifällig auszuzeichnen. Besser war sie jedenfalls, als wir vermuthet hätten. Und der Gesammt-Eindruck der Oper? In meiner innigen, früher geradezu maßlosen Verehrung für Weber habe ich mich stets wie auf ein Fest darauf gefreut, wenn „Euryanthe“ nach längerer Zeit wieder einmal zur Aufführung kommen sollte. Und jedesmal mußte ich an mir erfahren, daß ich das Theater beiweitem nicht so beglückt verließ, als ich es betreten hatte. Der Freischütz ist doch schöner! rief es in mir. In der Euryanthe gibt uns Weber ein Product absichtlicher Ueberspannung seines Talentes. „Den Freischütz zu überbieten,“ schrieb Weber an die Chezy, „ist nun die Aufgabe, und das ist mir schrecklich ... Die Euryanthe muß etwas ganz Neues werden, muß ganz allein auf ihrer Höhe stehen!“ Sie ist auch etwas ganz Neues geworden, schon dadurch, daß sie die erste deutsche Oper ist, die auf den gesprochenen Dialog verzichtete. Ueberboten hat sie auch den Freischütz nach allen Richtungen, ihn aber in seiner reinen volksthümlichen Wirkung nicht erreicht. Die angestrengte Tendenz nach Neuem, Großem brachte auch neue und große Gefahren mit sich. In der Euryanthe sehen wir die frühere Innigkeit Weber’s zu überschwenglicher Sentimentalität, der Aus | druck der Leidenschaft zu gewaltsamer Uebertreibung gesteigert. Freilich, gegen „Lohengrin“ gehalten, der undenkbar ist ohne das Vorbild der „Euryanthe“, erscheint uns letztere noch maßvoll und natürlich; aber man vergesse nicht, daß aus Wagner's Individualität Manches natürlich quillen konnte, was für Weber nicht mehr natürlich war. Hauptsächlich ist’s jedoch das unglückselige Textbuch der „Euryanthe“, das mit seiner innern Hohlheit und Unwahrheit wie mit seiner barbarischen Diction uns jedesmal neu verstimmt. „Die Weise tadl’ ich nicht, doch wol die Worte vom Gedicht!“ wie es in dem Küchendeutsch der Dichterin heißt. Die Fabel ist nicht nur stellenweise dunkel, sie ist es total; was zu ihrem Verständnisse nothwendig vor unseren Augen vorgehen müßte, wird beiläufig erzählt. Und falls man selbst das gesungene Wort deutlich vernimmt (was so selten vorkommt), ja wenn man sogar das Textbuch nachliest – die Exposition bleibt dunkel, die Verwicklung unverständlich, die Lösung ein Räthsel[.] Der eine Vers der verstorbenen Emma, auf dem allein die ganze dramatische Verwicklung fußt: „Nicht eher find’ ich Frieden, bis diesen Ring der Unschuld Thräne netzt, im höchsten Leid und Treu’ dem Mörder Rettung beut für Mord“ – er könnte eine Oper umbringen. Die zweideutigen Orakel des Alterthums wurden wenigstens nachträglich, wenn sie erfüllt waren, klar; über den Ausspruch der „Emma“ disputirt man noch beim Herausgehen aus dem Theater. Nun sind aber auch alle Folgerungen, welche die Librettistin aus dem Besitze dieses Ringes zieht und als bewegende Motive der Handlung verwendet, falsch, unwahr, widersinnig. Wir werden in ein Netz von häßlichen Widersprüchen, welche jedes Kind lösen könnte, gewaltsam eingesponnen und so lange festgehalten, bis es um unsere Sympathie mit den zwei „idealen“ Charakteren, Adolar und Euryanthe, geschehen ist. Der „Oberon“-Text ist unzusammenhängend, kindisch; allein er ist nicht widerwärtig. Das ist aber die Handlung in „Euryanthe“; sie verletzt unser sittliches Gefühl von der ersten Scene an, der brutalen Wette, auf die Adolar so willig eingeht, bis zu der Erniedrigung der unschuldigen Euryanthe, die vor dem ganzen Hof wie ein gehetztes Wild gemartert und dann von ihrem herz- und kopflosen Adolar zur Abschlachtung geführt wird. Nach einer solchen Kette verletzender Auftritte vermag selbst der endliche „gute Ausgang“ keine glückliche, befreiende Wirkung auf uns zu üben. Das blitzschnelle Ende des Bösewichterpaares Lysiart und Eglantine wirkt wie eine Parodie schlechter Ritterstücke und nicht besser die von Adolar vorgetragene Schlußmoral, daß dies Alles, was die guten Leute und wir mit ihnen den Abend hindurch erduldet haben, nur geschah, damit die Geister der uns unbekannten Pärchens Udo und Emma jenseits vereint würden. Gegen die innere Verlogenheit und Unvernunft dieses Dramas kommt seine wahrhaft grauenvolle Diction kaum in Betracht. Es ließen sich zwanzig Seiten über diese Barbarei vollschreiben. Daß ich mich wenigstens zu ebensoviel Zeilen verleiten ließ, daran ist Professor Spitta schuld, der in einem gehaltvollen, warm empfundenenen Aufsatze über Weber den Euryanthe-Text in Schutz nimmt und ihn „besser als sein Ruf“ nennt. „Glaubt man denn, daß ein ordentlicher Componist sich ein Opernbuch in die Hand stecken läßt, wie ein Schuljunge einen Apfel?“ Dieses Wort Weber’s ruft Spitta zu dessen Vertheidigung auf. Ob er sich nun den Apfel „Euryanthe“ in die Hand stecken ließ oder ihn unter anderen selber ausgewählt hat, das bleibt sich gleich: der Apfel ist nun einmal faul. Weber ließ sich durch die glänzende Schale blenden über das wurmstichige Fleisch. Und darum konnte auch all die Mühe wenig fruchten, welche er an die unausgesetzte Umarbeitung und Detail-Verbesserung des Librettos gewendet hat. Man kann nur darüber erstaunen, wie viele große und schöne Musik trotz dieses Textbuches sich in der Euryanthe entfaltet. Lange ist Euryanthe von dem Publicum und der Kritik in Deutschland abgelehnt oder doch ungünstig aufgenommen worden. Später wuchsen das Verständniß und die Anerkennung dafür immer höher; ja, man ist in dem Bestreben, Versäumtes gutzumachen, bereits zu weit gegangen, indem man „Euryanthe“ unbedingt und hoch über den „Freischütz“ stellte. In Wagner’schen Kreisen namentlich findet man die Anschauung vorherrschend. Nach dem Eindrucke zu urtheilen, den die jüngsten Weber-Vorstellungen auf das Publicum machten, scheinen die Ansichten über Euryanthe wieder zur richtigen Mitte zurückzukehren. Oberon wie Euryanthe bieten uns in reichverzierter Vase Wunderblumen aus allen Himmelsstrichen. Ein voller, frischer, immergrüner Kranz ist nur – der Freischütz.