## Title: Franz Kroll to Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin. Berlin, Thursday, June 23, 1870 ## Author: Kroll, Franz ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A043548 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Berlin den 23 Juni 70 Hochverehrter Freund! Leider habe ich Sie nicht getroffen, als ich mir heute erlauben wollte, Ihnen von Ihrer knappen u. kostbaren Zeit einige Minuten zu nehmen. Zu meinem innigen Bedauern hörte ich von dem Unwohlsein, was Sie zu Pfingsten betroffen, zugleich aber, daß es Ihnen Gott sei Dank! wieder gut geht. Hoffentlich wird die Zeit wohlverdienter Ruhe und Erholung, die für Sie jetzt nahe bevorsteht, die wiedergewonnene Gesundheit in erfreulichster Weise stärken und dauernd erhalten, so daß Sie Ihr großes Werk glücklich und ruhmreich zu Ende führen u. an seinem Erfolge die reinste und ungetrübteste Freude erleben mögen. Mein specielles Anliegen, mit dem ich Ihre Güte in Anspruch nehmen wollte, ist folgendes. Haben Sie vielleicht, wenn auch nicht gerade die Originalausgabe (Simrock), so doch eine alte Ausgabe der Esdurpolonaise op. 21 von Weber, etwa die alte Schlesingersche? In einer alten Nachdrucks-Ausgabe, bezeichnet: à Vienne, ohne Verleger, die mir vorliegt, finde ich so viele Abweichungen von der neuen Schlesingerschen u. Breitkopfschen, daß ich gerne wißen möchte, ob für diese Abweichungen etwa eine ältere Quelle existirt, oder ob H Rudorff oder Reinike dieselben bewirkt haben (NB. ohne jede desfalsige Bemerkung, wie ich in solcher Angelegenheit für Pflicht halte.) Namentlich ist es die häufig wiederkehrende Stelle: abweichende, wiederkehrende Stelle von welcher ich zweifelhaft bin, trotz der Vorliebe für große Griffe, oder vielmehr wegen derselben bei Weber, ob er nach der ziemlich mager u. dünn erscheinenden Accordlage des vorhergehenden Tactes wirklich eine solche Dezimenlage hier hat eintreten laßen. Sonst sind es noch einige Bogen- und Staccatobezeichnungen u. andere Kleinigkeiten, die ich festzustellen wünschte. Können Sie mir nun, mein sehr verehrter Freund, in dieser Beziehung förderlich sein, so bitte ich Sie, mir das betreffende Exemplar auf einige Stunden anvertrauen zu wollen. Ich werde so frei sein, im Laufe des Nachmittags morgen Freitag mein Mädchen in Ihre Wohnung zu schicken und mir die Polonaise auszubitten, die Sie für den Fall Ihres Nicht-Anwesendseins gütigst für mich zurücklaßen wollen. Im Voraus Sie meines herzlichsten Dankes versichernd, bin ich mit den aufrichtigsten Wünschen für Ihr Wohlergehn u. den verbindlichsten Grüßen für die lieben Ihrigen Ihr treu ergebner Franz Kroll 15 Puttkammerstr.