## Title: Correspondenz Nachrichten aus Prag vom 10. November 1817 ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030210 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Prag, am 10. November 1817. Das Taschenbuch, von Hrn. Kotzebue, welches in Wien so großes Aufsehen gemacht, haben wir nun auch hier gesehen, und es hat ebenfalls sehr gefallen; daß dieser Beifall nicht so lebhaft als dort war, liegt wohl daran, daß dort die Ueberraschung des Hauptmoments wirkte, die hier wegfiel, weil alle Wiener Zeitschriften uns Expositionen lieferten. Gewiß ist es, daß der berühmte Verfasser alle diejenigen zu Schanden gemacht hat, welche behaupteten, es sey ihm die Kunst, die Gemüther zu rühren und Effekte hervorzubringen, abhanden gekommen; beides ist ihm hier sehr gelungen, indem er die alte Anekdote von Pelisson und Fouqué dramatisirt, mit manchen recht artigen Zügen ausgeschmückt und theatralisch motivirt hat; aber was die Charaktere und die scenische und dialogische Entwickelung betrifft, so vermißt man daran die Gewandtheit des sonst darin so mächtigen Schriftstellers. Der Dialog ist nicht so reich und ausgeführt, als gewöhnlich, und die Handlung scheint in den beiden letzten Akten zu gewaltsam vorwärts zu streben, woran freilich wohl der etwas arme Stoff Schuld seyn mag. Die Aufführung war in den meisten Theilen gelungen zu nennen; vorzüglich glänzten Dem. Schwarz als Julie (welchen Charakter sie durch ihren zarten, sanftweiblichen Vortrag gleichsam idealisirte, und Hr. Löwe als Mildau, auch Herr Polawsky als Baron gab (besonders das zweitemal) diesen Charakter sehr gut und Mad. Junghans stellte die kleine Rolle der Frau Quirl mit vieler Wahrheit dar, aber die Krone des Abends war dennoch Hr. Bayer, welcher den General mit so viel Klarheit, Festigkeit, Herzensgüte und männlicher Würde darstellte, daß er im vollen Sinne des Worts nichts zu wünschen übrig ließ. Ein neues (?) Lustspiel von Vogel: Vater und Sohn, hat, trotz einer ganz vorzüglichen Besetzung, nur getheilten Beifall erhalten; mir wäre alles recht gewesen, nur die gänzliche Abwesenheit alles Lustigen in diesem Lustspiel genierte mich; denn ein Hausbedienter, der vor Alterschwäche das Gedächtniß verloren (von Herrn Gerstel trefflich dargestellt) ist wohl eher ein Gegenstand des Mitleids als des Lachens. Der Held (Lord Montrose, den Hr. Bayer mit ächt englischem Anstande gab) ließ manches Komische Hoffen, denn er ist schon bei Jahren, und ein viel ärgerer Wüstling als Don Juan und die modernen Fausts; aber der Dichter hat ihn so unendlich kalt und trocken behandelt, daß man eher ängstlich als lustig dabei wird u. s. w. Dem. Brand sahen wir vor ihrem völligen Abgang von der Bühne zum letztenmal als Hannchen im Incognito. Diese Rolle ist einer ihrer größten Triumpfe, und ihr Verlust wurde dem Publikum durch einen solchen Abschied doppelt schmerzhaft. Es ist wohl so, wie die Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode sagt: Es scheint, als habe Hymen Thalien den Krieg erklärt; dort raubte er die holde Adamberger, hier die liebliche Brand. Möge das Glück beiden ausgezeichneten Künstlerinnen so freundlich lächeln, als die Kunst ihren Verlust betrauern wird. In der vergangenen Woche hatten wir hier eine große musikalische Feierlichkeit: das Conservatorium der Musik, dessen Vorträge nun wieder anfangen, beging die gewöhnliche Anrufung des heiligen Gei stes mit einer großen Kirchenmusik; es wurde eine Messe von Haydn, ein Motetto von Mozart und das Veni sancte spirite von Vogler, mit einem Orchester von etlichen und achtzig Personen aufgeführt, welches nicht nur aus den größern Zöglingen des Conservatoriums bestand, sondern durch die Theilnahme mehrerer Mitglieder der hiesigen Oper und einiger Dilettanten vermehrt worden war. Die Ausführung geschah mit einer bewundernswürdigen Präcision, und das allgemeine Lob der Kunstkenner bewährte auf's Neue, wie viel wir von diesem Institute zu hoffen haben. Der junge Violoncellist, Friedrich Wranitzky, Sohn des rühmlich bekannten Wiener Hof-Kapellmeisters, und Bruder der beiden lieblichen Sängerinnen, Seidler und Wranitzky, welche die Bühnen von Berlin und Wien zieren, ist hier angekommen, und wird in einem öffentlichen Conzert sein Kunsttalent beurkunden.