## Title: Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “La gazza ladra” von Rossini vom 27. Februar 1819 (Teil 1 von 2) ## Author: F. ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A030778 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.Am 27. Febr. La gazza ladra. Melodram (?) in 4 (eigentlich nur 2) Akten, mit Musik von Joachim Rossini. Ich habe die Mittheilung meiner Bemerkungen über diese uns neue Composition bis jetzt verschoben, um nicht der Voreiligkeit beschuldigt zu werden, obgleich ich wahrscheinlich auch jetzt noch der Unzufriedenheit der unbedingten Verehrer Rossini's und seiner Tondichtungsweise nicht entgehn werde. Das Urtheil der Menge geht von andrer Ansicht aus (im Grunde wohl von keiner) als das Urtheil des sogenannten Kritikers. Jene urtheilt (sich bloß an die äußere Erscheinung haltend) nach dem momentanen Eindruck auf die Sinne; ihr Ohr will geschmeichelt oder überrascht (frappirt) seyn, nicht fragend, ob das, was es hört, im Wesen der wahren Kunst begründet, wirklich die Empfindungen und Gefühle ausdrückt, die es dem Gegenstande und der Situation angemessen ausdrücken soll u. s. w. Dieser läßt sich vom Zauberdunst des Scheinbaren, vom augenblicklichen Eindruck nicht hinreißen, dringt ins Innere, fragt nach dem Wie und Warum u. s. w. Daher bleibt er oft kalt, wo die Menge entzückt ist, und jene gähnt vielleicht, wo dieser hohen Genuß hat, und nur das Wahrhaft in sich Vollendete vermag beide zu vereinigen. Zwischen beiden aber steht, lauschend auf den Ausspruch, der Beurtheilte, bereit zu lieben oder zu hassen, oder – sich um Beide nicht zu bekümmern. Treu und unbefangen theile ich hier meine Beobachtungen mit. Der Inhalt der Oper (eine Criminalgeschichte aus dem gemeinen Leben!) ist aus dem Schauspiel: Die diebische Elster, hinlänglich bekannt, und gründet sich auf eine wahre Begebenheit. Der italienische Dichter hat ihn hier als Oper eingekleidet und auf's möglichste in ermüdende Länge gedehnt. Auch an Unwahrscheinlichkeiten und Unnatürlichkeiten fehlt es hier nicht; woran man aber in Opern schon gewöhnt ist, und es nicht so genau nehmen darf. In der italienischen Oper ist im Grunde das Gedicht nur die Leinwand, worauf der Componist nach der Beschaffenheit und dem Willen der Prima Donna und des Primo Tenore sein Gemälde ausführt. In der Musik ist Rossini auch hier der von ihm angenommenen Form und Weise treugeblieben. Gefällige, nur zuweilen zu süßliche Schmeichelei wechselt grell mit polterndem Lärm; es ist eine Landschaft, wo bunte Blumenbeete mit ungeheuer schroffen Felsenmassen wechseln. Rossini besitzt Talent, Phantasie und Feuer, sein Gesang ist fließend, oft aber zu verbrämt, für den Sänger schwer aber dankbar, er kennt die mechanischen Mittel zum wirken, aber er verschwendet sie oft zur Unzeit und dem wahren Ausdruck widersprechend. Dem Geiste, mehr zum Schwelgen geneigt, fehlt es (wie ich dies in seinen mir bekannten Werken finde) an eigentlicher innerer selbstständiger Kraft, deren Mangel er durch immer neue Reizmittel und Anhäufung großer Massen, natürlich sich selbst unbewußt, ersetzt, und da her, wie das Publikum, Lärmen für Kraft hält und giebt. Hierzu wirkt mit seine Lebhaftigkeit, sein Feuer, was ihn oft zum Uebermaß verleitet, an sich aber sehr nothwendig und lobenswerth ist. Viele werden diesen meinen Ausspruch für hart und ungerecht halten, allein der ruhige Beobachter wird ihn bestätigen. Es giebt Menschen in der moralischen Welt, in denen sich sonderbar alle Tugenden und Laster mischen, und so ist dies, glaube ich, auch bei Rossini und noch manchen Andern der Fall als Tonsetzer. Vorliegene Oper giebt genug Belege dazu. Der Gesang ist fließend und angenehm, zum Theil wirklich ausdruckvoll und rührend, z. B. in dem recht braven canonischen Terzett von Ninetta, Fernando und dem Oberrichter, im ersten Akt; ebendaselbst die erste Scene der Ninetta: Di piacer mi labzo il cor etc. Das auch harmonisch gute Quintett ohne Instrumental-Begleitung im letzten Akt, und einige einzelne Stellen in anderen, im Ganzen aber weniger gehaltnen Stücken. Unter die gelungensten Stücke gehört auch noch der erste Eintritt des Juden, der wirklich sehr characteristisch, originell und ächt komisch ist. Die Melodieen sind indeß nicht immer neue. Gar viel Reminiscenzen (besonders aus der Elisabeth) finden sich darunter, indeß sind es Bekannte, die sich bei ihrem ersten Besuch angenehm zu machen gewußt, und die man daher auch noch einmal freundlich aufnimmt. Das Orchester ist reichlich bedacht. Die Instrumentation ist reich, oft zu reich und überladen, zuweilen recht wirksam, zuweilen gar nicht, weil R. den Instrumenten, besonders den Blasinstrumenten, oft Dinge zumuthet, die weder ihrem Character noch selbst ihrer mechanischen Beschaffenheit angemessen sind. die Chöre und Finales sind im Augenblick imponirend, mit unter erschütternd, aber mehr durch die zum Uebermaß angewandten Harmonieen und Instrumental-Massen, als durch innere, geistige Kraft. Die zu häufige Anwendung greller Contraste, Harmonieen und Modulationen und aller lärmenden Instrumente, macht erstere am Ende wirkungslos und betäubt die Sinne, ohne den Geist zu ergreifen. Warum z. B. in der ersten Introduction, bei einem fröhlichen, unschuldigen, ländlichen Feste, ein solcher Aufwand aller physischen und harmonischen Mittel und Massen, die nur für den höchsten Moment der Leidenschaft bestimmt sind? was soll hierbei, in Frankreich, (wo das Stück spielt) eine Janitscharmusik? – Der ländliche Chor schließt wie das größte Finale. Wie soll von hier aus eine durchaus erfoderliche Zuna[h]me und Steigerung der Kraft bis ans Ende möglich werden? – Hr. Rossini sollte dies mehr bedenken, mit seinen Mitteln sparsamer und auf die zweckmäßige Anwendung derselben aufmerksamer seyn. – Es wäre wohl noch manches pro und contra aufzustellen (unter Letzteres rechne ich z. B. die öftern Wiederholungen in den Arien und Duetten, besonders aber die langweilende Ausdehnung der Gerichtsscene), allein es würde zu weit führen. – (Der Beschluß folgt.)