Karl Seidel: “Der Brautkampf”, Novelle, Abdruck in der Abend-Zeitung 1819 (Teil 4 von 4)

Show markers in text

Der Brautkampf.

(Beschluß.)

Die schnelle Zofe ward sogleich als Botin ausgesandt, und es vergingen in der That nur wenige, höchst peinliche Minuten, bis ein Diener mit zweifelhafter Miene einen Pinto de Fonseca meldete. So rasch als möglich hinkte der wüthende Don Nunno gegen die Thür, packte den Eintretenden bei der Brust, und rief: „Junge, hast Du Deine Braut wirklich einem Anderen abgetreten?“ – „Gestrenger Vater“, schrie der ächte Pinto ängstlich stammelnd: „wie wäre das möglich!“ – „Hörst Du, Schurke, wohl?“ donnerte der Capitano dem Don Gomez zu. Er wollte noch mehr sagen, aber die Wuth erstickte hier seine Stimme, und so entstand eine stille Pause, in der die Geberden nur desto lebhafter sprachen. Man denke sich den stummen Don Pantaleon bei dieser neuen Erscheinung. Auch Don Gomez konnte jetzt im verwirrten Staunen den fragenden Blicken Clarissens nichts erwiedern; eben so lautlos zitterte das arme Söhnlein bei dem gefürchteten Zorne des Vaters. Dieser erhielt endlich die Sprache wieder, und rief: „Ziehe, Pinto, und bezahle im blutigen Kampfe den frechen Räuber Deiner Braut! Und wenn – so fuhr er gegen den Don Pantaleon fort – Du stummer, alter Glatzkopf etwa zu dessen Gelichter* gehörst, so komme vor meine Klinge; sie soll rasen in Deinen ¦ Eingeweiden, wie einst in den Gekrösen der Feinde bei Ameyrial und Montes-Claros.“ – „Wie?“ rief Don Pantaleon schon beim Anfang dieser Kraftrede: „das ehrwürdige Haupt des letzten Pachecco beschimpft?“ – Dabei schoß er wüthend zur Thür, warf einen ledernen Panzer um, bedeckte sich mit einem blinkenden Helme seiner Ahnen, und drang, vom Rachegefühl der ungeheuern Schmach angefeuert, ziemlich tapfer ein auf den wilden Capitano.

Indeß nun der kleine, wohlbeleibte Don Pantaleon im ritterlichen Schmuck sich herumhieb mit seinem lahmen, hageren Gegner, waren die beiden Liebhaber auch nicht müssig. Der ächte Pinto hatte auf Geheiß des Vaters mit zögerndem Widerwillen sein gewaltiges Schwert gezückt, um den Brautkampf zu beginnen; aber er wurde hart dafür gezüchtigt. Don Gomez Freires, so aufgeregt er auch durch diese räthselhafte Scene war, wurde dennoch in eine so muthwillige Laune versetzt beim Anblick seines drolligen Feindes, daß er gegen denselben nur die flache Klinge gebrauchte. Auf diese Weise wurde denn der arme Pinto dergestalt zerbläut, daß er jämmerlich schrie, und sich gern und willig aller Ansprüche begab auf Clarissen. Diese war beim ersten Waffenklange ängstlich hinausgeeilt, um Hülfe zu suchen, die sie denn auch fand bei dem eiligst erschienenen Don Gaston Viratos. Rasch drängte sich derselbe durch die müssig gaffenden Diener, die voll tiefer Ehrerbietung den Kampf der edlen Her|ren nicht zu hindern wagten, und stand plötzlich, den Degen in der Hand, zwischen den lärmenden Kämpfern. – Mit einem Schlage entwaffnete er den Capitano, und befreite dadurch den hart gedrängten Don Pantaleon, der, ohne Helm und Panzer, nicht eben gut weggekommen wäre. In demselben Augenblicke ward auch der schreiende Pinto aus seiner Noth errettet durch folgende kräftig gesprochene Rede: „Halt! Nur Kampf mit mir allein! Ich bin hier der einzige Gegenstand gerechten Zornes! Durch meine List ward jener Pinto dort betrogen; durch mich der weiseste der Pacheccos getäuscht, und so die Braut dem edlen Gomez heilig zugesichert! Ich frage laut, Wer hat etwas dagegen? – Wer es auch sey, er komme vor mein Schwert!“ – „Bei meinen Thaten,“ rasete Don Nunno: „bei meinen Wunden von Villa vitiosa, ich habe etwas dagegen. Ich will Dein betrügerisches Hirn an diese Wände spritzen, und den Boden hier mit Deinem Schurkenblute tränken!“ – Bei diesen Worten drang er mit grenzenloser Wuth auf Don Gaston ein; allein dessen jugendlicher Arm entwaffnete ihn mit sorglicher Schonung zum zweiten Male. Nun packte der Capitano seinen Feind mit ungewaffneten Händen, und es entstand ein Ringen, welches ziemlich possirlich damit endete, daß der markige Jüngling den erschöpften Kriegsmann in die Höhe hob und ihn auf das Ruhebett eines Seiten-Cabinets warf. „Hier tobe aus, Du alter Teufel!“ sprach der Sieger, und verschloß eilig die Thür. Der mißvergnügte Pinto hatte sich schon früher aus dem Staube gemacht, und so wurde denn endlich der Kampfplatz frei. Viel Blut war eben nicht geflossen; nur Don Gaston hatte in dem Gefecht mit dem Bären eine unbedeutende Wunde bekommen, die ihm als kleine Züchtigung für seine muthwilligen Streiche füglich zu gönnen ist.

Der erschöpfte Don Pantaleon saß indessen, von Clarissen unterstützt, in einem Armsessel, und wußte immer noch nicht recht, was er eigentlich sagen sollte. Die beiden Fonseca hatten es zwar, ihres verehrten Ahnen ungeachtet, auf ewig mit ihm verdorben; doch war er auch nicht allzu günstig für die Pinto’s gestimmt. – Dieser, dem Don Gomez besonders, peinlichen Lage ein Ende zu machen, zog Don Gaston plötzlich eine Papierrolle heraus, und las den ersten Gesang einer von ihm begonnenen Pachecciade vor. Bei den ersten Decimen begannen die Wolken auf der Stirn des Don Pantaleon zu schwinden; immer heiterer wur¦den die Züge, bis er endlich voll begeisterten Entzückens an die Brust des Dichters flog. In prophetischer Trunkenheit sah er den Ruhm der Pachecco’s schon in andern Sprachen, und zwar zuerst in’s Deutsche übersetzt, und ward so beseligt durch diesen großen Gedanken, daß er auch den edlen Don Gomez Freires umarmte, und ihm Hand in Hand mit der holden Clarissa zu zweiten Male seinen Segen gab.

Der Dank des glücklichen Paares gegen den Don Gaston Viratos hatte keine Grenzen. Vielleicht wünschten manche der schönen Leserinnen dem liebenswürdigen Wildfang zum Lohne die Hand der reizenden Laura Freires; und wenn es denn einmal an’s Heirathen gehen soll, so ist für die verschmitzte Zofe niemand passender als unser Ambrosio. Dieser Erzschelm hatte den unschuldigen Pinto de Fonseca, um dessen Reise zu verzögern, als einen portugiesischen Spion angegeben, und es würde in Folge dessen dem armen Gefangenen schlimm ergangen seyn, wenn nicht ein ungewöhnlich hellsehender Richter sich mühevoll für ihn verwendet hätte. Der Vater hatte unter Weges den verzögernden Unfall seines Söhnleins nicht erfahren, und so kamen denn Beide fast zu gleicher Zeit nach Sevilla.

Auf der Rückreise befanden sich diese Herren wieder ganz wohlgemuth in der bekannten Taverne von Salvaleon. Der Zorn des alten Capitano war besänftigt durch den süßen Klang des Goldes, das ihm fortan ein gemächliches Leben verschaffte, und das liebe Söhnchen hatte sonder Zweifel alles Leid vergessen hinter dem bewußten großen Eßtisch. Bei jedem neuen Gericht, das die schöne Wirthstochter auftrug, erwachte zwar eine unruhige Sehnsucht in dem fröhlichen Pinto; allein unwillkührlich rieb er sich alsdann den Rücken und dachte einen Augenblick zurück an den – gefährlichen Brautkampf.

Karl Seidel.

Editorial

Summary

Abdruck des vierten und letzten Teils der Novelle “Der Brautkampf” von Karl Seidel, die als Vorlage für das Libretto von Karl Theodor Winkler zu Webers Oper “Die Drei Pintos” dient.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 302 (18. Dezember 1819), f 1r–1v

    Commentary

    • “… Glatzkopf etwa zu dessen Gelichter”bedeutet Gesindel.

      XML

      If you've spotted some error or inaccurateness please do not hesitate to inform us via bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.