## Title: Besprechung der Darmstädter Erstaufführung der Euryanthe, Teil 1/2 ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031258 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Die Aufführung der Euryanthe in Darmstadt.Am 12. Februar 1826.Ueber den Werth dieser Oper ein vollkommenes Urtheil zu fällen, ist in der That eine sehr schwere Aufgabe. Es ist vor allen Dingen die Frage zu thun: hat ein Komponist nöthig, dem innern Streben seines Talents zu entsagen, um den Beifall der Welt zu erringen? Nein! Die Genialität eines Dichters muß die Gottheit seines Strebens sein, und kein fremder Schattenpunkt anderer Wünsche und Empfindungen kann die Sonnenfackel seiner Begeisterung verdunkeln oder entweihn, wenn seine Reinheit und Größe dem kindischen Urtheile der Menschen frei die Stirne bietet. Indessen müssen wir auch wieder fragen, ob der Zweck der Musik blos in der Wissenschaft lebe. Herder sagt zwar: Wären alle Geschöpfe ohne Ohren, und der Sinn des Hörens nicht geschaffen, so würde dennoch der Satz aufgefunden und unumstößlich berechnet worden sein, daß die Harmonie bestehe, welche die ganze Tonkunst nun umschließt. Wir haben aber Gehör, und was wir hören, ist Botschaft unserer Seele; Alles tönt, was tönen kann, ja selbst die belebende Schöpfung unserer Sprache lag nur in dem empfänglichen Sinne unseres Gehörs. – Die Musik kann also unmöglich allein Wissenschaft sein, sie ist vielmehr die unerklärbare Kette unsichtbarer Gefühle, die als irdischer Himmel uns gleichsam zu höheren Wesen macht und umfasset. Vielleicht ist sie die höchste irdische Stufe unseres Lebens, und die erste Stufe des Genusses eines Jenseits, da sie unsichtbar zu uns herabschwebt und wirkt. Wenn also Musik nicht so sehr in ihrer Existens dem Geiste Sprache ist, als unseren Sinnen, so muß auch vor allen Dingen der Tondichter, sobald sein Gedicht zu uns reden soll, nicht die Sprache eines utopischen Landes, sondern vielmehr die Sprache menschlicher Empfindungen sprechen. Wir wollen hier freilich nicht mit aller Strenge von dem Tondichter fordern, als sollte seine Kunst weniger vom Auge des Geistes als von dem der Phantasie betrachtet werden. Da aber Musik den dunkeln Mittelpunkt unserer Gefühle einnimmt, so sind allerdings solche Empfindungen leichter auf dem Wege der Einbildungskraft und der Phantasie zu ergründen. Dem Komponisten muß also die Wissenschaft entfernte Führerin auf der Bahn seines Strebens bleiben. – Schließen wir aber jetzt den Eingang; denn die Ketten in der Verfolgung solcher Betrachtungen gehn in’s Unendliche. Kommen wir daher auf unser eigentliches Thema wieder zurück, auf die Euryanthe. Weber ist wirklich ein solcher Geist, dem aus dem Innersten unnennbare Gefühle strömen, und der aus dem Fluge seiner Phantasie einen Spielball macht; ein Geist, dem nichts zu hoch und nichts zu tief erscheint. Er hat Welten in seiner Brust, und das Auge seiner Einbildungskraft gibt jeder dieser Welten eine Eigenthümlichkeit. Und dennoch sind die Gewichte seines Denkens und Empfindens in die | ser Oper über die Schwelle des Mittelpunkts getreten. – Wenn man vermuthete, daß Weber, nicht zufrieden mit seinem frühern Meisterwerke, noch ein besseres zu leisten gedachte, so war der Glaube seiner Verehrer an seinem Kunstvermögen keineswegs getäuscht, aber ihre Erwartung anderer Natur. Sie glaubten in dem Typus seiner Kunst dasselbe Streben zu erblicken; allein sie fanden es nicht wieder. Der einzige herrschende Gesichtspunkt im Ganzen des Werks ist Gelehrsamkeit, und es ist leider zu vermuthen, als habe wirklich dieser Tondichter verschiedenen seiner Gegner zeigen wollen, daß er auch gelehrt schreiben könne. Wäre dieß der Fall, so dürfte der Text dieser Oper besser, oder noch fader und abgeschmackter gewesen sein, als er in der That ist; Weber würde in jedem Falle in die Masse seines Denkens gegriffen und gesucht haben, sein rein dastehendes früheres Werk, den Freischütz, als die untergeordnete Stufe seines Talents durch dieses neuere darzustellen. – Es hätte also wirklich ein Vorurtheil, ein ungeübtes Auge der Kunstwelt, dem System eines Meisters eine solche Wendung geben können, daß zwischen dem einen und dem andern Werke eine Kluft liegt unermesslicher Tiefe? Seine Willkühr (und nicht die Aufgabe der unzufriedenen Welt), die Mutter seines ersten Werkes, ist und bleibt gewiß der excentrische Punkt aller natürlichen, moralischen und physischen Empfindungen seines Genius. – Einen der schönsten Wege hatte Weber betreten, er vereinte die Farben der Natürlichkeit mit den Tinten der edelsten Phantasie, und die verschiedenen Stufen des Beifalls und Urtheils entstanden dadurch, daß er für alle Grade der Charaktere geschrieben. Der prosaische Haufe sah die Masse ohne Seele und jauchzte, der poetische die Seelen mit der Masse und staunte. – Hört man den Freischütz und die Euryanthe, so glaubt man, der Feuerwagen des ersten Gedichts habe Weber’n aus dem Tempel des irdischen Lebens in ein Himmelreich versetzt, wo menschliche Empfindung aufhört. Es ist derselbe W. nicht mehr, und die irdische Schwester will der himmlischen ihr älterliches Recht streitig machen. Selbst das Teuflische schuf er viel zu edel in diesem erhabenen Tongemälde. Das feindliche Wesen in einem Gedichte ist der bildenden Phantasie ein leichteres Feld. Die Teufel Milton’s oder Dante’s sind gelungener, als ihre Engel. Warum hier dieser poetische Widerspruch? Genug, mit aller Erhabenheit bleibt dennoch Vieles in der Euryanthe unverständlich, und wird für den denkenden Kreis unserer Gefühle noch lange eine Pfeilschrift bleiben. #lb#()