## Title: Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater: darunter “Die Verschreibung” von Joseph Passy, September 1813, inklusive Kurzbericht über den Neuzugang Carl Maria von Weber als Kapellmeister ## Author: S. ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031606 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Prag. – Von neuen Stücken sahen wir seit meinem letzten Berichte nur drey. 1) Die großen Kinder, oder: Das Angebinde, Lustspiel in 2 Aufzügen von Dr. Müllner. Wir müssen offenherzig gestehen, daß der Dichter der Schuld und der Vertrauten in uns größere Erwartungen erregte, als dieß kleine Stück zu erfüllen im Stande war; ja es scheint fast, als sey es ihm damit nicht recht Ernst gewesen, oder er habe den Versuch machen wollen, ob es in der That nichts weiter brauche, um | den Beyfall des Publicums zu gewinnen, als Liebhaber in Domestiken zu verkleiden. Dieß Stück besteht aus sechs Personen, wovon drey das ganze Stück hindurch in einer so peinlichen Verlegenheit sind, daß ein humanes Publicum unmöglich eine Freude an ihnen haben kann; die übrigen drey stehen als passive Nebenfiguren, bis zuletzt der Knoten, nicht gelöset, sondern zerhaut wird. Die Diction ist rein und schön, und jedem andern, als einem Mann, in dem prophetische Geister schon einen Pilaster der sinkenden deutschen Kunst sahen, würde man diesen etwas verunglückten Versuch weniger verargt haben. Die Matadors der Gesellschaft hatten diese sechs Rollen übernommen, und die Aufführung war sehr brav, konnte aber das Stück doch nicht vor einer sehr kalten Aufnahme bewahren. 2) Eine Scene aus der Gegenwart, von Herrn Robert (zum Besten der verwundeten Krieger aufgeführt). Der Inhalt dieses sonderbaren Gelegenheitsstückes ist folgender: Der Bürgermeister einer kleinen Stadt in der Nähe der Hauptstadt feyert eben das Verlobungsfest seiner jüngern Tochter mit dem Sohne eines Jugendfreundes, eines pensionierten Majors. Der Bräutigam sieht die trübe Miene der Braut und bittet sie voll Resignation, keinen Schritt zu thun, dem ihr Herz widerspricht. Sie gesteht ihm, daß sie einen Jüngling geliebt habe, der sich einige Zeit im Hause ihres Vaters aufgehalten, durch eine heimliche Entfernung aber sich ihrer Liebe unwerth gemacht habe, und daß sie nun – ihn liebe!! Die ganze zahlreiche Gesellschaft versammelt sich, man setzt sich zu Tische und ist ganz guter Ding, bis es dem Major einfällt, auf eine sehr unsoldatische Weise über das Elend des Krieges zu lamentiren. Nachdem dieß ziemlich lange gewährt hat, kommt ein Freund des Hauses, eine Art von Quartiermeister, und ein Arzt, Schwiegersohn des Bürgermeisters, aus der Hauptstadt, wo der letztere den ganzen Tag Blessirte verbunden hat, und diese beyden erzählen die Wohlthaten, welche die Bewohner der Stadt an den armen Verwundeten übten, die eben vom Schlachtfelde ankamen. Diese Erzählungen enthalten die wahrhaft edlen Thaten der Prager, von den Suppen- und Fleischtöpfen an bis zu den größern Privatverbandanstalten und den jungen eleganten Damen, die selbst auf die Wagen stiegen, um den Verwundeten Labsal zu reichen; ja, daß sogar „Höckerinnen den armen vorüberwankenden Blessirten ihr Bißchen Armuth anbothen,“ (eigene Worte des Dichters.) – Der Arzt annoncirt für den andern Tag 150 Blessirte, welche der Bürgermeister alsbald auf der Bühne unter die Bürger der Stadt vertheilt. Sein eigener Bruder, ein reicher Fabrikant und Hagestolz, weigert sich, deren 10 anzunehmen wird derb zurecht gewiesen, und verläßt im Zorn das Haus. Alle übrigen sind sehr bereitwillig, und die Frauen versprechen die größte Sorgfalt für sie zu tragen. Zu Ende des Stücks kommt der alte Liebhaber, der als Freywilliger zu Felde gezogen, um seine Geliebte zu verdienen, verwundet zurück. Der Bräutigam entsagt und zieht in den Krieg; der Vater willigt ein, und eine Hochzeit beschließt, wie billig, das Stück. So lobenswerth es ist, in wichtigen Momenten die Gemüther zum Großen und Edlen zu bestimmen, und patriotische Handlungen durch Denkmahle aller Art zu verklären, so hat doch Herr Robert leider diese Aufgabe auf keine sehr begeisterte oder begeisternde Art gelöset. Die Scene der Gegenwart ist ein wenig zu gegenwärtig gerathen, und in der That, die rührende Theilnahme der Bewohner Prags – wenn sie schon auf die Bühne gebracht werden sollte – hätte eine mehr poetische, als zeitungsmäßige Darstellung verdient. Ein wahres hors d’oeuvre ist der Dichter, der statt seinem Berufe getreu, durch begeisterte Rede zu ermuthigen, sich damit begnügt, in schlechten Versen den lieben Herr gott anzurufen, und der nur im Stücke zu seyn scheint, damit seine Geliebte, ein mannhaftes Frauenzimmer, ihn zum Patriotismus ermahnen, und die Gelegenheitsgedichte in Schutz nehmen kann. Daß er zuletzt mit dem entsagenden Bräutigam zu Felde zieht, scheint er mehr par complaisance für seine Freunde, als um des lieben Vaterlandes willen zu thun. Unter dem zahlreichen Personale befanden sich die vorzüglichsten Mitglieder unserer Bühne, die aber meist ihre Rollen so wenig memorirt hatten, als wäre ihnen durch Inspiration das Schicksal des Stückes geoffenbart worden. 3) Die Verschreibung, ein Lustspiel in einem Acte, von Passy. Dieses kleine Stück, oder eigentlich diese Scene, deren Stoff doch fast gar zu einfach ist, zeichnet sich durch eine schöne Diction sehr vortheilhaft aus. Die Alexandriner gehören unter die wohlklingendsten, und die drey Rollen des Stücks wurden von Mad. Brede und den Herren Polawsky und Löwe sehr brav gegeben. Nach viermonathlichen Ferien hat auch die deutsche Oper wieder ihren Anfang genommen, obwohl die Kriegsunruhen mehrere engagirte Mitglieder anzukommen verhinderten, und dieser Zufall leider dem Theaterdirector nicht erlaubte, dasjenige zu leisten, was er zur Vollendung derselben zu thun gesonnen war. Die wichtigste Aquisition ist ohne Zweifel der Capellmeister, Herr Carl Maria von Weber, der an die Stelle des abgegangenen Hrn. Wenzel Müller in’s Orchester getreten ist. Ein junger Mann von allgemein anerkannten musikalischen Verdiensten und einer Thätigkeit, die es ihm allein möglich machte, mit einem noch so äußerst geringen Personale in vier Wochen vier Opern, worunter drey ernsthafte, aufzuführen. Auch der Violindirector, Herr Clement ist ein schätzbarer Gewinn für das Orchester, welches nunmehr gewiß von jedem Unparteyischen unter die vorzüglichsten in Deutschland gerechnet wird. Neu engagirte Sänger sind: Herr Mohrhardt, ein äußerst brillantes Talent, welches zu den größten Erwartungen berechtiget. Wenn er so auf seiner Bahn fortschreitet, wie er begonnen, so wird man ihn bald unter die ersten Sänger zählen. Wenn man gleich seine etwas harte Aussprache des r tadelt, so ist dieß etwas, woran man sich bald gewöhnt, und es wäre wahrlich Kleinmeisterey, einen Fehler streng zu rügen, der durch so mancherley Vorzüge vielfach aufgewogen wird. Seine Stimme ist voll und kräftig, und die natürliche Höhe derselben sehr bedeutend. Auch als Schauspieler zeigt er viel Kenntniß und reges Kunstgefühl. Sein Geberdenspiel ist mahlerisch und untadelhaft richtig; nur in der Declamation hat er den Fehler, oft zu viel zu thun, und leicht ins Pathos zu gerathen, weßhalb er auch im Ernsten noch glücklicher als im leichten Launichten ist. Von dem Bassisten, Herrn Kainz, können wir leider nicht eben so viel Günstiges sagen. Seine Stimme hat weder einen großen Umfang, noch ist sie rein und klangvoll, und seine Intonation ist oft sehr falsch. Als Schauspieler kann man nicht läugnen, daß er schulgerecht sey; doch scheint er oft etwas pedantisch, und sein süddeutscher Dialect ist ihm gleichfalls nicht günstig. Wir hoffen in der Folge, wenn wir ihn in bedeutenden Rollen gesehen haben, ihm größeres Lob spenden zu können. Herr Schnepf, Baßsänger, und Dlle. Vliegen sind noch ganz Anfänger, und wir müssen unser Urtheil über sie suspendiren. Nur wäre dem erstern anzurathen, sich dem komischen Fache zu widmen, da ihm sein österreichisches Deutsch von dem ernsten ganz ausschließt. Der Chor, besonders der männliche Theil, ist neu und stark besetzt; auch sind unter den Choristen einige, die im Nothfalle zu Aushilfsrollen gebraucht werden. (Der Beschluß folgt.)