## Title: Aufführungsbesprechungen Prag, Ständetheater, vor 10. November 1813 ## Author: Anonymus ## Version: 4.9.1 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A031620 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Correspondenz-Nachrichten.Prag, den 10. November. – Die zweite Oper, welche seit der Wiedereröffnung der Opernbühne auf der hiesigen Bühne neu gegeben wurde, sind: Die vornehmen Wirthe, mit Musik von Catel. Dieses Werk erfreute sich keines sonderlichen Beifalls, und es ist höchst auffallend, wie der Verfasser der Semiramis sich so sehr zu seinen Nachtheile verändern konnte. Bringt es etwa die komische Oper mit sich, daß ihre Melodie plebejsch, die Harmonie aber seicht und leer seyn muß? – Wenn es so ist, so gereicht es dem Verfasser wahrlich zum Verdienste, sich so sehr verläugnet zu haben. Allein wer erkennt nicht in Figaro oder Cosi fan tutti trotz der Verschiedenheit des Gegenstandes den Verfasser eines Idomeneo, eines Titus? Die Ouverture, die nichts, als eine Zusammenreihung vielfärdigter Sätze ist, welche weder durch Neuheit noch Schönheit sich herausheben, erregte schon ein ungünstiges Vorurtheil, da ihr eigentlicher Zweck ist, einen Prolog zu dem Werke zu bilden, und dessen Geist auszusprechen. Eben so sehr hat sich der Verfasser durch den Schluß der Oper, | der nach Art und Weise der gewöhnlichen französischen Oper ein äußerst magerer und gemeiner Chor ist, in Nachtheil gestellt. Unter den Gesangstücken erregten nur Wenige des zweiten Akts einige Aufmerksamkeit. Die Ouverture zum dritten Akt, so sehr sie auch einem sich produzirenden Flötenspieler willkommen seyn mag, ist dem Ganzen so heterogen, daß wir die Nothwendigkeit und Verkettung mit derselben durchaus nicht begreifen. Doch etwas Neues – auch schön und zweckmäßig? – welches dem ruhigen und denkenden Zuhörer kaum entgehen kann, sind gewisse Einleitungen, ex abrupto, welche den Gesangstücken sehr häufig vorangehen, und bald von einzelnen Instrumenten, bald von mehreren zugleich, ausgeführt werden. Was der Verfasser eigentlich damit beabsichtigt haben will, ist wohl schwerlich zu enträthseln, aber so viel ist doch gewiß, daß es beinahe eben dieselbe Wirkung hervorbringt, als wenn man (wie gewisse Musiker zu thun pflegen) vor dem Anfange eines Stücks allerhand Schnörkeln hören läßt. Doch sollten sie nicht etwa die Verknüpfung des kahlen Dialoges mit dem darauffolgenden Gesangstücke vorstellen? Die Ausführung war den Kräften der handelnden Personen angemessen. Die Hauptrolle der Marquis Ravannes ward von Hrn. Morhardt mit Feuer und Wahrheit gegeben. Die Kraft und Fülle seiner Stimme entfaltete er hier vielmehr, als in seinem ersten Debut, und wenn sein Organ auch nicht jene angenehme Weichheit die man so gern an Tenorstimmen wahrnimmt, so hat er doch dagegen manche andere Vorzüge. Außer diesem zeichnete sich noch Hr. Allram (Echa. Spieler) in der Rolle des Dutreillage aus, die in musikalischer Hinsicht zwar kaum der Erwähnung werth ist, welche er aber durch sein ächt-komisches Talent zu einer der interessantesten und unterhaltendsten empor hob. Dieser Oper folgte: Jakob und seine Söhne in Egypten, mit Musik von Mehul, auf der hiesigen Bühne gleich, falls zum erstenmal gegeben. Wenn gleich diese Oper keineswegs den hohen klassischen Kunstwerth hat, den ihr die französischen Kunstrichter mit mit vollen Händen zumaßen, so enthält sie doch manches Schöne, und wenn nicht durchaus Neues, doch sehr Erfreuliches. Der Charakter des Simon ist am vorzüglichsten gehalten und durchgeführt, jenem des Jakobs fehlt es an Wahrheit. Es ist der physischen Kraft und dem Grade der Empfindungen eines Greises vom höchsten Alter zuwider, ihm die Extreme des Umfanges der Baßstimme mit Gewalt erpressen zu lassen. Das Alter eines Jakobs fordert, daß die Melodie auf einen kleinen Umfang der Töne beschränkt werde. Dieser Mißstand ward durch die Darstellung des Hrn. Siebert um so auffallender, der sich in der grauen Perücke und Bart schon alt genug zu seyn glaubt. Auch in Josephs Charakter hat der Componist den Mann und Statthalter übersehen, und nur die fromme Kindesliebe des ehemaligen Hirtensohns vor Augen gehabt. Es erhebt Hrn. Mohrhardts Verdienst, daß er diese Lücke durch sein begeistertes Spiel einigermaßen deckte. Daß die Rolle des Benjamins durch ein Kind besetzt war, ist ein nicht zu bezweifelnder Mißgriff, der den Effekt besonders in Ensemble sehr schwächte. Die Chöre gehören mit unter die gelungenen Parthien, besonders brachte das Morgengebet viel Rührung hervor. Allein mit der Musik, welche Josephs Triumphzug begleitete, konnte Ref. schlechterdings nicht einig werden, denn sie versetzte ihn, statt nach Memphis nach Groß-Kairo. Eben so neu für uns war die Vorstellung von Uthal, mit Musik von Mehúl. Dieses kleine Singspiel zeichnet sich durch nichts anderes aus, als daß der Componist die Violinen davon ausschloß. Was ihn dazu bewogen haben mag, soll er selbst dem fragenden Kunstrichter beantworten. Wir bemerken leider nur zu sehr, daß es ein Körper ohne Seele ist. Auch konnten wir nicht gewahr werden, daß eine bis jetzt noch unbekannte und auf der Bühne noch nicht dargestellte Leidenschaft, noch sonst eine neue dramatische Situation, die Verbannung der Violinen nothwendig erheischt, oder gerechtfertiget hätte; im Gegentheile ist der Zwang zu kennbar, den Hr. Mehúl sich anthut, um den Mangel der Violinen durch ein und das andere Blasinstrument zu ersetzen. Er hat unstreitig der Madame Viole zu viel Ehre angethan, und | ihre Eigenschaften zu hoch geschätzt, indem er sie zur dirigirenden Meisterinn des Orchesters erhob. Möchte er doch die Welt noch mit einem Produkt ähnlicher Art beschenkt haben, wo die Violoncelles das Regiment führen. In dieser Operette debutirte Demois. Vliegen als Malvina zum zweitenmale. Da sie sich erst seit kurzem der Bühne gewidmet, so wäre es hart und unbillig, gegen sie mit richterlicher Strenge zu verfahren. Wenn sie bis jetzt in der Intonation noch nicht fest, und ihre Kehle noch nicht geläufig ist, so sind das freilich Dinge von Bedeutenheit, welche aber doch durch ein ununterbrochenes Studium, und durch einen guten Meister verbessert werden können, und verdient schon deßhalb Nachsicht, als Mehrere bei vieljähriger Praxis noch immer diesen Fehlern unterworfen sind. Als Schauspielerinn bewies sie, daß sie nicht ohne Talent sey, denn sie verband Anstand mit richtiger und deulicher Deklamation. Hr. Kainz gab den Uthal als Akteur ziemlich gut, doch als Sänger war er nichts weniger, als erfreulich. Wenn die an sich trockene Rolle des Königs Lathmor gar keine Wirkung that, so hat sicher die Unbehilflichkeit des Hrn. Siebert das Ihrige dazu beigetragen. Es ist ein wenig drolligt, wenn im Chor der Barden, die mit Harfen erscheinen, gar nichts von einem Harfentone gehört, und auch nicht einmal vom begleitenden Orchester in der entferntesten Aehnlichkeit nachgeahmt wird, ausgenommen man wollte das dafür gelten lassen, daß hie und da ein schwacher Laut von einem Pianoforte vernommen wird. Der Dichter hat den Stoff, der dem Ref. im Ganzen nicht zum musikalischen Drama geeignet ist, zu ärmlich und stiefmütterlich behandelt. Die Charaktere sind nur angedeutet, und das Ganze nur als die Skizze eines Ossianschen Gemäldes von Schülerhand anzusehen; und wenn der Mangel des poetischen Werthes als Entschuldigung für den Compositeur dienen soll, so darf man dennoch auch von einem geschätzten Tonkünstler fordern, daß er in der Wahl eines Dramas für seine Kunst etwas schwieriger seyn möchte. Außer diesen neuen Erscheinungen kamen noch die Vestalin, und der Wasserträger wieder in die Szene. Diese beiden Opern sind hier schon längst bekannt, und es ist über deren Werth auch schon längst das Urtheil laut ausgesprochen worden, daß ich der erstern bloß deshalb erwähne, weil Madame Grünbaum (Müller) als Julia sich selbst übertraf. Diese sehr schätzbare Sängerinn beurkundet von Tag zu Tag mehr, daß sie eine der vorzüglichsten jetzt lebenden Sängerinnen Deutschlands sey. Demois. Vliegen begann in der Rolle der Oberpriesterinn ihr erstes theatralisches Debüt. Warum sie gerade das erstemal die einzige Arie ihres Parts ausgelassen, heißt doch wohl nicht umsonst fragen? –