WeGA, Rezeptionsdokumente, Digitale Edition Aufführungsbesprechung Dresden: <q>Euryanthe</q> von Carl Maria von Weber am 31. März 1824 Anonymus Veit, Joachim Stadler, Peter Übertragung Bandur, Markus

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Anonymus Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode 39 45 April 1824 354–358

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Correspondenz. Dresden, Ende März.

Den 31sten war die erste Aufführung der Euryanthe, die wegen der dazwischentretenden Entbindung der ersten Sängerin, Mad. Devrient (Minna Schröder), um drei Monate hatte verschoben werden müssen. Maria Weber (jetzt, da Morlacci in Italien seinen Urlaub noch auf mehrere Monate genießt und der Director der Kirchenmusik, Schubert, todt ist, fast über seine Kräfte belastet), hatte durch seine herrliche Methode, die Proben zu halten, alles auf’s Beste einstudirt. Der Generaldirector v. Könneritz, ein warmer Freund des wackern Weber, und für die Aufführung selbst begeistert, hatte nirgends gespart; prachtvolle, neue Costumes, neue Decorationen! Die ganze Capelle, die Weber’n mit treuer Achtung und Liebe zugethan ist, hatte keine Anstrengung noch Mühe sich verdrießen lassen. Dlle. Funk, anfänglich, wie man sagt, mit der ihr zugetheilten Eglantine nicht ganz zufrieden, hatte, je mehr sie in den Geist ihrer Rolle und des Gesanges eindrang, beides sehr lieb gewonnen. Schon in der letzten Probe waren einige 100 Zuhörer gegenwärtig. Gespannter ist nie das ganze Publicum gewesen. Denn hatte das große Werk in Wien und Prag wenig angesprochen: so war dort die entschiedene Vorliebe für die Wälschen, hier, in Prag, das schlechte Einstudiren und Mangel in der Besetzung wohl hauptsächlich Schuld daran. Es war auch bei uns viel für und wider gesprochen worden. Doch ein Jeder suchte seine Unbefangenheit zu behaupten; wollte selbst hören, selbst urtheilen. Die vielbesprochene Ouvertüre wurde mit der größten Aufmerksamkeit angehört. Man fand wohl, was auch von der ganzen Composition gelten mag, daß man der Wissenschaft und dem Bestreben des überreichen Tonsetzers durchaus nicht bei der ersten und zweiten Vorstellung ganz Gerechtigkeit widerfahren lassen könne, daß aber kein Motiv der Oper fehle und daß es eines Orchesters, wie das unsrige ist, und einer solchen Leitung bedürfe, wenn gerechte Würdigung stattfinden solle. Doch war auch jetzt schon Jedermann befriedigt, und diese Zufriedenheit machte sich in dem gedrängtvollen Hause durch Rufen und Klatschen auf eine bei unserm nur zu kalten Publicum ungewöhnliche Weise Luft. Wie war es möglich, dieses mit jedem Fortschritt der Handlung, mit jedem neuen Chor (jeder ist neu und genial),  jedem Duett (gleich das erste zwischen Eglantine und Euryanthe ist voll Kraft und Klarheit), jedem Recitativ an Interesse und angemessenem Gefühlsausdruck gesteigerte, nirgends auf falsche Effecte und nur das Ohr füllende Gaukeleien hinarbeitende, ächt Deutsche Werk mit dem erbärmlichsten Wortspiel ein langweilendes zu nennen! Der Tonsetzer mag sich allerdings seine AusgabeAufgabe sehr hoch gestellt haben; für Orchester und Gesangvortrag mag die Darstellung eines so tief gedachten Werkes gewaltige Anstrengung kosten; wird es so gegeben, wie es sogleich bei dieser ersten Vorstellung vor uns stand, so verschwindet vor dem Zuhörer alle Mühe, es ist Ein Guß, Ein Strom harmonischer Fluthen, welche in den herrlichen Finalen am gewaltigsten verhallen. Auch war gleich nach dem Schluß des ersten Acts, da wo Euryanthe-Devrient und Eglantine-Funk durch den süßesten und leidenschaftlichsten Vortrag mit einander gekämpft hatten, und wie der Chor mit dem: Fröhliche KlageKlänge! einfiel, alles so begeistert, daß Weber’n durch ein zwiefach wiederholtes stürmendes Beifallklatschen und Bravorufen die vollste Anerkennung wurde. Unbeschreibliche Wirkung brachte der auf die geschmähte Euryanthe zornig einstürmende, auch durch das angemessenste Zuspiel unterstützte Chor des zweiten Acts hervor. Aber die höchste Stufe des bei uns, in Gegenwart des Königs, der mit sichtbarer Zufriedenheit der Vorstellung beiwohnte, kaum so vorgekommnen Beifalls erstieg der Enthusiasmus nach Beendigung des Stücks. Viva il maestro! Weber heraus! erscholl es von Logen und Parterre so gewaltig, daß sich der treffliche Tonsetzer, der dießmal wenigstens an der Liebe und Freude seiner dankbaren Mitbürger nicht zweifeln durfte, wirklich entschließen mußte, vor den Vorhang hervorzutreten. Sein stummes Mienenspiel deutete auf das Verdienst des Orchesters und der Sänger. Der Wink ging nicht verloren. Ein neuer Sturm tobte so lange, bis endlich der Vorhang aufging und uns die zwei herrlichen Sängerinnen, die namentlich gerufen worden waren, im Vordergrunde des ganzen übrigen Personals noch einmal erblicken ließen. In andern Städten mag dieß öfters vorkommen. Hier ist dieser Ausbruch des Beifalls das unzweideutigste Zeichen wahrer Begeisterung. Aber Weber’s hohe Schöpfung erhielt auch in den zwei Sängerinnen, die sichtbar mit einander wetteiferten, in Mad. Devrient und Dlle. Funk eine seltene Unterstützung. Unsre Funk, die jetzt zugleich die Stütze und wahre prima donna der Italiänischen Oper ist, da Signora Sandrini, gewiß aus eigner Ueberzeugung: Daß Hebe keinem, der noch sterben soll, den Trank Der ew’gen Jugend reichte – zurücktritt, und die jugendlich kräftige Tibaldi nur ein bestimmtes Fach ganz ausfüllen kann, überbot sich selbst in einigen Arien und Duetts, und bewies, was Weber schon oft versichert hatte, daß diese Oper zwei erste Sängerinnen fordere. Die Anmuth der Devrient in den lieblichen Partien ist wieder ganz das Eigenthum dieser schönbegabten Künstlerin, die  aber, um zu werden, was sie werden kann, durchaus noch ein fortgesetztes Studium sich angelegen seyn lassen muß. Aber diese Rolle will auch von der Meisterin des tragischen Ausdrucks gespielt seyn, und hier ist die Devrient einzig unter den jetzigen Deutschen Sängerinnen. Die große Schröder hat ihre tragische Kunst auf diese ihre älteste Tochter vererbt. Sie würde bei ihrer Jugend und schlanken Gestalt die erste tragische Schauspielerin werden können, wenn sie nicht zu einer der ausgezeichneten Sängerinnen von der Natur selbst den Beruf erhalten hätte. Die verzweifelnde Unschuld am Schluß des zweiten Acts, die hinsinkende Erschöpfung, als sie beim Weidenbaum am Quell die mit wahrhaft himmlischen Tönen von Weber ausgestattete Cavatine singt, der Ausdruck namenlosen Entzückens, womit sie im dritten Act, nachdem der Chor ihr: Hoffe, liebe, lebe! zugerufen, in der Cavatine das: Zu ihm, zu ihm! begleitet, würde auch einem ganz tauben Zuschauer noch einen hohen Genuß gewähren. Hätte unser Bergmann mehr Kraft in seinem gewiß sehr süßen Tone, wäre Umfang und Fülle der Baßstimme bei unserm wackern Mayer eben so groß, als seine feste Kunstfertigkeit und sein braves Spiel: so möchte für die Euryanthe schwerlich ein passenderes Personal zu finden seyn, als es unsre Deutsche Oper darbietet. Aber auch so wird sie für unser Bühnenrepertoir stets ein köstlicher Erwerb und ein Muster für andre Bühnen, wie es der geniale Tonsetzer eigentlich meinte, auch dann bleiben, wenn auf manchen Theatern die verwöhnte Ungeduld es nicht zum ernstesten Studium und zu häufigen Wiederholungen kommen ließe.

Wir überlassen die einzelne Zergliederung dieses auch durch das durchausgehendedurchgehende Recitativ zu einer großen Oper gestempelten Werks den Kennern und wünschen ihm einen wahren und unbefangenen Kenner zur Beurtheilung. Die Clavierauszüge können bei einem so organischen Ganzen nirgends ganz befriedigen. Am wenigsten soll man noch der bloßen Ouvertüre oder einigen einzelnen Singstücken, dem bei uns unbeschreiblich wirksamen Jägerchor, den idyllischen Chören im ersten und dritten Act u. s. w., ein absprechendes Urtheil fällen. Es ist für die bessern Bühnen eine würdige Aufgabe hingestellt, wobei freilich nicht bloß der klingende Gewinn in Anschlag gebracht werden sollte. Der Text hat unstreitig einzelne unverkennbare Schönheiten, und einige Cavatinen und Lieder werden auch durch ihren Inhalt dem großen Publicum sich einzuschmeicheln wissen. Aber in den Motiven des Ringes, worauf doch die ganze Entwicklung beruhen soll, bleiben allerdings einige dem bloßen Zuhörer nicht erfaßbare Dunkelheiten. Wozu wäre aber das vollständige Textbuch da!

So viel einstweilen als Vorbericht. Es wird schon öfter die Rede davon seyn. Bei der Kleinheit unsrer Bühne, wo nur Abonnenten, und auch diese nur im Wechsel, Platz finden, – ein Haupthinderniß des vollkommnen Gedeihens des hiesigen Theaters, wozu hier so herrliche Stoffe  vereinigt wären – hatte man sich geschmeichelt, diese Oper den folgenden Tag sogleich wieder geben zu können. Allein Mad. Devrient, durch ihr erstes Wochenbett noch vielfach angegriffen, bedurfte einiger Erholung. Die zweite Vorstellung findet am 3. April statt. Mit dem dritten und vierten April wird die Bühne bis Ostern geschlossen seyn.