## Title: Rezension und Erstaufführungsbesprechung Hamburg: “Preciosa” von Carl Maria von Weber am 8. Oktober 1821 (Teil 2 von 2) ## Author: Anonymus ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A032527 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Preciosa,romantisches Schauspiel in 4 Aufzügen, von P. A. Wolf. Mit Chören und Tänzen, componirt von C. M. von Weber. (Beschluß.) Man darf die Preciosa und die Adelheid von Walldorf, die jüngsten Kunstgebilde dieser Darstellerin (Mad. Lebrun) zu den reinsten und vollendetsten Erzeugnissen eines ächt poetischen Gemüthes rechnen. Der innige Seelenausdruck ergreift mit unwiderstehlicher Gewalt und läßt kaum noch ein Moment der Aufmerksamkeit übrig darauf, daß die Sprecherin mit mancher Härte der Sprachwerkzeuge zu kämpfen habe. Der Ausdruck des Schmerzes wird in leisen Schwingungen der Töne angedeutet, wie der Nachklang einer fernen Aeolsharfe, und stärker mahlen sich die Bewegungen und Leiden der Seele in den Augen und sprechenden Mienen des Gesichts. Jene Wahrheit und Innigkeit der Rede, die unmittelbar dem Herzen entströmt , ist dasselbe, was ich sonst wohl den Accent der Seele genannt habe, und die von aller weinerlichen und weichlichen Sentimentalität, von allem Geächze und Gewinsel durch verschiedene Tonleitern gleich | weit entfernt ist, als von kalt studirter Abgemessenheit, in welcher alle Poesie auf einzelne Drucker und Schlagwörter verwandt wird. Das Eindringen in den Sinn der einzelnen Rede wird und darf bey dieser inneren Auffassung der Charaktere nicht ausgeschlossen bleiben, ja es muß diesem letzteren vorangehen, aber so, daß sodann aller Schein des Studiums in der Totalschöpfung verschwinde, daß die Deutlichkeit und Klarheit des Sinnes mit der vorherrschenden Empfindung in Eines zusammenschmelze und in die ideale Anschauung des Ganzen sich verliere. Ohne poetischen Aufschwung ist das freylich unmöglich. Uebrigens ist auch das zu bemerken, daß in den melodramatischen Monologen die Sprecherin dem Rhythmus der Musik mit Genauigkeit nachfolgte, ja mit einer Strenge, welche auch den eigensinnigsten musikalischen Foderungen zu genügen schien. – Mad. Lebrun ist keine Sängerin; sie konnte daher auch das zarte Lied: „Einsam bin ich“ &c. nur recitirend vortragen. Auch in den Tänzen begnügt sie sich mit wenigen, von dem Herrn Weidner sinnig angeordneten und schön gruppirten Stellungen, mit ein paar leichten Pas und zweckmäßigen Bewegungen. So bleibt demnach die Ausführung dieser Rolle ganz ohne Kunststück; aber sie gewinnt durch diese Einfachheit und Reinheit nebst jener romantischen Begeisterung – an Wärme, Innigkeit und künstlerischer Würde. Don Alonzo, der galante, schwärmerische Ritter, der Preciosen sogar zu ihrer Horde nachfolgt, ist vom Dichter weder vollständig noch selbständig genug gezeichnet; ja, wie es scheint, sogar mit einer Art von Mißtrauen in sich selbst oder in den Geschmack seiner Zuhörer, wie man aus der Aeusserung eines der alten Herren schließen muß, des Don Franzesko, welcher die Liebe des Jünglings und die ritterliche Anhänglichkeit desselben eine „tolle Ueberspannung“ zu nennen pflegt, gerade wie etwa ein recht | moderner Kunstrichter sich darüber ausdrücken würde. Es mag daber gekommen seyn, daß es dem Charakter an eigentlicher Haltung fehlt und nur ein paarmal der Geist der ächten Chevalerie zur Sprache durchdringt. Vielleicht auch meynte der Dichter, diese Rolle sowohl als die übrigen in bestimmter Unterordnung halten zu müssen, damit die Person der Preciosa in ihrer ungeblendeten Glorie hervortreten könne. – Herr Jacobi that eben für die Rolle das Genügende, etwa, als ob auch er diese letztere Meynung von der Absicht des Dichters gefaßt hätte. Die grössere Aufmerksamkeit ist auf die schauerliche Zigeunermutter Wiarda verwandt, ein düsterer, greller Schatten, in dem bunten Farbenspiel des Ganzen. Da die romantische Poesie ohnehin schon Alrunen und Velleden, weissagende Frauen, Hexen und mysteriöse Gestalten aller Gattung birgt und hegt, so gehört auch die Figur einer Zigeunermutter ganz eigentlich mit in diese Sippschaft. Ihre Häßlichkeit wird sehr gemildert, theils durch das Geheimnißvolle, Ahndungsreiche, welches die Betrachtung von dem Aeusseren abzieht und auf das überwiegende Geistige hinlenkt, theils daß auch dem persönlichen Charakter eine Art von Treue und Gutmüthigkeit beygemischt ist, welche den Abscheu, den die Zeichnung erregen könnte, mildert. Was man auch übrigens von der Zulässigkeit oder der Anwendung des Häßlichen in den schönen Künsten verschiedentlich gesagt, *) *) Seit den Litteraturbriefen ( Th. V. S. 100. ff.) brachte besonders Lessing die Sache in strenger Untersuchung im Laokoon, Kap. 24. S. 329. ff. in manchem berichtiget von Herder in den Kritischen Wäldern Th. 1. (sämtl. Werke, f. Litt, u. Kunst, Th. IV. S. 245.ff. es wird am wenigsten aus der dramatischen Kunst verwiesen werden können, theils an sich nicht, da der Eindruck desselben immer nur vorübergehend ist, theils und am wenigsten, sobald es dem Schönen, dem | Grossen, dem Erhabenen &c. zur Folie dient, dieses durch den Kontrast in helleres Licht zu setzen, so daß es beyträgt, den Eindruck des Ganzen noch zu erhöhen und zu verstärken. Insofern der Darsteller des Häßlichen sich selbst zum Object desselben hergeben muß, gehört allerdings eine Art von Resignation dazu; die Eitelkeit, welche sonst dem Künstler gar wohl ansteht, muß sich selbst zum Opfer bringen, um der Nothwendigkeit des Ganzen zu gehorchen. Darum wird der verständige Zuschauer so etwas zu beachten wissen und die Einmischung des Persönlichen, von welcher die Kunst ohnehin nie etwas erfahren darf, streng absondern, sich und den Uebrigen den Genuß, der in der Täuschung liegt, nicht zu stören oder zu vergällen. Mad. Mentschel giebt die Rolle mit einer ihr ganz eigenthümlichen Virtuosität, mit gänzlich unbefangener Freyheit der Seele und des Ausdrucks, so daß sie in dieser Gattung schwerlich ihres Gleichen finden dürfte. Sie vermeidet auch durchaus die Klippe der Uebertreibung, so daß von der eigentlichen Wirkung des Häßlichen, des Abscheues, oder wie es Lessing nannte, des Ekels, keine Anwandlung verspürt werden kann. Und das ist viel! Sie nöthigt dem Zuschauer den Beyfall ab. Der Zigeunerhauptmann ist schon viel edler gehalten, mit wenigen, aber kraftvollen Zügen hingestellt, und seine Hauptmannschaft beurkundet er durch seine getreue Schilderung des ganzen Zigeunerlebens, welche Herr Wolf der spanischen Novelle mit möglichster Treue und mit Benutzung der schönsten und lebendigsten Angaben, wie sie dort aus der wilden, frischen Wirklichkeit entlehnt zu seyn scheinen, nachgebildet hat. Nicht allein diese Beschreibung trägt Herr Gloy sehr charakterfest und eindringlich vor, sondern auch der ganzen Person verleiht er eine sehr würdige Repräsentation, wodurch sie aus der Gemeinheit in eine Art von poetischem Uebergewicht über die ganze Bande erhoben | wird. Es gehört zu sen seltenen Talenten dieses jungen Künstlers, welcher unserer Bühne ein wahres Kleinod ist, daß er in den verschiedenartigsten Charakteren mit glücklichem Erfolge auftreten kann, – um es kurz zu bezeichnen, in Rollen der ausgelassensten Komik, selbst der Karrikatur, so wie in ernsten, tragischen und rührenden Rollen der naiven Jugend eben sowohl als des mürben uud finstern Alters, ohne in letzteren auch nur entfernt an erstere zu erinnern! Bey dieser Vielseitigkeit des Talentes, bey dem Gelingen seiner Darstellungen gereicht ihm der unermüdliche Fleiß und seine verständige Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit noch zu besonderer Zierde. Möchte es ihm, dem viel beschäftigten, auch noch vergönnt seyn, ernstere Studien, die seiner höheren Ausbildung beförderlich seyn könnten, einige Zeit zu widmen. Die übrigen Rollen dienen zur Einfassung des Ganzen und erinnern mehr oder minder an bekanntere Vorbilder, zweckmäßig nachgeahmt. In der Darstellung sind sie meistens trefflich bedacht. – Den Don Francisco de Carcamo giebt Herr Schwarz mit einem wahrhaft liebenswürdigen Humor, und auch Herr Schäfer als Don Fernando steht ihm mit biederer, treuherziger Haltung recht wacker zur Seite. Mad. Marschall als Donna Clara hat recht passend zur Jubelhochzeit eingerichtet und beweißt bey dem Schicksal der Preciosa innige Theilnahme und mütterliche Liebe. – Herr Adolph Herzfeld bewegt sich als D. Eugenio mit Leichtigkeit und Anstand. – Don Contreras ist eine höchst gelungene Carrikatur aus dem Geschlechte des weiland Don Ranudo de Colibrados. Die gar belustigende Anweisung, welche derselbe auf den Beutel der Donna Petronella giebt, und diese hinwiederum reciproce, ist gleichfalls ähnlichen bekannten Scenen nachgebildet, aber zum Drolligen beyder Figuren sehr günstig. In Absicht auf [die] Darstellung aber kann nichts Grottes | keres gesehen werden, als wie sich Herr Weiß besonders und neben ihm Mad. Schäfer in einer ganz eigenthümlichen Geschmacks-Wahlverwandtschaft ausstaffirt haben, – und die feste, komische Art, wie ersterer die alte Zigeunerin herbeyruft, sich prophezeyen zu lassen, muß auch dem finstersten Sauertopf ein Lächeln abgewinnen. – Eben so glücklich wurde der Schloßvoigt Pedro, der „Peter De Plaisir“, wie er sich nennt, von Herrn Mädel dargestellt. Die Grundlage der ganzen Figur nach dem kauderwelschen Dorfschulzen Horbiz oder Dupperich in dem Shakespear'schen „Viel Lärmen um Nichts“ ist unverkennbar; aber es sind in dieser Nachzeichnung einige recht originelle und ergötzliche Einfalle angebracht, so daß deren einige zu stehenden Sprich- und Stichwörtern sich erheben dürften. Zu der Darstellung solcher Rollen aber, die in die Gattung des Grotteske-Komischen gehören und selbst in das Gebiet der Karrikatur hinüberstreifen, besitzt Herr Mädel ein entschiedenes Talent. Nahmentlich ist die Ausführung dieser Rolle ein Meisterstück, vortrefflich angelegt, und was noch mehr ist, mit Sicherheit und wirklicher Mäßigung ausgeführt, so daß die Grenzlinie, des Schicklichen eben so scharf beobachtet bleibt, als der sprudelnden, ironischen Laune ihr freyes Feld gelassen ist. Schließlich bemerke ich noch, daß die Musik, deren romantischer Charakter oben bezeichnet worden, ein ganz eigenes, sorgfältiges Studium verlangt, um in ihrer ganzen Aechtheit und Tiefe erkannt zu werden. Es ist ein schauerliches Reich der Töne, in welches wir hier durch einen mächtigen Zauber versetzt werden: es ist die Welt des Objectiven, der unendlichen Ahndung, in die sich unsere Betrachtungen verlieren, wie der Blick, der über eine blumen- und fruchtreiche, mannichfaltig mit Gebüsch, Waldung und Saatfeldern besäete Ebene hinabschauet, in die Unbegrenztheit sich verliert und endlich im Auftauchen in die | ewige Fülle des Lebens untergeht. Wir haben unter allen neueren Componisten keinen, welcher der Romantik so eigenthümlich angehörte, als dieser Carl Maria von Weber. Daß sich doch ein solches Gemüth nicht zu früh in sich selbst verzehren möge! – Vielleicht daß ich späterhin, nach geschehener Einsicht in die Partitur selbst , etwa einige Bemerkungen mittheile, welche die Composition noch im Einzelnen angehen. Bey dem Gebrauch der Schellentrommel fällt einem hier recht lebhaft ein, was der geniale Minelli in Wilibalds Ansichten des Lebens (Th. I. S. 25.) über dieses „alberne kleine“ Instrument urtheilt. „Das herrliche Ding enthält alle konzentrirte Tiefe der Pauken, ja der Trommeln, – sein abenteuerliches Summen und der wilde Klang seiner geweiheten Bleche liefern ein vollständiges dithyrambisches Orchester in nuce.“