## Title: Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertortheater: “Wirt und Gast, oder Aus Scherz Ernst” von Giacomo Meyerbeer am 20. Oktober 1814 ## Author: E. ## Version: 4.11.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A032747 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ […]– Im Theater nächst dem Kärthnerthor, den 20. Oktober zum erstenmale: Die beyden Kalifen, eine komische Oper in zwey Aufzügen, von Hrn. Wohlbrück (Schauspieler in München), die Musik von Hrn. Meier-Beer. Das Süjet dieser Oper ist recht artig, obgleich bekannt. Der junge, reiche und lustige Alimelek, entledigt sich seiner langweiligen Beutel- und Tischfreunde und holt sich Gäste von der Straße, wie er sie trifft. So trifft er eines Abends auch auf den verkleideten Kalifen Harun al Raschid und seinen Ver trauten Giaffar, bewirthet sie munter, äußert gelegentlich: einen Tag möchte er wohl einmal Kalif seyn, blos um die ihm verhaßten Imans zu züchtigen, sonst aber beneide er den Kalifen keinesweges. Dieser, sich für eine Art Zauberer ausgebend, deutet an, daß zu dem Kalifentage wohl Rath werden könne, läßt ihm einen Schlaftrunk geben und ihn in seinen Pallast tragen. Ehe Alimelek aber einschläft, hat er seine geliebte Gattin gerufen, sie seinem neuen Freunde zu zeigen; dieser erkennt in ihr seine Nichte, die aus Liebe für jenen verschwunden und für todt ausgegeben worden war. Auch sie läßt der erzürnte Kalif in den Pallast bringen. – Al. erwacht in der prächtigsten Umgebung; man macht es ihm wahrscheinlich, daß er der Kalif sey, er hält es für das versprochne Zauberstückchen seines Gastes, und findet sich lustig drein, die kurze Rolle zu spielen. Er gibt Audienzen, er läßt den Imans seines Viertels 25 Streiche auf die Fußsohlen geben, er sieht seine Irene, die ihn unter fremden Namen verläugnen muß; doch seinen kurze, aber lustige Regierung wird durch einen abermaligen Schlaftrunk beendigt, und er erwacht in Ketten in einem Gefängnisse. Der Kalif schreitet zur Prüfung der Liebenden. Irene bleibt dem geliebten Manne treu, bis der erzürntscheinende Onkel mit dessen Tode droht; sie unterwirft sich, sein Leben zu retten. Eben so Alimelek, dem der Kalif im Gefängnisse erscheint, der Mühe hat, ihn zu überzeugen, daß mit ihm kein Spaß getrieben, sondern er der Entführung wegen wirklich als Verbrecher behandelt werde. – Der edle Kalif verzeiht endlich und vereiniget sie gesetzlich. – Das Thema eignet sich allerdings zu einer komischen Oper, und ist in Absicht der Charaktere (besonders des Alimeleks) so wie der Diktion gut und lebhaft ausgeführt; auch ist die Oper schon in München und Stuttgard, unter dem Titel: Wirth und Gast, oder aus Scherz Ernst, im vorigen Jahre, nicht ohne Beyfall gegeben worden. Die Musik ist von Hrn. Meier-Beer, aus Berlin, einem Künstler von seltenem Talent und Virtuosität. Schon als Knabe entzückte er, wie einst Mozart, seine Vaterstadt bey Privatmusiken und in öffentlichen Konzerten, worin er aus Gefälligkeit spielte, als eleganter und fertiger Klavierspieler, und, so wie seine Kunstfertigkeit wuchs, so entwickelte sich zugleich seine Neigung und sein Talent zum tiefern Studium der Theorie. Früher ein Schüler des gelehrten Klavierspielers Lauska, genoß er nun der freundschaftlichen Leitung des preuß. Kapellmeisters B. A. Weber, und des berühmten Abbee und geh. Raths Vogler. Seine Leistungen als phantasiereicher und vollendeter Klavierspieler sind selbst in dem Sitze der Kunst des Klavierspiels, in Wien, bewundert, so wie seine vortrefflichen und glücklichen Instrumental- und Gesang-Kompositionen. | Die Wohlbrücksche Oper, die er hier, umgearbeitet, aufs neue aufs Theater gebracht hat, ist sein erster Versuch eines größeren Werks. Aus der Arie des Hrn. Forti (als Alimelek) im ersten Akt, die der wackre Sänger und Schauspieler vortrefflich vortrug, aus dessen Duett als Kalif mit Dem. Buchwieser (als Irene oder Zenide) im zweyten, dem höchst charakteristischen Chor der Imans und andern Ensemble-Stücken, die mit verdientem Beyfall aufgenommen wurden, sah man wohl, daß der Komponist auch für den Effekt schreiben könne. Aber manches, in- und außer ihm, war der allgemeineren Wirkung hinderlich. Der Uebergang von der Meisterschaft eines Instruments zur Opernkomposition bleibt immer ein sehr bedeutender und Anfangs etwas gefährlicher; die Scheu junger und lebhafter Komponisten vor fortfließenden Melodien, gefälligen Wiederholungen und Ausführungen, ihre Vorliebe dagegen für Genie-Blitze, immer erneuerte Aufreitzungen und pikante Anregungen, die den Zuschauer mehr in Spannung und Unruhe, als in die Behaglichkeit des Genusses versetzen, ist der Wirkung erster Werke genialischer Komponisten oft nicht wenig hinderlich. Aber der Kenner sieht in dem, was sie geleistet haben, wohl den Keim dessen, was sie leisten werden; denn es gibt Tugenden (der Korrektheit und Schlaffheit), die das Genie nicht der Mittelmäßigkeit beneidet, und Fehler, die, so verwerflich sie an sich seyn mögen, das untergeordnete Talent nimmer begehen könnte, aus welchen aber, wie aus einem kräftigen Boden, die Vortrefflichkeit erblüht. Wir dürfen uns nur erinnern, daß wir diese Erfahrungen an mehreren unsrer großen Komponisten gemacht haben, und so werden wir uns theils den Erfolg der heutigen Oper (wenn wir es ihr auch als äußeres Mißgeschick nicht anrechnen wollen, daß ihr unmittelbar in zwey Tagen: Fidelio und die Vestalin vorangingen) leicht erklären können, theils dadurch unsre Erwartungen von dem Genie des Künstlers nicht herabstimmen lassen. Am Schlusse der Oper gab Mad. Treitschke de Caro dem vollem Hause einen großen Genuß durch ein langes Pas de deux mit ihrer Schülerin Dem. Gritti, in welchem sie den ganzen Zauber ihrer Virtuosität mit überraschender Neuheit und Stärke entwickelte. So viel und gut jetzt hier auch getanzt wird, so wird man doch nicht anstehen, Mad. Treitschke in Absicht auf Grazie und Vollendung des Kunsttanzes den Preis zuzuerkennen. – Endlich erwähnen wir noch mit Auszeichnung der neuen und schönen Verwandlung des Gefängnisses in einen Prachtsaal, welche durch Aufhebung der hintern Wand zur Saaldecke bewerkstelliget wurde, und einen überraschend prächtigen Anblick gewahrte. #lb#E.