## Title: Zur Entstehung des Euryanthe-Librettos ## Author: Solveig Schreiter ## Version: 4.10.0 ## Origin: https://weber-gesamtausgabe.de/A090115 ## License: http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Neben den überlieferten Manuskripten zum Libretto der Euryanthe, die die Textgenese nachvollziehbar machen und die vielfältigen Veränderungen zeigen, die das Werk bis zu seiner Uraufführung am 25. Oktober 1823 in Wien erlebte, finden sich sowohl in Webers Tagebüchern und Briefen als auch in den Schriften von Helmina von Chézy viele, mitunter auch sich widersprechende Hinweise zur Entstehung der Textvorlage zu Webers großer Oper. In diesem Themenkommentar soll der Versuch unternommen werden, diese Hinweise an einer Stelle zusammenzuführen, um den langwierigen Entstehungsprozess des Textbuchs, verbunden mit einer Verlinkung der auf der Homepage der WeGA veröffentlichten Dokumente, darzustellen. Aufgrund des in zahlreichen Aufführungs- und Werkbesprechungen nach der Uraufführung deutlich werdenden Unverständnisses und der Mißbilligung der Zeitgenossen hinsichtlich der dramatischen Handlung und der Verse der Chézy, sah sich die Librettistin zu mancher Entgegnung und Rechtfertigung gegenüber den Kritikern veranlasst. Darin schilderte sie häufig rückblickend Details ihrer Zusammenarbeit mit dem Komponisten. Eine breite Auswahl an Berichten zur frühen Rezeptiongeschichte der Oper wurde von Markus Bandur und Frank Ziegler in den Weber-Studien, Bd. 10, vorgelegt. Alle Dokumente, die sich explizit auf die Honorarstreitigkeiten zwischen Weber und Chézy beziehen, werden hier ausgeklammert, da diese in einem eigenen Themenkommentar behandelt werden. Die erste Phase der Zusammenarbeit bis zur ZensurfassungWann genau Weber und Helmina von Chézy sich kennenlernten, ist nicht belegt. 17 Jahre nach Erscheinen der Oper auf den Bühnenbrettern resümierte die Dichterin über die einstige Zusammenarbeit in einer Veröffentlichung in der Neuen Zeitschrift für Musik (NZfM), die nach so vielen Jahren hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts mit aller Vorsicht zu behandeln ist und eher als nostalgischer, stark idealisierter Rückblick eingeschätzt werden muss. Laut Chézys Erinnerung (Teil 1) sind sich die beiden im Dresdner Liederkreis (wieder)begegnet, was sehr naheliegend erscheint. Im 2. Teil berichtet sie dann ausführlich über die Begegnung, die in das gemeinsame Opernprojekt mündete (nicht ohne poetische Ausschmückung), und wie sie Weber das Sujet vorschlug, das ihr aufgrund ihrer Übersetzung der Novelle bestens vertraut war: „An einem goldleuchtenden, milden Octoberabend des Jahres 1821 im deutschen Florenz, dessen Himmel mit italienischen Gluten prangte, weilte ich im Vorübergehen auf einer Brüstung der Elbbrücke, die herrliche Landschaft betrachtend, als unvermuthet beim Umwenden Weber und seine Gattin vor mir standen. „Haben Sie Zeit?“ — Für Sie immer! — „Ich komme recht bald zu Ihnen, darf ich auf Ihr früheres Versprechen hoffen? Wollen Sie mir eine Oper schreiben“? — Ich war außer mir vor Vergnügen, es war Alles um her mit einem Mal schöner geworden, und die nächste Zeit lag vor mir, wie eine frohe Verheißung. Ich dachte sogleich an Euryanthe. [...] Weber hatte mir Wien genannt, für welches er die Oper schreiben wollte, [...].“ Sie thematisierte an dieser Stelle auch ihre Unerfahrenheit: „Mir war beim ersten Anordnen der Ideen zum Plan, wie Jemandem, der einen Schatz gefunden, und kennt ihn nicht, und weiß nicht, wohin damit? Himmelweit war ich [entfernt] von dem, was Weber wollte und bedurfte, von | dem, was die Scene heischte. [...] Weber hatte ein so feines und richtiges Durchschauungsvermögen, und wollte mir so herzlich wohl, daß er sich hütete, mir sein stilles Entsetzen über meinen totalen Mangel an Bühnenkenntniß, den er halb bemerkte, auch nur im geringsten zu zeigen.“ Laut Webers Tagebuch begann die Zusammenarbeit Ende des Jahres 1821. Am 30. November sowie am 2. und 6. Dezember vermerkte er Besuche bei Helmina von Chézy. Noch vor der Dichtung des eigentlichen Librettos fertigte die Chézy ein Szenarium an, in dem sie den Handlungsverlauf grob skizzierte, und das Weber selbst korrigierte. Den späteren Ausführungen der Chézy zufolge nahm Weber auch hier, wie schon beim Freischütz, von Anfang an großen Einfluss auf die Gestaltung des Textes. Viele Vorschläge, die sie ihm machte, wurden von ihm abgelehnt, er wünschte sich „Ihre ganze Phantasie, Ihre ganze Kunstfertigkeit“ und bat: „schonen Sie mich nicht! Thürmen Sie Schwierigkeit auf Schwierigkeit, sinnen Sie auf Sylbenmaße über die man verzweifeln könnte, das wird mich befeuern, mich beflügeln!“ Auch hinsichtlich der Protagonisten hatte er genaue Vorstellungen: „Es ist nichts mit den vielen Personen, wir können nur 5 handelnde Personen aufstellen, denn die Euryanthe muß über alle Bühnen gehn. Es gibt deren viele, wo man mit knapper Noth einen Sopran, einen zweiten Sopran, einen Baß, einen Tenor und einen Bariton zusammenbringt. Mit dem Pomp müssen wir es so einrichten, daß man ihn in Fülle anbringen, aber daß man ihn auch weglassen kann. Bei kleinen Theatern schmeißt man dann den Spektakel weg.“ Das Szenarium, in welchem Adolar noch wie in der Novelle Gerhart hieß und anstelle der alten Hofmeisterin Hondrée (Hundrieth), die Euryanthe verrieth, Eglantine als Intrigantin eingeflochten wurde, war in drei Akte gegliedert und entsprach im Wesentlichen dem Handlungsstrang der späteren Oper, sah aber ursprünglich am Schluss des III. Akts einen „Gotteskampf zu Euryanthe’s Ehrenrettung“ vor, der von Weber durch den späteren Scheintod der Euryanthe ersetzt wurde. Seine schriftliche Reaktion blieb bei nur zwei Akten und endete mit der Frage: „Soll Eglantine von Lysiart ermordet werden, oder er von ihr – oder was geschieht mit Beyden?“ Chézy äußerte nachträglich öffentlich ihre einstigen Vorbehalte gegen diese neue Schlusslösung: „[...] der Compositeur fand, daß feyerliche Zweykämpfe, Turnierschranken u. s. w. zu oft schon dagewesen, und entwarf die Katastrophe, die man in seiner Berichtigung findet. Vergebens stellte ich ihm vor: daß Euryanthe’s Scheintod, erstlich, als durch einen Sturz vom Pferde herbey geführt, die ganze Dichtung verunziere, zweytens unter keiner Bedingung glücklich an die Katastrophe des Freyschütz erinnere, denn, was dem Publicum unter einer Gestalt lieb geworden, will es nicht in einer andern wiederfinden. Weber war nicht davon abzubringen, [...].“ Mitte Dezember 1821 quittierte Weber den Erhalt des 1. Akts des Librettos mit „trefflich“ und äußerte sich ebenso zufrieden gegenüber Georg Friedrich Treitschke: „Das Buch das mir Helmina v Chezy dichtet, wird hoffentlich eine ausgezeichnete Dichtung werden. der erste Akt ist bereits zu meiner vollkommnen Zufriedenheit vollendet.“ Weitere Kontakte gab es dann am 18. Dezember 1821, am 10. und 22. Januar sowie an Chézys Geburtstag 1822. Am 31. Januar brachte die Librettistin eine Umarbeitung des 1. Akts, bereits wenige Tage später, am 6. Februar, erhielt Weber die komplette Dichtung. Sowohl Weber als auch die Chézy suchten von Anfang an bezüglich ihres gemeinsamen Werkes immer wieder den Rat der Zeitgenossen. Vor dem Besuch bei der Chézy am 22. Januar konsultierte Weber Ludwig Tieck „wegen Euryanthe“. Für Helmina war ein wichtiger Ansprechpartner Karl Theodor Winkler, dem sie im Brief vom 13. Februar das umgearbeitete „Concept“ schickte, um sein „Urteil“ zu erfahren. Eine Kopie dieser (noch zweiaktigen) Fassung der Dichtung reichte Weber während seines Aufenthaltes in der Kaiserstadt im Februar/März 1822 bei der Wiener Zensurbehörde ein; die Abgabe und auch die widerspruchslose Genehmigung durch die Zensur thematisierte er in den Briefen an seine Frau. Wie er Caroline im Brief vom 15./16. März mitteilte, habe er „Aus Langeweile [...] die Euryanthe vorgesucht und einigemal durchgelesen.“ Nach seiner Rückkehr nach Dresden vermerkte Weber ein Treffen mit Chézy, bei dem er mit ihr „abermals die Euryanthe“ durchging. Zu diesem Zeitpunkt entwickelte Weber höchstwahrscheinlich erste musikalische Ideen (erste Entwürfe sind laut TB allerdings erst für Mai 1822 verbürgt), welche dafür verantwortlich gewesen sein könnten, dass die eigentlich als abgeschlossen geglaubte Textvorlage weiterer Umarbeitung unterzogen wurde. Es ist aber auch möglich, dass ihn Gespräche während seiner Wien-Reise zu den Veränderungen anregten. In einem Brief wenige Tage später formulierte er auf Wunsch der „verehrte[n] Freundin“ einige „Gedankensplitter“ hinsichtlich des „neuen“ Finales der Oper. Die frühe Version der Oper unterschied sich nicht nur in vielen Versen, sondern auch in ihrem Aufbau noch grundlegend von der Endfassung des Werkes: sie war in zwei Akte gegliedert (I. Akt mit elf Szenen und II. Akt mit acht Szenen), dem I. Akt war eine Pantomimische Prologszene vorangestellt, in der der in der Gruft betenden Euryanthe der Geist Emmas erscheint. Die Reihenfolge der Szenen im (späteren) I. Akt wich ab: vor Eglantines Arie „Bethörte, die an meine Liebe glaubt“ steht die Szene, bei der Euryanthe Lysiart auf der Burg willkommen heißt, und nach der Arie eine Szene mit Bertha, Rudolph und Landleuten, wodurch diese beiden Figuren mehr Gewicht erhalten. Eglantine stiehlt aus der Gruft keinen Ring, sondern einen Becher mit Inschrift, den Lysiart dann als Beweismittel für Euryanthes Untreue vorführt. Ab Lysiarts Arie (hier I. Akt/7. Szene) blieb die Abfolge zwar konstant, die Auflösung am Schluss sah aber ein glückliches Ende der Protagonisten vor: Lysiart und Eglantine bereuen ihre Taten, woraufhin ihnen von Adolar und Euryanthe vergeben wird. Nach einem Quartett endet die Oper mit der Wiederholung einer Strophe des Mailiedes. Webers „Gedankensplitter“ nehmen ziemlich genau die spätere Schlussfassung vorweg, in der Lysiart Eglantine im Affekt ersticht, Eglantine sterbend ihre Schuld gesteht und Euryanthe, vermeintlich für tot gehalten, plötzlich die Augen aufschlägt. Helmina von Chézy kam also Webers Ansinnen einer neuen Schlussgestaltung entgegen und machte sich erneut ans Werk. Wie der Brief von Chézy an Winkler vom 14. Mai 1822 verdeutlicht, war sie zu diesem Zeitpunkt mit der entsprechenden Überarbeitung beschäftigt: „[...] die Euryanthe liegt im Schmelztiegel, der erste Akt ist nun rein heraus gekommen, u. ich werde ihn Ihnen schicken. Wollte Gott, der Zweyte wäre fertig.“ Die Umgestaltung der zweiaktigen zur dreiaktigen FassungVon September 1822 bis Ende März 1823 wohnte Helmina in Berlin, d.h. in dieser Zeit fand die weitere Zusammenarbeit am Libretto ausschließlich per Korrespondenz statt. Letztmalig vor ihrer Abreise besuchte Weber sie am 28. Juli. Die Briefe von Chézy an Weber sind leider fast alle verschollen, einige wenige überlieferte Schreiben erlauben jedoch Einblicke in die weitere gemeinsame Arbeit. Eine wesentliche Veränderung der Textvorlage bestand darin, die Oper, anstelle von zwei, nun in drei Akte zu gliedern. Am 19. August 1822 bedankte sich Weber bei Ignaz Franz Edler von Mosel: „durch ihre geistvollen | Bemerkungen aufmerksam gemacht, ist das ganze Gedicht fast umgeschmolzen worden. bedeutend zusammengedrängt, in 3 Akte statt 2, gebracht, und besonders auch das Versmaß häufig verändert worden.“ Drei Tage später besuchte ihn laut TB Friedrich Wollank: „Euryanthe mit ihm durchgemacht.“ Auch Ludwig Rellstab erhob Anspruch darauf, auf das Textbuch eingewirkt zu haben: „Er [Weber] gab mir darauf das Buch der Euryanthe zur Durchsicht mit, welches damals durchaus anders gestaltet war als jetzt. Namentlich war es wenigstens um das Doppelte zu lang. Ich theilte ihm mein Bedenken über Vieles mit, zeichnete die Stellen an, die gestrichen werden mussten, und entwarf ein durchaus neues Scenarium, um die mancherlei Verrenkungen und Verschrobenheiten des Gedichts einigermassen auszugleichen. Natürlich durfte die Dichterin nicht erfahren, dass eine fremde Hand ihr Werk umarbeiten wolle; deshalb setzte ich alle meine Vorschläge schriftlich auf, und gab sie Weber, der sie, als eigne Wünsche, der Fr. v. Chezy vorlegte. Ich besinne mich nicht deutlich mehr, was ich alles geändert habe, nur weis ich noch, dass der Tod Lysiarts und Eglantinens, denen grossmüthig vergeben wurde, die ich aber durchaus aus der Welt schaffen wollte, auf meinem Gewissen liegt. Uebrigens, damit ich nicht die Oper zu verantworten bekomme, muss ich sagen, dass meine Idee, bis auf den angegebenen Punkt, nicht beibehalten wurde, sondern nur Veranlassung gab, dass die ganze Oper umgearbeitet wurde.“ Durch die Umarbeitung in drei Akte wurde ein Finale des I. Akts nötig. Damit im Zusammenhang steht die Umstellung einzelner Teile des I. Akts: Eglantines Arie wurde nach vorne geschoben (als neue 4. Szene), wodurch die Willkommensszene zwischen Euryanthe und Lysiart nun den Schluss des Akts bildete. Im Brief vom 10. Oktober mahnte Weber seine in der Ferne weilende Librettistin: „Je mehr ich mich über Ihre Heiterkeit u. Zufriedenheit in Berlin erfreue, verehrteste Freundin, desto schwerer gehe ich daran, Sie aus diesem freundlichen Taumel reißen zu müssen; ich bitte u. beschwöre Sie Ihren Aufenthalt abzukürzen u. hierher zurük zu kommen. Bedenken Sie, daß die Oper eigentlich jetzt schon fertig sein sollte, daß ich nur mit Mühe Verlängerung bis Ende November erhalten habe. Sie hatten die letzte Zeit, von andern Dingen gedrängt, kein Herz, oder besser gesagt, keine Lust mehr an der Sache u. ich begreife dies nach meinen unaufhörlichen Quälereien. Der Schluß des ersten Aktes, wie Sie mir ihn schikten, trägt etwas das Gepräge der Eile.“ Helmina von Chézy muss seinem Drängen nachgekommen sein, was wiederum dem Brief Webers vom 11. November zu entnehmen ist. Darin bedankte er sich „für das Treffliche was Sie mir überschikten“ und formulierte weitere konkrete Wünsche zum Ablauf der 5. Szene des III. Akts, wo sich Adolar und Lysiart begegnen sollten. Chézy lieferte ihm daraufhin „viel Schönes“ und „Materialien in Menge“, Weber beanstandete aber in seiner Reaktion vom 28. November: „ganz wie es ist kann es nicht bleiben. [...] Sie haben meinen lezten Brief nicht recht gelesen oder meine Gründe nicht wichtig genug gefunden. Adolar kann ja unmöglich die abgetretenen Unterthanen zu sich rufen. doch das sind Kleinigkeiten. ich werde nun Ihnen das Ganze schikken wie ich es am wirkendsten glaube. Alles mit Gründen zu belegen würde mich Bücher schreiben machen.“ Weiterhin ging es um die Abkürzung der Szene zwischen Adolar und Euryanthe zu Beginn des III. Akts und mehrere Einzelheiten der Schlussgestaltung: „Lysiarts abführen zum Tode ist allerdings kalt. aber sein Fall durch Adolar, und Eglantines Selbstmord schnell darauf gewiß unangenehm wirkend. Lysiart muß Egl: tödten. und sich selbst noch dem Könige mit troz entgegen stellen, und allenfalls kämpfend sich durchschlagen wollend abgehen, damit wir ihn heldenmäßig bis zulezt halten, und doch seine Bestrafung hoffen können.“ Zu Detail-Änderungen während der KompositionsphaseDie Arbeit an der Textvorlage zog sich bis in das Frühjahr 1823 hin, als Weber mit der Instrumentierung seiner Oper begann. Am 20. März redigierte er laut TB den III. Akt des Librettos. Am Abend des 31. März las er das Buch Ludwig Tieck vor. Am Tag darauf, an dem Helmina von Chézy wieder in Dresden eintraf, besuchte Weber Karl Förster „wegen Euryanthe bis 4 Uhr“. Karl Försters Tagebuch, irrtümlich mit 2. April 1823 datiert, schildert die Episode wie folgt: „Des Nachmittags brachte Freund Weber die Oper Euryanthe von der Chezy, mit deren Composition er beschäftigt ist. Er bat mich, den dritten Akt und vor Allem den Schluß zu verändern. Er las mir das Ganze in seiner jetzigen Gestalt (die arme Chezy hat den Text neunmal verändert) vor. Die ersten Akte sind vortrefflich, voll schöner Stellen, kräftiger Lieder und vieler Charakteristik. Der letzte Akt bedarf jedoch der Nachhülfe und Weber hat Manches selbst mit geschickter Hand anders geordnet und verbessert. Es war ein großer Genuß, ihn nach der Lesung so einsichtsvoll über das Stück sprechen zu hören und über die Arbeit des Componisten, die Weise, wie er dabei verfährt; [...].“ Nun war ein Ende in Sicht: Am 3. und 5. April trafen sich Weber und Chézy, um sich der Ordnung des Textbuches zu widmen. Alle weiteren Vermerke in Webers TB aus den Monaten bis zur UA beziehen sich dann nur noch auf die Honorarstreitigkeiten zwischen ihm und der Librettistin. Auch die Briefe aus dem Frühsommer 1823 haben vorrangig die Auseinandersetzungen zwischen den beiden aufgrund der nachträglichen Honorarforderungen der Chézy zum Gegenstand, die sie u.a. mit der mehrfachen Umarbeitung des Textbuches begründete. Neben den sich im Laufe der fast zwei Jahre währenden Zusammenarbeit ergebenden Veränderungen der Grobstruktur des Werkes stehen eine Vielzahl kleiner Veränderungen an einzelnen Versen und Formulierungen, wovon auch einige wiederum auf Weber zurückgehen und sich unmittelbar aus der Arbeit an der Komposition entwickelten. Einige Beispiele lieferte Chézy im 5. Teil ihres NZfM-Artikels, resümierte im Nachhinein aber unzufrieden und rechtfertigend: „Er [Weber] vernichtete auch oft die Früchte meiner Mühe, mit der ich in angstbemessenem Bewegung-Raum Reinheit des Rhythmus und Zusammenklang der Reime im Recitativ aufrecht hielt, so daß man besonders in der noch enger eingekeilten Dichtung in den Textbüchern an manchen Stellen wirklich zu glauben versucht wird, ich verstände meine Kunst nicht. Ich ließ es hingehen, denn vor Allem war mir daran gelegen, daß ihm die Dichtung tauge.“ Und an anderer Stelle: „Ich hatte nicht auf diese Oper gewartet, um darzuthun was ich vermöchte, mein ganzes Bestreben ging einzig darauf hin, Weber’s Wünsche zu erfüllen; ich verehrte ihn auch zu innig, um ihm auch nur in einer | Sylbe entgegen zu sein. Wenn über Nacht ein neuer Gedanke in ihm aufgestiegen, so daß wieder umgestürzt werden mußte, was gestern festgestellt worden, so freute ich mich, ihm gefällig sein zu können.“ Relativ später entschied man sich gegen die Prologszene, denn in der Textbuch-Kopie vom Mai 1823 (vgl. Anm. 28) ist sie noch enthalten. Zum Wegfall der Pantomime äußerte sich Chézy in Entstehung der Euryanthe, Teil 6: „Während der von Schauer und Wehmuth durchbebten Stelle in der Ouvertüre, die Emma’s Leid verkündet, sollte der Vorhang auffliegen, und hinter einem Flor die Scene vorgehen, welche das Recitativ schildert, Emma, die sich an Udo’s Sarge mit dem Giftring tödtet. Frau v. Weber machte dagegen alle Einwendungen, die sich machen lassen, wenn man das Publicum in Masse nimmt; Weber war zuletzt ihrer Meinung; ich verfiel nun auf den Gedanken, Emma’s Geist sollte, ungesehen von Euryanthen, sie umschweben, indeß ¦ sie das Recitativ: ‚Am letzten Mai in banger Trennung Stunde‘ spricht. Weber ging darauf nicht ein, und meinte: während Euryanthe als Leiche herbeigetragen wird — dann später, am Schluß des Stücks, während Adolar singt: ‚Ich ahne Emma‘ — dies war, wie ich glaube, noch das Beste, indeß unterblieb zuletzt Alles.“ Auch Ludwig Rellstab bedauerte in seinem Rückblick den gestrichenen Prolog und beanspruchte die Idee der Erscheinung der Emma am Schluss ebenfalls für sich: „Ich hörte später, dass Weber einen schweren Stand mit seiner Dichterin gehabt hat, und das Beste in diesem verworrenen Gedicht rührt von seiner Angabe her. Warum er aber eine Einrichtung nicht beibehalten hat, die zur [recte: zum] Verständniss des Ganzen so sehr behülflich gewesen wäre, und noch dazu neu und schön war, ist mir unbegreiflich. Weber selbst fühlte nämlich, dass es sehr schwer seyn würde, das Süjet verständlich zu machen. Deshalb hatte er einen trefflichen Vorschlag gethan. Während der Ouvertüre sollte der Vorhang aufgezogen und Euryanthe betend am Sarge Emmas erblickt werden. An der Pforte des Grabgewölbes lauscht Eglantine. Der Geist Emmas schwebt, mit wehmüthigem Ausdruck der Züge, über die Bühne. Dazu gehörte der wunderbare Satz für gedämpfte Violinen, der die Ouvertüre in der Mitte durch ein Adagio theilt. Von welcher Wirkung würde dies gewesen seyn, während man jetzt, trotz der geisterartigen, wehmüthigen Musik, nur mit der grössten Mühe den Faden der Begebenheit festhält. Diese Erfindung Webers, um dem Stücke Deutlichkeit zu geben, die die Dichterin durchaus nicht hatte hineinbringen können, wollte ich bei meinen Aenderungsvorschlägen noch einmal angewendet wissen. Euryanthe sollte nämlich im letzten Akt auf der Bahre liegend erscheinen; alles kniet in tiefer Trauer nieder. Da ertönt das Geister-Adagio der Ouvertüre, Emma erscheint zum zweitenmale, aber als verklärter Geist, und durch sie wird der erschöpften Dulderin das Leben wieder zurückgegeben. Wollte man einmal das Wunderbare gestatten, so erschien, nach meiner Ansicht, diese Auflösung durchaus nicht als ein Deus ex machina, während jetzt der Scheintod und das Erwachen Euryanthens ganz unmotivirt sind, und nur durch die treffliche Musik gehalten werden. –“